„Schock und Unverständnis“
Zensur? Streit um Blaue-Nacht-Ausstellung in der Innenstadt: Kunstschaffende üben heftige Kritik
15.05.2025, 05:00 Uhr
Seit vergangenem Herbst belebt die Stadt Nürnberg mit dem Kunst- und Kulturprojekt „Zukunftsmusik“ das Areal rund um den ehemaligen Kaufhof in der Nürnberger Innenstadt. Im Rahmen der „Zukunftsmusik“ bespielt die Akademie der Bildenden Künste Nürnberg (AdBK) zur Blauen Nacht das Erdgeschoss des ehemaligen Kaufhofs. Gezeigt werden Werke von Absolventinnen und Absolventen sowie Arbeiten von Debütierenden. Die Ausstellung trägt den Titel „Debüt“ und wurde am Montagabend eröffnet. Bei der Eröffnung kam es zu starkem Protest der Kunstschaffenden, der Vorwurf: Die AdBK hätte eine künstlerische Arbeit zensiert. Die Empörung ist groß, doch was ist passiert?
Die Künstlerin mit dem Künstlernamen „ffi“ entschied sich dazu, auf den Rechtsruck in der Gesellschaft zu reagieren, indem die eingereichte künstlerische Arbeit einen direkten Aufruf gegen Faschismus in verschiedenen Sprachen zeigt. „Geplant war, dass ich mit einer Arbeit den Leuchtkasten im Schaufenster bespiele. Dies ist ein sehr prominenter Ort, der auch gut einsehbar ist, wenn die Ausstellung nicht geöffnet ist“, erklärt „ffi“ in einem Statement, das auch auf der Ausstellung zu lesen ist. Diesem Plan erteilte die Akademie eine Absage.
Die ursprünglich sehr konkreten Forderungen in einem ersten Entwurf wurden in Kompromissbereitschaft zu einem allgemeinen Aufruf zur Bekämpfung des Faschismus verändert. Doch selbst dieser Aufruf war der Hochschulleitung zu heikel. Abgebildet waren Slogans wie „Seite an Seite gegen den Faschismus“, „Faşizme karşı omuz omuza“ (Schulter an Schulter gegen den Faschismus, Anm. d. Red.) und „Fight Fascism“. In Gesprächen mit den Kuratierenden und der Hochschulleitung wurde schließlich vereinbart, dass die Arbeit lediglich in Form eines Posters im Innenraum gezeigt werden dürfe. In der Ausstellung, die noch bis 17. Mai zu sehen ist, findet sich nur eine Abbildung des ursprünglich geplanten Kunstwerks in Postkartenformat.

Vier weitere Kunstschaffende verweigerten ihre Teilnahme aus Protest und Solidarität beziehungsweise bauten ihre Arbeiten wieder ab. In einer gemeinsamen Mitteilung an die Presse heißt es dazu: „Das Vorgehen der Hochschulleitung löst Schock und Unverständnis bei den betroffenen Kunstschaffenden aus. Ein Verbot einer künstlerischen Arbeit, die sich klar gegen Faschismus ausspricht, ist Zensur, das kann nicht akzeptiert werden!“ Die Kunstschaffenden richten in der Mitteilung einen klaren Appell an die Hochschulleitung: „Keine Zensur aus Angst!“
Die Malerin Theresa Hartmann zählt zu den Kunstschaffenden, die ihre Arbeit aus Protest und Solidarität abgebaut haben. Sie spricht von Zensur, die sie sowohl als Künstlerin als auch als politische Person betreffe. In einem Statement, das an ihrem Ausstellungsplatz ausgehängt ist, kritisiert sie, dass die Hochschulleitung aus Angst vor rechter Gewalt die Arbeit zensiert habe. „Die AfD und weitere rechtsextreme Kräfte in unserer Gesellschaft werden immer mächtiger und präsenter. Sie attackieren den Rechtsstaat und säen Hass und Angst, wo sie nur können. Das betrifft uns alle. Mit den anderen Künstler:innen solidarisch zusammenzustehen und laut zu sein, das gibt mir Mut.“
„Überreaktion“: Akademie-Chef entschuldigt sich
Gegen den Vorwurf der Zensur wehrte sich Akademie-Chef Holger Felten in seiner Eröffnungsrede am Montag. Felten zeigte sich aber auch selbstkritisch und entschuldigte sich. „Im ersten Moment war die Einschätzung: Das können wir nicht machen, das ist zu konfrontativ in dieser politischen Stimmung. Ich denke, dass das ein Fehler war. Das tut mir leid.“ In einem Telefonat am Mittwoch mit unserer Redaktion bereute der Hochschulleiter die Entscheidung und kann die Empörung nachvollziehen: „Im Nachhinein hätte man das einfach im Schaufenster zeigen sollen. Das war eine Überreaktion.“
Die Bedenken der Kunsthochschule angesichts der „politischen Stimmung“ und die Vermutung der Kunstschaffenden, die Leitung handle aus Angst, kommen nicht von ungefähr. Studierende berichten von Hakenkreuzen an der Akademie sowie Anfeindungen und Drohmails von rechts. Felten bestätigte am Mittwoch auf Nachfrage unserer Redaktion die Berichte. „Die Studierenden nehmen das als Bedrohung wahr und fühlen sich nicht mehr richtig sicher, das ist uns gegenüber bereits geäußert worden“, sagt Felten. Bei der Polizei habe man „rechtsextreme Zeichen“ angezeigt. Zudem würden die AdBK mehrere Anträge der AfD beschäftigen. „Wir sind in den Fokus geraten, durch die Anträge der AfD im Landtag, die auch die Akademie ganz klar benennen.“
AfD-Antrag auf Prüfung der Neutralität der AdBK
Die AfD sieht die Pflicht zur politischen Neutralität der AdBK verletzt und hat dazu einen Antrag im bayerischen Landtag eingebracht. Der Vorstoß steht in Zusammenhang mit der AdBK-Studentin Hanna S., die im Budapest-Komplex angeklagt ist. Die Nürnbergerin muss sich derzeit vor der Staatsschutzkammer des Oberlandesgerichts München verantworten, weil sie im Februar 2023 in Budapest an Angriffen auf Neonazis beteiligt gewesen sein soll. Hanna S. ist wegen versuchtem Mord, gefährlicher Körperverletzung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung angeklagt.
Laut dem Antrag „feiere“ die AdBK die Studentin. Verwiesen wird auf die Haltung der Hochschule, die betont, dass für Hanna S. – wie für alle Angeklagten – während des gesamten Strafverfahrens die Unschuldsvermutung gilt. Die Akademie behandle sie bis zur Urteilsverkündung wie jede andere Studierende. Zitiert werden außerdem Aussagen von Petra Meyer, der persönlichen Referentin des AdBK-Präsidenten, die sie im Gespräch mit nordbayern.de im Juli 2024 tätigte. Meyer beschrieb Hanna S. als „eine herausragende, motivierte, anerkannte und integrierte Studierende, die für ihre Arbeiten mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde“. Thematisiert werden in dem Antrag auch Solidaritätsbekundungen von Kommilitoninnen und Kommilitonen auf dem Campus.
In dem Antrag fordert die AfD, die Staatsregierung solle die Nominierung von Hanna S. für den Bundeskunstpreis durch die AdBK beanstanden. Diese Nominierung erfolgte jedoch lange vor ihrer Verhaftung. Nach der Nominierung fertigte Hanna S. fünf Objekte und Installationen für den Wettbewerb an und überzeugte damit die unabhängige Jury. Sie gewann den Bundeskunstpreis – die Vergabe wurde jedoch bis zu einem rechtskräftigen Urteil ausgesetzt.
„Ich bin immer für die Kunstfreiheit“
Durch den Fall Hanna S. und den AfD-Antrag herrsche gerade einfach eine „große Sensibilität“ in der Hochschulleitung, „vielleicht auch eine Übersensibilität“, sagt Felten. Die derzeitige Situation soll auf künftige politische Arbeiten der Studierenden und Ausstellungen der Akademie keine Auswirkungen haben, verspricht der Hochschulleiter. „Ich bin immer für die Kunstfreiheit. Unsere Entscheidung war ein Fehler.“