Kinder auf der Warteliste

Schulbegleiter für Kinder mit Behinderung: Suche immer schwerer

Sabine Ebinger

Redaktion Nürnberg

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29.10.2021, 15:11 Uhr
 Schulbegleiter vom Verein für Menschen mit Körperbehinderung Nürnberg unterstützen Kinder im Unterricht - die Nachfrage ist in den vergangenen Jahren in Nürnberg stetig gewachsen, das Personal ist hier mittlerweile knapp.

© Verein für Menschen mit Körperbehinderung Nürnberg, NN  Schulbegleiter vom Verein für Menschen mit Körperbehinderung Nürnberg unterstützen Kinder im Unterricht - die Nachfrage ist in den vergangenen Jahren in Nürnberg stetig gewachsen, das Personal ist hier mittlerweile knapp.

Manchmal geht es ohne Hilfe nicht - beim Ausfüllen des Arbeitsblatts ist Unterstützung nötig, der Weg ins Klassenzimmer ist im Rollstuhl kaum zu schaffen, die Konzentration im Unterricht ist immer wieder weg. Lehrer, die eine ganze Klasse unterrichten, können derartige Zusatzaufgaben nicht permanent leisten. Kindern mit Behinderungen und Entwicklungsverzögerungen steht in diesen Situationen ein Schulbegleiter zur Seite, der mit ins Klassenzimmer kommt und nur für diesen einen Schützling zuständig ist.

Wichtig ist aber: Der Schulbegleiter ist kein Hilfslehrer und soll auch nicht die Aufgaben des Lehrers übernehmen. Der Schulbegleiter unterstützt vielmehr in Situationen, in denen Kinder alleine nicht zurecht kommen.


Pegnitzer Schulbegleiter ermöglichen Kindern Alltag


Das Modell ist seit Jahren bewährt, doch die Anbieter kämpfen zunehmend mit Personalproblemen. So steigt nach Angaben der Johanniter-Unfall-Hilfe Mittelfranken stetig die Zahl der Kinder, die im Unterricht von einem Schulbegleiter unterstützt werden. Die zuständige Koordinatorin Anita Scheibenhof berichtet: "Es wird für uns, wie auch für alle anderen Träger, immer mehr zum Problem, geeignete Schulbegleiter zu finden.“ Und sie sagt: "Die Akquise und Vermittlung der Arbeitskräfte kostet viel Zeit." Vor einigen Jahren habe man pro Stelle drei, vier Bewerber registriert: "Im Moment bin ich froh, wenn ich überhaupt einen Bewerber habe."

Lange Warteliste

Aktuell haben 30 Kinder in Mittelfranken einen Schulbegleiter der Johanniter - etwa 20 Kinder stehen auf der Warteliste. "Es ist sehr unbefriedigend, wenn man den Eltern nur schlechte Nachrichten überbringen kann“, sagt Anita Scheibenhof.

Schulbegleiter können pädagogische Fachkräfte wie etwa Erzieher oder Sozialpädagogen sein - doch auch so genannte Hilfskräfte ohne pädagogische Ausbildung, die natürlich geschult werden, sind hier willkommen. Welche Eigenschaften sollten diese Laien haben? „Sie sollten engagiert und empathisch sein sowie Freude am Umgang mit Kindern haben“, sagt Anita Scheibenhof.

Einer der größten Anbieter in der Region ist der Verein für Menschen mit Körperbehinderung Nürnberg. "Die Anfrage steigt", sagt auch Sandro Hierl, der stellvertretende Leiter vom Schulbegleiter-Service. Vor zehn Jahren wurden hier 80 Kinder unterstützt, heute sind es 420 junge Menschen im Alter von drei bis 29 Jahren. Helfer begleiten ihre Klienten in die Kita, in die Schule oder in die Berufs- oder Hochschule.

Neben der großen Nachfrage nennt Sandro Hierl noch weitere Gründe, warum die Personalsituation so schwierig ist. So sind die Verträge prinzipiell immer befristet. Der 32-Jährige erklärt: „Das ist nicht als Dauerlösung gedacht. Ziel ist es, dass das Kind immer selbstständiger wird.“ Für das Personal bedeutet das eben auch einen regelmäßigen Wechsel, ein immer wieder neues Einstellen auf die jeweilige Situation - und das macht den Beruf nicht unbedingt attraktiv. Bei den pädagogischen Fachkräften sieht Sandro Hierl auch, dass der Markt leer gefegt ist. Mitunter werden die Schulbegleiter etwa vom Hort direkt an der Schule angeworben, der mit einem dauerhaften Vertrag locken kann.

Auch das Thema Inklusion – Kinder mit und ohne Behinderung gehen gemeinsam in die Schule - wird immer wichtiger. So sind beim Verein für Menschen mit Körperbehinderung etwa 60 Prozent der Schulbegleiter an Regelschulen und nur 40 Prozent an Förderzentren eingesetzt. Etwa ein Drittel der Schulbegleiter beim Verein sind Fachkräfte, die Mehrzahl besteht aus Hilfskräften. „Doch das muss nicht unbedingt schlechter sein“, meint Sandro Hierl. Der Verein setzt hier etwa auf Mütter mit viel Erfahrung, die für ihre Aufgabe geschult und fortgebildet werden.

"Bedarf ist exorbitant gestiegen"

Familien müssen für diese Unterstützung übrigens keinen Cent zahlen. Laut der UN-Behindertenrechtskonvention haben Menschen mit Behinderung das Recht auf einen gleichberechtigten, frei wählbaren Zugang zu Bildung. Eltern müssen diese Hilfe aber beantragen. Bei körperlichen, geistigen oder Mehrfachbehinderungen ist der Bezirk Mittelfranken zuständig, bei seelischen Behinderungen übernehmen die Jugendämter die Finanzierung. Finanziell gesehen ist das kein Pappenstiel: So hat der Bezirk Mittelfranken im Jahr 2017 9,93 Millionen Euro ausgegeben, 2019 waren es 10,98 Millionen Euro und im ersten Corona-Jahr 2020 waren es trotz lange geschlossener Schulen noch knapp 10,59 Millionen Euro.


Nürnberg ist Vorreiter: Wie trotz Behinderung die Selbstständigkeit möglich ist


Frank Schmidt, der stellvertretende Leiter des Jugendamts der Stadt Nürnberg, berichtet: „Der Bedarf ist in den vergangenen Jahren exorbitant gestiegen.“ Das Jugendamt ist für Kinder mit seelischen Behinderungen zuständig – das können etwa Heranwachsende mit Autismus oder Auffälligkeiten im Sozialverhalten sein. Neue Klassifizierungen in Autismus-Stufen haben für einen Anstieg der Anträge gesorgt. Das Nürnberger Jugendamt startete im Jahr 2007 mit gerade mal drei Schulbegleitern, 2010 waren es bereits 20, 2020 schon 169, im September 2021 sind es 181 Schulbegleiter.

Im Pandemie-Jahr 2020 mit dem ersten Lockdown auch an den Schulen investierte die Stadt Nürnberg knapp 2,8 Millionen Euro. Deswegen sind laut Stadt die Zahlen für das Jahr 2019 aussagekräftiger: Für 151 Schulbegleiter musste das Jugendamt insgesamt 3,5 Millionen Euro bezahlen.

Frank Schmidt berichtet in diesem Zusammenhang, dass Familien zunehmend eine inklusive Beschulung wichtig ist: "Die Eltern möchten, dass ihre Kinder eine Regelschule besuchen.“ Er sieht hier allerdings „eine kontroverse Diskussion“ und fragt sich, ob man die Schulen hier nicht wieder stärker am Thema beteiligen könnte. Insgesamt sagt der Jugendamtsvize aber: „Es ist ein berechtigtes Angebot, um die Inklusion voranzubringen."


Die Johanniter suchen unter Telefon 09122/939 826 Schulbegleiter. Der Verein für Menschen mit Körperbehinderung Nürnberg informiert Interessierte unter Telefon 0911/4626 35202.