Die Kongresshalle: Welche Nutzungsschancen sich jetzt bieten

29.4.2021, 13:20 Uhr
Eigentlich ein riesiges Treppenhaus: Die Kongresshalle am Dutzendteich.

© Picasa, NN Eigentlich ein riesiges Treppenhaus: Die Kongresshalle am Dutzendteich.

Eigentlich ist dieses monströse Halbrund, das wir heute Kongresshalle nennen, nichts weiter als ein Treppenhaus. Ein steinerner "Zubringer" in XXL, ausgelegt auf 50.000 Menschen. Sie sollten durch die überdimensionalen Flure und Treppen, vorbei an Toiletten, Garderoben und Technikräumen ins Innere der Kongresshalle gelangen. Dieses "Innere" mit seinen gigantischen Ausmaßen von 180 mal 160 Metern wurde von den Nationalsozialisten bekanntlich nie fertiggestellt.

Das Treppenhaus auch nicht: Von angepeilten 80 Metern Höhe wurden nur 39 gebaut. Die haben heute ein blechernes Notdach, viele einstige Maueröffnungen sind zugemauert. Der gigantische Torso steht leer. Das war schon einmal anders. Und das soll sich wieder ändern. Vielleicht schon bald, denn auch der weite Innenhof der Kongresshalle ist begehrt: als möglicher Ort einer Ausweichspielstätte für das dringend sanierungsbedürftige Opernhaus.

Neuer Posten

Ortsbegehung mit Annekatrin Fries. Wohl kaum jemand kennt das Gebäude besser als sie. Als Leiterin der Stabsstelle Ehemaliges Reichsparteitagsgelände, Zeppelintribüne und Zeppelinfeld war sie federführend für die Machbarkeitsstudie zur kulturellen Nutzung der Kongresshalle, die im vergangenen Jahr vorgestellt wurde. Ihr "Baby" gibt sie nun ab, wird ab 1. Juni Chefin des Nürnberger Amtes für Kultur und Freizeit. Es ist für sie also auch ein bisschen ein Abschiedsbesuch am Dutzendteich. Wer ihren Posten übernimmt, ist noch nicht klar.

Stunden hat Fries in dem Rohbau zugebracht, kennt jeden Winkel, weiß, wo es Strom und damit Licht gibt und wo das Handy den Weg leuchten muss. "Dieses riesige Gebäude hat eine absurde Struktur", sagt Fries. Zum Beispiel gibt es keine durchgängige Treppe, die von ganz oben nach ganz unten führt. Treppen insgesamt aber sehr, sehr viele.

Beim Laufen durch das kühle Gemäuer stößt man immer wieder auf Absonderlichkeiten: Zugemauerte Rundbögen in Kniehöhe zum Beispiel. "Keine Ahnung, was das war", sagt Fries schulterzuckend. Oder Maueröffnungen in Giebelhäuschen-Form hoch oben an den Wänden. "Das ist ein sogenanntes Mannloch", erklärt Fries. Dahinter liege ein als Technikzentrale angelegter Raum.

An vielen Stellen ist es düster. Licht fehlt. "Das ließe sich aber sehr leicht ändern", sagt Fries. 1943/44 wurden viele Außenöffnungen des Gebäudes zugemauert, dessen Errichtung mit Kriegsbeginn 1939 zum Erliegen kam. Die nachträglichen Zumauerungen ließen sich auch aus Sicht des Denkmalschutzes (seit 1973 steht der 275 mal 265 Meter große Bau unter Denkmalschutz) problemlos wieder öffnen.

Wie das wirken würde, sieht man im "Café Königshof". Das wurde 1949 zur Deutschen Bauausstellung in der Kongresshalle eingerichtet. Unter den meterhohen Decken, so zeigt es ein historisches Foto, essen und trinken Besucher, sitzen auf Holzstühlen und plaudern umsorgt von Kellnern. Licht fällt durch Fenster. Reste der figürlichen Wandbemalung, die auf dem Foto deutlich zu erkennen sind, kann man noch heute schemenhaft an den Wänden sehen.

Disco oder Joggingbahn?

Die Bauaustellung, die über 300.000 Besucher hatte, war so etwas wie der erste Versuch einer Nutzung dieser schwierigen, historisch belasteten Immobilie nach dem Krieg. 1948 hatten die Amerikaner sie der Stadt zurückgegeben. 1950 nutze die Stadt die Halle für die Jubiläumsausstellung "900 Jahre Nürnberg".

Für eine dauerhafte Messe- oder Ausstellungsnutzung schien der Rohbau künftig aber nicht mehr geeignet. "Es gab dann Vorschläge, ein Shoppingcenter reinzumachen, ein Altenheim, eine Disco oder eine Joggingbahn", sagt Fries. Realisiert wurde nichts davon: "Man ist diesem Gebäude nie Herr geworden."

Natürlich steht es mit seinen gigantischen Maßen für die Repräsentationsarchitektur der Nationalsozialisten. Die halbrunde Granitfassade war als Architektur der Beeindruckung gedacht und sollte als Monument des Machtwillens die Überlegenheit und Größe des NS-Regimes repräsentieren. Gleichzeitig dokumentiert der halbfertige Rohbau aber auch das Scheitern dieses monumentalen Baukonzeptes.

Anders als zum Beispiel die Zeppelintribüne und das Zeppelinfeld wurde die Kongresshalle nie genutzt. Sie ist – anders als die meisten anderen Projekte auf dem Reichsparteitagsgelände – auch kein Werk von Albert Speer, dem bekanntesten Nazi-Architekten.

Der damalige Nürnberger Oberbürgermeister Willy Liebel hatte den Nürnberger Architekten Ludwig Ruff 1934 mit den Planungen beauftragt. Ruff starb im gleichen Jahr, woraufhin sein Sohn Franz Ruff den Auftrag übernahm. Bereits 1935 wurde der Grundstein durch Adolf Hitler gelegt.

Neuer Stadtteil entsteht

Grundsteine werden demnächst auch unweit der Kongresshalle gelegt: Wer auf ihrem Dach neben den vielen Solarpaneelen steht, sieht die sandige Fläche, auf der die neue Technische Universität entstehen wird. 6000 junge Menschen werden dort studieren, den Stadtteil verändern und beleben.

Nur vergleichsweise wenige Menschen, sagt Fries, waren bislang in der Kongresshalle. Die Räume sind zugesperrt. Nachdem ihre Öffnung für Kunst und Kultur eines der zentralen Vorhaben in der Bewerbung Nürnbergs als Kulturhauptstadt Europas 2025 war und bevor Corona Rundgänge unmöglich machte, haben Fries und ihre Kollegen regelmäßig Interessierte durch das Gebäude geführt. "Bei allen hat die Fantasie Flügel bekommen", sagt sie.

Das ist leicht nachzuvollziehen: Wenn man in den bis zu achteinhalb Meter hohen Räumen steht, diese Weite und Großzügigkeit erlebt, kann man sich diesen Ort als einen idealen für Ateliers, Ausstellungen oder Werkstätten vorstellen. Dazu kommt: Sie haben eine ungeheuer große Deckentraglast von bis zu 1000 Kilogramm pro Quadratmeter. Da könnten schwerste Skulpturen aus Metall hergestellt und gelagert werden. Und der Schall käme auch nicht gut durch. Erste Tests von Akustikern mit lauter Musik im untersten Geschoss hätten das ergeben, sagt Fries. Dort, so die Idee, könnten Probenräume für Bands möglich sein.

Kühl und düster

Die Backsteinwände sind an vielen Stellen weiß gestrichen. Es ist kühl, düster und unwirtlich, die Stromleitungen liegen über Putz, aber man hat dennoch nicht das Gefühl in einem baufälligen Gebäude zu stehen. "Die Bausubstanz ist nicht das Problem", sagt Fries. Für eine Nutzung sind die Probleme sehr viel mehr der Brandschutz und die Fluchtwege. Das Gebäude hat keine Lüftungsanlage, ist unbeheizt und ohne sanitäre Anlagen.


Provisorium in höchster Not: Opernhaus bekommt Brandschutztüren


Wobei das so generell nicht stimmt. Hinter windigen Türen finden sich Herren- und Damen-Toiletten, Handwaschbecken – und unweit davon sogar zwei Betten. Die im typischen Stil der 1970er Jahre in orange-braun-gelbem Karomuster bezogenen Matratzen stehen in einem Raum, der per Schild als "Unfall-Hilfsstelle" ausgewiesen ist. "Schlüssel im Versandbüro" lässt die Aufschrift noch heute wissen.

Überbleibsel der Quelle

Von den 1970ern bis 2007 hat das Versandhaus Quelle die Kongresshalle als Auslieferungslager genutzt. Spuren davon sieht man noch heute: Büros mit abgehängten Decken, um die Wirkung der auch noch heute vereinzelt dort stehenden mächtigen Nachtspeicheröfen zu unterstützen. Dünner Teppichboden auf den Steinen, Reste einer Teeküche, Schilder, die in Deutsch, Italienisch und Griechisch darauf hinweisen, dass Rauchen verboten ist, und eben die Notbetten für Krankheitsfälle.

Nach Überlegungen der Kulturbürgermeisterin Julia Lehner und auf Basis der Machbarkeitsstudie soll ein Viertel des Rundbaus für Kunst und Kultur erschlossen werden, insgesamt 20 000 Quadratmeter. Und zwar unmittelbar angrenzend an das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, das seit 2001 im sogenannten Kopfbau untergebracht ist (und derzeit umgebaut und erweitert wird). "Diese Anbindung und damit auch die Sichtbarkeit nach außen wäre wichtig", so Lehner.

Noch keine Kostenschätzung

Das Konzept sieht 84 Räume unterschiedlicher Größe und Ausprägung mit insgesamt 4777 Quadratmetern vor, die als Produktionsorte von Kreativen genutzt werden könnten. Dazu kommen acht Räume mit insgesamt 261 Quadratmetern für "formale wie nonformale Formen der Begegnung", wie es in dem Konzept heißt. Sechs weitere große Räume von insgesamt 1000 Quadratmetern könnten eine sogenannte "Mixed Zone" mit Präsentationen und Gastronomie werden. Im überdachten Arkadengang und an anderen Stellen stünden rund 1500 Quadratmeter nutzbare Außenflächen zur Verfügung. Rund 1500 Quadratmeter kommen ausschließlich als Lagerräume in Frage.

Ateliers für Kreative und Depots für Museen: Beides fehlt in der Stadt. Klar ist aber auch, eine schnelle Lösung bietet der Torso nicht. Dafür ist das Projekt zu gewaltig und zu teuer. Noch gibt es keine Kostenschätzung. "Das wäre der nächste Schritt", sagt Fries und sperrt die Metalltüre im Sockelgeschoss des XXL-Treppenhauses namens Kongresshalle wieder zu.

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