Virtuose Vorführung

"Don Giovanni" in Salzburg: Der toxische weiße Mann

8.8.2021, 12:10 Uhr
Seine anonymen Opfer und Donna Elvira (Federica Lombardi) klagen Don Giovanni (Davide Luciano) an. Die Salzburger Inszenierung ist bis 5. November 2021 in der Arte-Mediathek abrufbar: arte.tv

© Ernst Wukits via www.imago-images.de Seine anonymen Opfer und Donna Elvira (Federica Lombardi) klagen Don Giovanni (Davide Luciano) an. Die Salzburger Inszenierung ist bis 5. November 2021 in der Arte-Mediathek abrufbar: arte.tv

Wie nahe christliche Ikonografie und die Symbolwelt der Bildenden Kunst beieinander liegen, demonstriert der neue „Don Giovanni“ bei den Salzburger Festspielen (zu sehen in der Arte-Mediathek bis 5. November 2021: arte.tv). Der italienische Regisseur Romeo Castellucci ist dafür bekannt, seine kunstgeschichtlichen Kenntnisse zur jeweiligen Oper zu assoziieren und einen Bilderreigen zu erschaffen.

Welches Werk könnte dafür besser geeignet sein als der „Don Giovanni“, dieser Archetypus des wilden, virilen, alle moralischen Grenzen überschreitenden Frauenverführers? Dessen Unersättlichkeit aber auch eng mit dem christlichen Weltbild verknüpft ist, als eine satanisch-selbstverliebte Umwertung der Moral in maximalen Eigennutz, auf der letztlich der entfesselte Kapitalismus unser Gegenwart fußt.

Don Giovanni wirkt oft wie im Rausch - berauscht von sich selbst.

Don Giovanni wirkt oft wie im Rausch - berauscht von sich selbst. © Ernst Wukits via www.imago-images.de

Castelluccis „Don Giovanni“ ist eine Art virtuose schwarze Messe. Zu Beginn räumt er im Großen Festspielhaus auf der Bühne eine Kirche leer und treibt einen Ziegenbock, Symbol männlicher Triebkraft, hindurch.

Die Feier dieser Oper wird zum genusssüchtigen Religionsersatz, zum bewusst überladenen Bilderreigen, bei der sogar ein leibhaftiges Luxusauto krachend vom Bühnenhimmel stürzt. Ein Rollstuhl und ein Flügel folgen. Überhaupt wird gerne zertrümmert in dieser Produktion, Don Giovanni schwingt den Hammer und zerschlägt Statuen.

Tausende Frauen hat Don Giovanni der Legende nach verführt. Regisseur Romeo Castellucci bringt einige von ihnen als Statisten auf die Bühne und lässt sie hier Donna Anna (Nadezhda Pavlova) umringen.

Tausende Frauen hat Don Giovanni der Legende nach verführt. Regisseur Romeo Castellucci bringt einige von ihnen als Statisten auf die Bühne und lässt sie hier Donna Anna (Nadezhda Pavlova) umringen. © Ernst Wukits via www.imago-images.de

Die Hauptfrauen der Oper, Donna Anna (Nadezhda Pavlova), Donna Elvira (Federica Lombardi)und Zerlina (Anna Lucia Richter) interessieren Castellucci nicht als Charaktere, sondern als Stereotype gesellschaftlich inszenierter und sich anpreisender Weiblichkeit – samt nackten Statisten-Doppelgängerinnen.

Das funktioniert nicht wirklich. Bühnenpraktisch leidet die Inszenierung darunter, dass die Regie keine Beziehungen zwischen den Figuren aufbaut, keine Duette und Ensembleszenen ausarbeitet. Auch die Arien wirken oft wie eingeschobene Nummern. So fehlt der dramatische Sog, der aus der Interaktion der Figuren entsteht, den jede Mozart-Oper dringend braucht und der bei Christof Loys und Joana Mallwitz' „Cosi-fan-tutte“-Deutung in Salzburg so gut funktioniert.

Regisseur Romeo Castellucci doppelt Don Giovannis Hauptfrauen (hier Federica Lombardi als Donna Elvira) mit Statistinnen, die die Hüllen fallen lassen. 

Regisseur Romeo Castellucci doppelt Don Giovannis Hauptfrauen (hier Federica Lombardi als Donna Elvira) mit Statistinnen, die die Hüllen fallen lassen.  © Ernst Wukits via www.imago-images.de

Castellucci dagegen schafft zwar eindrucksvolle Bild- und Figurenchoreografien. Wer kunstgeschichtliches Wissen hat, ist dabei im Vorteil und erkennt die Werke, auf die angespielt wird. Aber Oper als Kunst der musikdramatischen Zuspitzung wird völlig vernachlässigt, Leerlauf ist die Folge.

Und die Figurenzeichnung droht ins Klischeehafte abzurutschen, etwa beim Möchtegern-Rächer Don Ottavio (Michael Spyres), der in Operettenuniform und mit Riesenpudel von der Regie als Schwätzer geradezu denunziert wird. Und Bauer Masetto (David Steffens) muss fast immer irgendein landwirtschaftliches Werkzeug in der Hand halten.

Zerlina (Anna Lucia Richter) wurde von Don Giovanni als neue Beute ausgeguckt. Ihr Mann Masetto (David Steffens) wird nicht viel gegen ihn ausrichten können.

Zerlina (Anna Lucia Richter) wurde von Don Giovanni als neue Beute ausgeguckt. Ihr Mann Masetto (David Steffens) wird nicht viel gegen ihn ausrichten können. © Ernst Wukits via www.imago-images.de

Von den tausenden, von Leporello (Vito Priante als zwillingshafter Stellvertreter Don Giovannis für unangenehme Aufgaben) aus dem Kopierer geschleuderten, besungenen Beute-Frauen lässt die Regie nach der Materialschlacht im ersten Akt nach der Pause eine große Schar als anklagende, aber stumm bleibende Opfer Don Giovannis im „MeToo“-Stil aufmarschieren.

Leporello (Vito Priante) lässt die Liste mit den vielen von Don Giovanni verführten Frauen aus dem Kopierer raus. 

Leporello (Vito Priante) lässt die Liste mit den vielen von Don Giovanni verführten Frauen aus dem Kopierer raus.  © Ernst Wukits via www.imago-images.de

Der Titelheld (Davide Luciano mit standhaft differenziertem Bariton) wirkt oft eher geistesabwesend - als wachse ihm das Schlamassel, das er angerichtet hat, längst über den Kopf. Vor dem Kleinkind, das ihm Donna Elvira präsentiert, flüchtet er. Auf den Flügelresten improvisiert er (was von Maria Shabashova am Hammerklavier stammt, die einiges zu Mozarts Musik dazu erfindet).

Die verführten Frauen nehmen in dieser Inszenierung reale Gestalt an und fordern von Don Giovanni (Davide Luciano) Rechenschaft.

Die verführten Frauen nehmen in dieser Inszenierung reale Gestalt an und fordern von Don Giovanni (Davide Luciano) Rechenschaft. © Ernst Wukits via www.imago-images.de

Berauscht ist Don Giovanni höchstens von sich selbst und seiner eingebildeten Grandiosität. In seiner Überdrehtheit und toxischen Männlichkeit tobt er aber längst entseelt dem unvermeidlichen Ende entgegen.

Dieses ist wirklich schrecklich: Mit weißer Farbe beschmiert, wird Don Giovanni eins mit dem Kirchenboden und damit quasi unsichtbar – die maximale Strafe für einen Egomanen.

Wenn Don Giovanni (Davide Luciano) Zerlina (Anna Lucia Richter) verführt, wartet schon die Todeskutsche.

Wenn Don Giovanni (Davide Luciano) Zerlina (Anna Lucia Richter) verführt, wartet schon die Todeskutsche. © Barbara Gindl

Ziemlich eigenwillig geht auch der inzwischen zu Starruhm gekommene Teodor Currentzis mit seinem musicAeterna-Orchester und -Chor die Partitur an. Mozarts Paritur wird gestaucht und gepresst, Verzierungen werden munter extemporiert.

Don Giovanni (Davide Luciano) gerät immer mehr in Bedrängnis.

Don Giovanni (Davide Luciano) gerät immer mehr in Bedrängnis. © Ernst Wukits via www.imago-images.de

Vielleicht ist das näher an jeder historischen Aufführungspraxis als detektivisch nüchterne Aufbereitung von Opernautographen, auf jeden Fall ist es eine musikalische Mozart-Show. Deren grenzwertige Selbstverliebtheit passt wiederum genau zum Sujet.

Am Schluss der Oper bedeckt weiße Farbe Don Giovanni. Er wird optisch regelrecht ausgelöscht.

Am Schluss der Oper bedeckt weiße Farbe Don Giovanni. Er wird optisch regelrecht ausgelöscht. © Barbara Gindl

Dieser Salzburger „Don Giovanni“ will in seinem Wahn Größe zeigen. Aber viele Klang- und Inszenierungsgesten bleiben hohl und erinnern eher an den Größenwahn unserer Zeit. Was es auch irgendwie trifft, ist das doch der Stoff, „auf dem wir alle talwärts fahren“.

Diese Aufführung ist bis zum 5. November 2021 über die Arte-Mediathek zu sehen: arte.tv

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