Nürnbergs Milliardenfrage

Eine Milliarde für die Opernhaus-Sanierung? Fünf Debattenbeiträge zum Thema

20.10.2021, 17:49 Uhr
Fünf Debattenbeiträge zur Opernhaus-Sanierung in Nürnberg.

© Michael Matejka, NNZ Fünf Debattenbeiträge zur Opernhaus-Sanierung in Nürnberg.

Die Zukunft von Nürnbergs Oper beschäftigt derzeit die Kommunalpolitik. Das ist zu wenig - die ganze Stadtgesellschaft sollte an der Debatte teilhaben, findet NN-Chefredakteur Michael Husarek.

Den Innenhof der Kongresshalle für rund ein Jahrzehnt als Ausweichspielstätte zu nutzen, ist eine ausgezeichnete Idee. Denn welchen Sinn würde es ergeben, den nie vollendeten Nazi-Bau bis in alle Ewigkeit stehen zu lassen?

Zumal schon bald - ähnlich wie bei der Zeppelintribüne immense Summen für das in Nürnberg beliebte Trittfest-machen nötig. Besser ist es, diesen Ort kulturell zu nutzen. Seit Jahrzehnten musizieren die Symphoniker dort erfolgreich gegen die Unkultur des Nazi-Regimes an. Natürlich muss über den geeigneten Standort im Inneren des Rundbaus noch gerungen werden, am Ende sollte dies allen Beteiligten gelingen.

Muss es tatsächlich die aufwändige Kernsanierung am jetzigen Standort sein?

Wenn das Interim erst einmal steht, kann in aller Ruhe über die Langfrist-Strategie für ein Opernhaus, das in die Metropolregion ausstrahlt, nachgedacht werden. Muss es tatsächlich die aufwändige Kernsanierung am jetzigen Standort sein? Wenn in den 30erJahren am Richard-Wagner-Platz (über dessen Namen ebenfalls mal nachgedacht werden könnte) der viel zitierte Brückenschlag zwischen Alt- und Südstadt gelingen soll, stünde diesem Vorhaben ein Opernhaus nicht im Weg?

Die Oper und die Südstadt haben heute so wenig gemein wie die Münchner "Mia san mir"-Mentallität und die fränkische Seele. Also: Offen in alle Himmelsrichtungen denken, einen durch moderne Architektur überzeugenden Neubau zumindest ins Kalkül ziehen.

Denn am jetzigen Standort könnte ein wunderbares Kulturzentrum beheimatet werden, das dann tatsächlich als Brückenkopf funktioniert. Die Oper gehört zu Nürnberg, keine Frage. Ob die Oper um jeden Preis neben das Schauspielhaus gehört, über diese Frage sollte debattiert werden. Bislang war nur ein engerer Zirkel damit betraut. Das muss sich ändern, der zuweilen verengte Blickwinkel muss geweitet werden.

Eine Milliarde Euro oder mehr für die Sanierung des Opernhauses und den Bau einer Ausweichspielstätte auszugeben, das entspricht nicht der Idee einer solidarischen Stadtgesellschaft, meint Christine Thurner, die Leiterin der Lokalredaktion Nürnberg.

Bei der Antwort auf die Frage, ob eine Milliarde Euro für die Zukunft des Nürnberger Musiktheaters angemessen oder unanständig sind, hilft ein Blick in den Jugendhilfeausschuss der Stadt von vor etwa zwei Wochen. Seit langem wünschen sich Nürnbergs Kinder und Jugendliche eine Trendsporthalle, in der auch in der kalten Jahreszeit Klettern, Skaten oder BMX-Fahren möglich ist. Geschätzte Kosten: sieben Millionen Euro. Die Chancen, dass das Projekt demnächst umgesetzt wird: mau. Angesichts der klammen Haushaltslage müsse der Stadtrat bei "finanziell wirksamen Beschlüssen schließlich genau hinschauen", hieß es.

Richtig ist, dass verschiedene Bedürfnisse der Stadtgesellschaft – hier die Oper, dort der Sport, da die Infrastruktur – nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten. Richtig ist aber auch, dass Steuergeld – egal, ob vom Freistaat oder von der Stadt – nur einmal ausgegeben werden kann. Es muss also so eingesetzt werden, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger profitieren.

Hier stehen Unsummen in keinem Verhältnis mehr zum Allgemeinwohl

Und hier stehen Unsummen, wie sie jetzt für die Sanierung des Opernhauses im Gespräch sind, in keinem Verhältnis mehr zum Allgemeinwohl, das am Ende dabei herausspringt. Von dieser Milliarde werden vergleichsweise wenige Mitglieder der Stadtgesellschaft profitieren und sehr viele nichts haben. Alles andere ist Wunschdenken.

Eine günstigere Alternative zu diesem Mammutvorhaben ist (noch) nicht in Sicht. Eine zu finden, ist eine kreative Mega-Aufgabe. Aber sie lohnt sich. Sonst geht die Idee einer solidarischen Stadtgesellschaft nämlich in diesem Bauvorhaben unter.

Zeitpunkt gekommen, ein Stopp-Signal zu setzen

Die Diskussion um die Sanierung des Nürnberger Opernhauses vermittelt den Eindruck, als ob Geld keine Rolle spielt. Spielt es aber doch, meint NZ-Chefredakteur Stephan Sohr und plädiert für ein Stopp-Signal - und die Suche nach anderen Lösungen.

Keine Frage: Das Nürnberger Opernhaus muss saniert werden, an diesem prominenten Standort am Altstadtring darf keine Gammelbude entstehen. Und ja, eine Stadt wie Nürnberg, die auf die gesamte Metropolregion ausstrahlt, braucht ein Musiktheater, das für die Anforderungen der Gegenwart und der Zukunft ausgelegt ist. Das heißt aber nicht, dass das Opernhaus der Zukunft dort stehen muss, wo das Opernhaus der Gegenwart steht.

Wenn für die fällige Sanierung des Bestandsgebäudes und den Bau einer Interimsspielstätte nun Kosten von nahezu einer Milliarde Euro geschätzt werden, dann ist der Zeitpunkt gekommen, ein Stopp-Signal zu setzen und tabulos über andere Lösungen zu sprechen. Denn: Bis überhaupt mit der Sanierung begonnen werden kann, wird es noch Jahre dauern, und dann reden wir nicht mehr über eine Milliarde Euro, sondern vielleicht über 1,2 Milliarden. Wer bietet (noch) mehr?

Weitere Diskussion muss auch ergebnisoffen geführt werden

Wie in Nürnberg über die Opernhaus-Sanierung bisher diskutiert wird, vermittelt den Eindruck, als spiele Geld keine Rolle. Doch: Es spielt eine Rolle! Weil es Steuergeld ist, mithin unser aller Geld.

Deshalb muss die weitere Diskussion auch ergebnisoffen geführt werden – was den Standort angeht. Wo steht geschrieben, dass das – derzeitige – Opernhaus immer Opernhaus bleiben muss? Wäre ein Neubau nicht die bessere Lösung? Sind mögliche Alternativstandorte intensiv gesucht worden? Eine Milliarde Euro und mehr für ein – ohne Zweifel nötiges – Musiktheater von Rang sind eine Milliarde und mehr Gründe dafür, gute Antworten auf diese Fragen zu finden.

Da wäre ich einfach für einen Bürgerentscheid

Als Bürger und Steuerzahler bezahlt man immer auch für etwas, von dem man selbst vielleicht gar nichts hat - so auch im Bereich der Kultur. Deshalb sollte ein Bürgerentscheid über die Sanierung des Nürnberger Opernhauses stattfinden, kommentiert Lokalredakteurin Isabel Lauer.

Nürnberg in zehn Jahren, machen wir eine kleine Zeitreise. Bekannte von auswärts sind zu Besuch. "Was ist das für ein schönes Gebäude mit der Kuppel?", fragen sie mich im Vorüberfahren am Frauentorgraben. "Das war einmal das Opernhaus", antworte ich. "Es war baufällig. Jetzt steht es leer. Ein paar Kulturbüros sind zur Zwischennutzung drin. Manchmal gibt es noch Vorträge und so was, nur noch 80 Besucher dürfen rein." – "Oh, wie schade", sagen die Freunde und wirken ratlos.

Diese Vision macht mich traurig. Alle Welt diskutiert über den Wirtschaftsfaktor Innenstadt. Attraktiv ist ein Stadtzentrum dann, wenn man es nicht dem Shopping preisgibt, sondern sein Kulturerbe pflegt. Gäbe man das Opernhaus am Ring auf – ich behaupte, im Gefüge würde etwas fehlen. Ein Gegenpol. Ein Ort nicht nur der Eleganz, sondern auch der Bewusstseinsbildung: für die Welt der Fantasie und der Musik, der Seele. Das ist für mich keine soziale Frage. Auch als Junger und als Geringverdiener kannst du in einem alten Theater eine günstige, wenn nicht gar kostenlose Karte bekommen und dich berühren lassen.

Und jetzt der Punkt mit der Milliarde. Da wäre ich einfach für einen Bürgerentscheid. Niemand ist für das Bauerbe der Vorfahren persönlich verantwortlich. Aber den Wunsch, es zu erhalten, teilen hoffentlich viele Menschen mit mir, auch wenn sie keine Opernfans sind. Ich möchte das "historische Solidarität" nennen. Ich bezahle auch für Verkehrsprojekte, die ich vielleicht niemals nutze, und für Forschungsoffensiven, die meinen Alltag nicht verbessern. Kulturorte bringen immer eine Rendite. Sie ist bloß schwieriger zu messen.

Es geht also, man muss nur wollen

Wie teuer die Sanierung des Opernhauses am Ende kommt ist. offen. Die Schätzungen reichen von 500 Millionen Euro bis hin zu einer Milliarde Euro. NZ-Chefredakteur André Fischer ist trotz des vielen Geldes für eine Sanierung.

Als Ende des letzten Jahrtausends überlegt wurde, ob sich Nürnberg mit seinem Fußallstadion als Austragungsort für die Fußball-WM 2006 bewerben soll, war der Stadtrat angesichts der hohen Kosten wenig begeistert. Die Staatsregierung konnte mit einem üppigen Zuschuss dann doch noch Nürnbergs ins Laufen bringen. Die Begeisterung in der Bevölkerung war dann riesig. Allerdings sperrte sich die SPD, das Frankenstadion in ein reines Fußballstadion umzubauen. Rund 50 Millionen Euro wurden investiert. Aus heutiger Sicht ist das Stadion, was damals schon alle Beteiligten bewusst war, nicht mehr konkurrenzfähig.

Den Konzertsaal hat man aus finanzieller Gründen gestrichen, trotz hoher Zuschüsse. Es gibt in Nürnberg keinen Ort für klassische Musik, der akustisch national wie international wettbewerbsfähig ist. Das wird auf Jahrzehnte hinaus so bleiben, wenn nicht ein Wunder geschieht. Eine Musikhochschule und zwei Orchester, aber keinen angemessenen Aufführungssaal.

Sanierung und Interimsstandort für die Oper während der Bauarbeiten kosten zu viel Geld angesichts der Haushaltslage in Nürnberg. Aber die Kulturbauten kosten auch in München und an anderen Städten sehr viel Geld. Eine Staatsoper ist ohne einen passenden Aufführungsort nicht denkbar. Das Beispiel Fußballstadion zeigt aber, dass man auch einmal mutig sein muss, sonst hat die Stadt wieder einmal viel Geld ausgegeben und es ist doch keine Investition in die Zukunft, sondern ein Schritt weiter Richtung Mittelmaß, weil die Qualität fehlt. Dass in Nürnberg alles so schwierig ist, liegt vielleicht auch am fehlenden bürgerlichem Engagement. Beim Neuen Museum wurde der Freistaat von den engagierten Sponsoren unter Druck gesetzt, mitzumachen. Es geht also, man muss nur wollen.

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