Franken-Tatort:

Franken-"Tatort": Ein Kind verschwindet

16.5.2021, 11:33 Uhr

Ein Kind verschwindet. "Mike ist in Sicherheit" keucht der junge Mann, der den Fünfjährigen in der Eingangsszene des neuen Franken-"Tatorts" nachts hektisch an der Hand durchs Unterholz zieht. In Sicherheit? Da irrt er gewaltig.


Wer entscheidet, welche "Tatort"-Kommissare wie oft ermitteln?


Szenenwechsel zur überglücklichen Paula. Nach der gemeinsamen Nacht mit Rolf Glawogger (Sylvester Groth) hat sie einen Bärenhunger, genießt die in dreierlei Varianten servierten Frühstückseier. Kommissarin Paula Ringelhahn, so scheint es, ist voll und ganz in Franken angekommen – und sehr verliebt in den Lehrer aus Bamberg.

Jähzorniger Vater

Er wohnt in eben jener Stadt, wo der kleine Mike vermisst wird. Glawoggers Haus liegt am anderen Ende des Waldes, an dem das Elternhaus des Jungen steht. Ein Bunker wie eine hypermoderne Burg. Bewohnt wird die Festung nur noch vom jähzornigen Vater, die Mutter ist ausgezogen und Mike ist mal bei ihm, mal bei ihr. Trennungskind. Das führt im Film dazu, dass ihn drei Tage lang keiner der beiden Elternteile vermisst. Jeder meint, der andere habe ihn bei sich.

Wo ist Mike? So lautet die vielfach wiederholte Frage in diesem von Drehbuchautor Thomas Wendich geschriebenen "Tatort" (Sonntag, 16. Mai, 20.15 Uhr, ARD), der im Prinzip drei Handlungsstränge schlüssig miteinander verbindet. Die zentrale Frage gibt dem Film auch seinen Titel. Der Zuschauer hat den Kommissaren gegenüber einen Wissensvorsprung, kennt im Gegensatz zu den Ermittlern von Anfang an den 17-jährigen Titus (Simon Frühwirth), der massive psychische Probleme und Wahnvorstellungen hat und Mike in Sicherheit bringen wollte. Nur wohin? Und warum?

Die Suche nach dem Jungen nimmt eine überraschende und – so viel sei verraten – für Rolf wie auch für Paula tragische Wendung. Die Polizeiarbeit greift ins Privatleben und umgekehrt. Es ist Ringelhahns persönlichster und emotionalster Fall. Und die famose Dagmar Manzel spielt das großartig im Duo mit Sylvester Groth, mit dem sie auch privat eng befreundet ist.

Tragische Verquickungen

Auch ihr Kollege Felix Voss (Fabian Hinrichs) gibt in dieser siebten Franken-"Tatort"-Folge mehr als in den vorangehenden von sich preis – über seinen gewalttätigen Stiefvater, über seine Angst vor ihm, die ihn als kleinen Jungen hinter Schranktüren trieb in muffige Verstecke trieb. Vielleicht, so legt ein Dialog nahe, ist er deshalb Polizist geworden. Und ganz sicherlich kann er sich deshalb sowohl in Mike wie in Titus so gut und sensibel hineinversetzen.

Die persönlichen Probleme und emotionalen Befindlichkeiten von Ringelhahn und Voss spielen eine zentrale Rolle in diesem von Regisseur Andreas Kleinert mit sicherer Hand und großer Ruhe erzählten "Tatort". Die Mit-Ermittler Wanda Goldwasser (Eli Wasserscheid) und Sebastian Fleischer (Andreas Leopold Schadt) sowie Michael Schatz (Matthias Egersdörfer als Leiter der Spurensicherung) bleiben dementsprechend eher blass in dieser Folge. Sie ist mehr starkes (Sozial-)Drama denn klassischer Krimi – mit tragischen Verquickungen, traurigen "Kollateralschäden" und auch ein bisschen geisterhaft.

Dick aufgetragener Dialekt

Bambergs idyllisches Stadtbild kommt nur selten wirklich zum Tragen. Fränkisch gesprochen wird dagegen relativ viel – wie immer von Fleischer und Goldwassser, von Streifenpolizisten und vor allem von Mikes Vater (Andreas Pietschmann ist gebürtiger Würzburger). So viel demonstrativer Lokal-Touch müsste nicht sein.

Dick aufgetragen wird mitunter auch beim Szenenbild (Christine Caspari): etwa in einer psychiatrischen Klinik, in der alles in gleißendes Weiß getaucht ist, auch die Kleidung der Patienten (Kostümbild: Ingrid Leibezeder). Und warum der Lehrer Glawogger so einen geisterhaft blinkenden Keller hat, bleibt auch ein Rätsel. Das wirkt wie allzu aufgesetzte Kunstgriffe aus Horrorfilmen, die aber zur Rätselhaftigkeit dieses Falles passen: Ein emotional berührender, sehr beklemmender Franken-"Tatort", der nachwirkt. Sehenswert!

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