Fürther Insider erzählt: So läuft das Milliardengeschäft mit Sneakern

28.3.2021, 09:44 Uhr
Gut 200 Paar Schuhe: Pietro Mattina vor seiner Sneaker-Wand.

© Hans-Joachim Winckler Gut 200 Paar Schuhe: Pietro Mattina vor seiner Sneaker-Wand.

1984, der Beginn einer Ära. Nicht nur für mich. Michael Jordan machte das erste Spiel seiner NBA-Karriere für die Chicago Bulls, nichtsahnend, dass dies Generationen beeinflussen sollte.

An den Füßen trug ich damals Adidas oder Puma – wegen der Nähe zu Herzogenaurach. Allerdings: In dieser Zeit waren noch viele US-Soldaten in Deutschland stationiert, gerade auch in Franken. Ende der 80er Jahre lernte ich also mehr und mehr amerikanische Jugendliche kennen und mit ihnen Hip-Hop und Basketball. Weil ich mit meinem langweiligen Outfit nicht gegen ihre "coolen" Klamotten ankam, waren die ersten gemeinsamen Besuche in der PX, also den Läden innerhalb der Military Base, echte Highlights für mich. Mein erster "Basketball-Schuh", ein Jordan IV "Bred" von Nike, war lange Zeit mein Heiligtum. Es war der Beginn einer Leidenschaft, die bis heute anhält.

Schuhe wurden damals im Laden oder aus dem Katalog gekauft, und zwar um sie zu tragen. Dank Michael Jordan schwappte die Basketballeuphorie nach Europa und mit ihr Rap-Musik und Break Dance, wozu wir passende Kleidung und Schuhe brauchten. Jordans Verein, die "Bulls", waren beliebt. Ich stand mitten in der Nacht auf, um die NBA-Finals, aber vor allem um Jordan Basketball spielen zu sehen. Leider konnte ich mir nicht immer die neuesten und aktuellsten Jordans leisten, aber schon damals liebte ich den amerikanischen Lifestyle – und Sneaker.


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Schule, Ausbildung und Berufsleben rückten diese Leidenschaft vorerst in den Hintergrund. Das Feuer entfachte dann der "Nike Air Max 90 Hyperfuse": ein limitierter Schuh, der für die Olympischen Spiele in London 2014 auf den Markt kam und den ich nie wieder gesehen hatte.

Boom dank Travis Scott

Ich fing an, gezielt in Sneakergruppen nach ihm zu suchen. Ich fand die "Sneakerholics", ich fand den "Verband Botanischer Gärten" (ja, auch das ist eine Sneakergruppe). Mit der Zeit wurde ich in WhatsApp-Gruppen eingeladen, es fühlte sich an, als würde ich in einen erlesenen Kreis aufgenommen. Dort sah ich immer mehr Schuhe, die ich haben "musste", allerdings beschränkte sich meine Sammlung auf wenige Silhouetten. In erster Linie waren das Jordan I, III und IV, AirMax 1 oder AirMax 90 und Asics Gel Lyte 3. Da ich mich nicht festlegen wollte, kamen zusätzlich spannende Marken wie Saucony, KangaRoos oder auch Diadora in mein Regal. Später dann auch die Marke "Sonra" des Sneaker-Gurus Hikmet Sugoer aus Berlin, zu der eine unglaublich familiäre Community gehört.

Um das Jahr 2018 erlebte das ganze Sneakergeschäft einen Boom – und zwar durch die Zusammenarbeit von Nike mit dem US-Rapper Travis Scott. Sein Markenzeichen: Der Nike-"Swoosh" prangt auf diesen Schuhen spiegelverkehrt.

Er löste einen unglaublichen Hype aus, wodurch immer mehr Leute das "Sneaker Game" kennenlernten. Wo Licht ist, gibt es auch Schatten. Vor allem IT-affine junge Leute fanden heraus, dass mit dem Kauf von limitierten Schuhen viel Profit zu machen ist. In Folge ging es immer weniger um die Leidenschaft, viele sahen nur die Dollarzeichen.

Es war verlockend, mit Bots (technischen Hilfsprogramme) den "normalen" Käufern einen Schritt voraus zu sein. Nicht selten erreichen Schuhe, die im Geschäft 100 bis 150 Euro kosten, einen Wiederverkaufspreis vom acht- bis zehnfachen Wert. Zuletzt widmeten sich einige Dokumentationen diesem Thema, sogar die Bild berichtete von der einfachen Möglichkeit, den schnellen Reibach zu machen.

Ganz so einfach ist das aber nicht. Erstmal benötigt man einen guten Bot, auch hierfür gibt es einen Markt, und man muss nicht selten 1500 bis 2000 Euro dafür hinlegen. Obendrein benötigt man diverse Lieferadressen, Kreditkarten, SIM-Karten, das technische Know-how und vor allem Kapital, um sich die Schuhe vorzufinanzieren.

"Wie an der Börse"

Außerdem unerlässlich: ein guter Riecher, denn mit Schuhen verhält es sich wie an der Börse. Wenn man das falsche Paar aufkauft, kann man schnell einige Tausend Euro investiert haben und keinen Interessenten finden. Das führt leicht in die Schuldenfalle.

Der Markt ist zweigeteilt. Da sind zum einen die Sammler mit Leidenschaft, die ihre Schuhe gerne tragen. Und zum anderen die Reseller, die die Schuhe im fabrikneuen Zustand belassen, um ihren Wert zu erhalten und den größtmöglichen Gewinn zu erzielen. Um es gleich zu sagen: Beide Seiten mögen sich nicht besonders. Nicht selten gibt es Anfeindungen im Netz.

Blick ins "Allerheiligste": Ausschnitt aus Pietro Mattinas Sneaker-Regal.

Blick ins "Allerheiligste": Ausschnitt aus Pietro Mattinas Sneaker-Regal. © Hans-Joachim Winckler

Den aktuellen Wert eines Schuhes sieht man am besten auf der amerikanischen Seite "StockX". Dort kann man Schuhe anbieten (nur neu und ungetragen). Zahlt ein Käufer den Preis, werden die Schuhe an deren Zentrale geschickt und auf Fälschungen geprüft. Für diese Dienstleistung und die Abwicklung erhebt StockX eine Gebühr.

Es läuft wie an der Aktienbörse. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Die Spannbreite ist riesig, von 50-Euro-Schuhen bis zu 15 000-Euro-Modellen ist alles vertreten. Man glaubt nicht, was für Summen Sammler bereit sind zu bezahlen. Nicht selten gehen da Monatsgehälter für einen sogenannten "Grail" darauf: einen Schuh, den man manchmal jahrelang in der eigenen Größe sucht und dann endlich findet.

"Zum Glück habe ich noch die Kontrolle"

Ein weiterer "Boom-Faktor", vor allem für Jordan-Modelle, war die Dokumentation "The Last Dance" auf Netflix. Eine Biografie über das Leben von Michael Jordan, die noch während der Ausstrahlung, also über Nacht, den Wert mancher Jordan-Modelle und damit auch so mancher Sammlung auf ein Vielfaches steigen ließ. Soziale Medien haben mittlerweile immense Auswirkungen auf das Sneaker-Geschäft.

Mit der Zeit wächst die Summe, die man selbst bereit ist, für einen Schuh zu zahlen. Früher waren 300 Euro mein Maximum. Dabei blieb es nicht. Ich schwor mir, nie vierstellige Beträge auszugeben, was ich lange durchhielt, aber auch diese Marke fiel irgendwann. Manche Sammler verschulden sich sogar, um sich ihre "Grails" leisten zu können.

Zum Glück habe ich noch die Kontrolle. Manchmal verkaufe ich Schuhe, um mir neue Favoriten zu kaufen. In meinem Regal stehen knapp 200 Paar. Der Sneaker, für den ich am meisten Geld ausgegeben habe, ist gerade aus den USA auf dem Weg zu mir. Inklusive aller Gebühren und Kosten habe ich für ihn 1750 Euro bezahlt: ein Jordan 1 "Union" Blue Toe.

Manche basteln an ihren Autos, andere sammeln Bierkrüge oder Schallplatten. Ich sammle Sneaker. Wenn ich täglich an meinem fünf Meter breiten Regal vorbeilaufe, aus dem mich meine Schönheiten anlächeln, geht für mich die Sonne auf.

Wer mehr über Sneaker, Kontakte zu Gruppen etc. erfahren möchte, kann Pietro Mattina über seinen Instagramaccount "music_and_sneakers" kontaktieren.

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