Inszenierung mit Augmented-Reality

Guck mal, was da fliegt: Was sich hinter den Animationen beim neuen Bayreuther "Parsifal" verbirgt

Thomas Heinold

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27.07.2023, 15:30 Uhr
So sieht aus, was man eigentlich nicht beschreiben, sondern nur erleben kann: Der verwundete, blutende Schwan fliegt im "Parsifal" über die Köpfe der Zuschauer im Bayreuther Festspielhaus hinweg. Tatsächlich wird diese Szene in eine AR-Brille projiziert. Und wirkt damit wieder ganz anders wie in diesem Entwurf.

© Quelle: Entwürfe AR-Content Parsifal Jay Scheib So sieht aus, was man eigentlich nicht beschreiben, sondern nur erleben kann: Der verwundete, blutende Schwan fliegt im "Parsifal" über die Köpfe der Zuschauer im Bayreuther Festspielhaus hinweg. Tatsächlich wird diese Szene in eine AR-Brille projiziert. Und wirkt damit wieder ganz anders wie in diesem Entwurf.

Der neue Bayreuther "Parsifal", für den sich der US-Amerikaner Jay Scheib ein Augmented-Reality-(AR)-Konzept ausgedacht hat, das per Netzwerk auf die AR-Brillen der Zuschauer gespielt wird, ist gut vier Stunden lang und verteilt sich auf drei Akte. Während dieser Zeit sind zwischen Bühne und den eigenen Augen fortwährend die unterschiedlichsten Computer-Animationen zu sehen, das ist der sogenannte virtuelle Raum. Was da zu sehen ist, erschließt sich selbst Wagner-Kennern nicht immer sofort. Hier eine durchaus subjektive Interpretation.

Kaputte Bäume

Die kahlen Bäume, die da durch den Raum schweben, symbolisieren die geschundene, getötete Natur. Sie ragen wie viele andere Animationen über den eigentlichen Bühnenraum hinaus, man kann also den Kopf drehen und entdeckt weitere Bäume und weitere Details.

Speer mit Ohren

Vermutlich ein kleiner Scherz. Die "Parsifal"-Musik Richard Wagners ist wie der heilige Speer der Gralsritter. Hat er Zauberkräfte, kann er Wunden schlagen - und auch wieder heilen?

Betende Hände

Haben nichts mit Dürer zu tun, sind auch nicht so schön wie Dürers Betende Hände. Stehen für religiöse Kontemplation und Sehnsucht nach Erlösung.

Diese Menschen wirken im Bayreuther "Parsifal" ziemlich verfremdet.

Diese Menschen wirken im Bayreuther "Parsifal" ziemlich verfremdet. © Animation: Bayreuther Festspiele/Joshua Higgason

Feuer

Mal brennen Büsche, mal das Festspielhaus, mal Menschenavatare. Klar, hier geht es um Zerstörung. Da die Animationen aber in gewisser Weise sehr steril aussehen, bleibt die Aussage im Vagen.

Menschen

Ja, aber nur als gesichtslose Hüllenwesen. Auch die Geschlechtsorgane fehlen. Vielleicht wollte Regisseur Jay Scheib damit von vorn herein irgendwelche Gender-Debatten umschiffen.

Junge Frauen

Anders bei den Frauen, die während der versuchten Verführung Parsifals durch Kundry direkt vor den Zuschauern erscheinen. Sie haben das Aussehen von blonden Bikinimädchen und sollen, so Scheib, das Publikum direkt dem Gefühl der Verführung aussetzen.

Plastikmüll, Plastiktüte

Sind insbesondere im Schlussakt zu sehen, versinnbildlichen die Verschmutzung und die Zerstörung der Umwelt.

Animation einer jungen Frau. Welche Symbolik könnte sich in Jay Scheibs "Parsifal"-Inszenierung dahinter verbergen?

Animation einer jungen Frau. Welche Symbolik könnte sich in Jay Scheibs "Parsifal"-Inszenierung dahinter verbergen? © Festspiele Bayreuth/dpa

Autobatterien

Auch die fliegen dem Publikum um die Ohren. Auch hier geht es um Umweltverschmutzung.

Dornen

Christlich inspirierte Leidenssymbolik - die Dornenkrone, die Jesus auf dem Haupt trug, symbolisiert die Leiden des verwundeten Amfortas.

Totenschädel

Selbsterklärend. Eindrucksvoll ist die Größe der Schädel und ihr Detailreichtum. Furchteinflößend sind sie aber trotzdem irgendwie nicht.

Herz

Steht natürlich für Menschlichkeit und Liebe. Oft erstarren die Herzen, indem sich Kristalle an ihrer Oberfläche bilden.

Blumen, Pflanzen

Sie blühen, wenn nach Jay Scheibs Ansicht das Leben erblüht. In Klingsors Zauberreich sind sie aber nur eine Simulation, weil dieses Reich selber auf einer Illusion beruht. Da wird es schwierig, weil man mit einer virtuellen Animation eine Illusion bebildern will - Mehr-Ebenen-Problem.

Schwan

Er fliegt mehrfach über die Köpfe des Publikums hinweg, hat einen Pfeil im Körper, verspritzt sein Blut und stirbt dann. Das symbolisiert Parsifals Sündenfall. Er, der Unwissende, tötet ein Tier, das im Gebiet der Gralsritter geschützt ist und nicht angegriffen werden darf. Einer der eindrucksvollsten Effekte dieses Bayreuther "Parsifal".

Waffen

Stehen für das Böse, den Krieg. Auf der realen Bühne steht im 3. Akt ein kaputter Panzer, die Gralsritter tragen Flecktarn. Diese Assoziationen beziehen sich wohl auf die gegenwärtige Weltlage.

Lamm, Fuchs

Die unschuldige Tierwelt, die aber instinktiv um ihre Gefährdung weiß.

Festspielhaus

Das Bayreuther Festspielhaus wird selber zum Teil der virtuellen Projektion. Wenn Klingsors Zauberreich zerbricht, fällt es in sich zusammen. Was Jay Scheib damit meint, dürfte klar sein.

Abstrakte Strukturen

Tauchen zum Beispiel beim Grals-Ritual auf. Man kann halt für Dinge auf der geistigen Ebene nicht immer eine konkrete Symbolik finden. Und vielleicht will Jay Scheib auch mal zeigen, was seine Augmented-Reality-Entwürfe so alles draufhaben.

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