Junge Migranten

Heimat Deutschland: "Es fehlt noch an Selbstverständnis"

Birgit Nüchterlein

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02.02.2022, 14:02 Uhr
Hicran Songur will Journalistin werden.

© Serap Ayaz, NN Hicran Songur will Journalistin werden.

Hicran, wo fühlst du dich zu Hause?

Hicran Songur: Das ist schwer zu beantworten. Ich habe mich viel mit dem Thema auseinandergesetzt und festgestellt, dass ich mich fast verpflichtet fühle, die Türkei zu nennen, wenn es um Heimat geht. Weil meine Ursprünge dort liegen und meine Eltern sehr mit dem Land verbunden sind. Ich entsprechend auch. Aber wenn ich mich entscheiden müsste, wo ich lebe, wäre Deutschland – selbst wenn man durchaus manchmal mit Alltagsrassismus konfrontiert wird – die Heimat der Wahl.

Warum . . . ?

Ich denke, ich genieße ein Privileg, weil ich mir die schönen Aspekte der Kultur jeweils aussuchen kann und zum Beispiel türkische Feste auch hier in Deutschland feiern darf. Gleichzeitig habe ich auch ein teilweise konservatives Bild von der Türkei. Insofern bin ich glücklich, dass ich hier Freiheiten genießen kann. Das Konservative immer um mich zu haben, wäre mir zu viel.

Als künftige Journalistin würdest du ebenfalls unter anderen Bedingungen arbeiten . . .

Ja, ein Bekannter von mir war Journalist in der Türkei. Seit den Demonstrationen im Gezi-Park 2013 darf er seinen Beruf nicht mehr ausüben. Er wird auswandern. Wenn ich diese Aspekte verinnerliche, ist es für mich gar nicht möglich, in der Türkei zu leben.

Wie selbstverständlich ist es für dich als junge Frau mit türkischen Wurzeln, hier zu leben?

Für meine Eltern war es immer Ziel, sehr viel zu arbeiten und zu leisten. Sie wollten zeigen, dass sie zu Recht in Deutschland sind. Ich habe das auch bei mir festgestellt, in der Schule, in der Arbeit – nach dem Motto: Als Mensch mit Migrationshintergrund muss ich liefern, um gewissen Klischees zu entkommen. Es fehlt durchaus noch an Selbstverständnis.

Gibt es Dinge aus der Türkei, die dir wichtig sind?

Ich habe mir zum Beispiel das blaue „Nazar“-Auge, das den bösen Blick abwenden soll, tätowieren lassen. Und ich identifiziere mich in einem sehr freien Kontext als Muslima.

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