Kulturhauptstadtbüro-Leiter Wagner: "Nürnberg hat nicht verloren"

30.10.2020, 05:55 Uhr
Hans-Joachim Wagner hat die Nürnberger Kulturhauptstadt-Bewerbung geleitet. Ende Januar läuft sein Vertrag aus.

© Foto: Günter Distler Hans-Joachim Wagner hat die Nürnberger Kulturhauptstadt-Bewerbung geleitet. Ende Januar läuft sein Vertrag aus.

Aufräumen, Dokumentieren, Kassensturz: Nach dem Aus für Nürnberg als Kulturhauptstadt 2025 ist im Bewerbungsbüro noch einiges zu tun. Mit dessen Chef Hans-Joachim Wagner sprachen die Nürnberger Nachrichten mit ein wenig zeitlichem Abstand über die Juryentscheidung.

NN: Herr Wagner, haben Sie in der Nacht nach der Entscheidung besser geschlafen, als in der davor?

Hans-Joachim Wagner: Ja, wie ein Stein.


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NN: Keine schlechten Träume?

Hans-Joachim Wagner: Nein, warum sollte ich die haben? Wir haben eine sensationelle Bewerbung abgegeben und die Jury hat anders entschieden. Das ist das Prinzip eines Wettbewerbs.

NN: Was war denn das Schönste, das Sie an Trost gehört oder gelesen haben?

Hans-Joachim Wagner: Es sind eine Vielzahl an Nachrichten eingegangen mit ganz tollen Reaktionen aus der Metropolregion. Worüber ich mich am meisten gefreut habe, das waren die sehr persönlichen Äußerungen darüber, wie Menschen die Veränderungspotenziale in Nürnberg erlebt haben, die durch die Bewerbung angespornt wurden.

NN: Was glauben Sie, was gab letztlich den Ausschlag für Chemnitz?

Hans-Joachim Wagner: Das kann ich Ihnen nicht sagen.

NN: Weil sie es nicht wissen oder weil Sie nicht wollen?

Hans-Joachim Wagner: Man kann in die Köpfe der zwölf Juroren nicht reinschauen. Deshalb ist es Spekulation. Und daran möchte ich mich nicht beteiligen.

"Nürnberg hat nicht verloren. Nürnberg hat gewonnen"

NN: Ist es leichter gegen eine kleine Stadt im Osten wie Chemnitz zu verlieren als zum Beispiel gegen Hannover, einen großen Bewerber aus dem Westen?

Hans-Joachim Wagner: Das hört sich jetzt vielleicht merkwürdig an, aber Nürnberg hat nicht verloren. Nürnberg hat gewonnen. Die Stadt hat Unglaubliches erlebt in den vergangenen Jahren, die Transformationsprozesse haben an Fahrt aufgenommen, es gibt ein neues Bewusstsein für die Bedeutung von Kunst und Kultur. Darauf kann die Stadt stolz sein. Wir haben in der Bewerbung alles richtig gemacht.

NN: Haben Sie Kontakt mit unterlegenen Mitbewerbern?

Hans-Joachim Wagner: Nein.

NN: Und mit Chemnitz?

Hans-Joachim Wagner: Auch noch nicht. Aber wir waren in Kontakt und werden das bleiben.

NN: Corona spielte, außer der Tatsache, dass die Bekanntgabe virtuell war und einige Teilnehmer aus der Quarantäne zugeschaltet waren, eine erstaunlich kleine Rolle, auch in den Bewerbungsbüchern. Warum?

Hans-Joachim Wagner: Wir haben das Thema Corona durchaus im Hintergrund mitlaufen lassen, indem wir gesagt haben, unser Programm hat viele Punkte, die sich im Digitalen ereignen.

NN: Die große Frage ist doch auch angesichts des neuen Lockdowns: Gibt es 2025 noch ein lebendiges Kulturschaffen?

Hans-Joachim Wagner: Ja, das war ein großes Thema für uns. Zum Beispiel beim großen Kindertheaterprojekt, das Andrea Maria Erl vom Theater Mummpitz auf europäischer Ebene plant. Da war schon auch die Ansage: Wir wissen nicht, ob es uns 2025 noch gibt!

NN: Natürlich setzt jetzt die Manöverkritik ein. Unter anderem mit der Kritik aus der Subkultur, sie sei zu wenig berücksichtigt worden.

Hans-Joachim Wagner: Was ist denn Subkultur und was Hochkultur? Mit solchen Begriffen hantiere ich nicht. Die Nürnberger Bewerbung ist in der ganzen Breite von kultureller Praxis aufgestellt.

War die Nürnberger Bewerbung zu wenig humorvoll?

NN: Immer wieder wird auch bemängelt, die Bewerbung sei zu wenig humorvoll. Was sagen Sie dazu?

Hans-Joachim Wagner: Dass wir die Bewerbung mit einer gewissen Ernsthaftigkeit angegangen sind, hat einfach auch mit der Geschichte dieser Stadt zu tun. Und es gibt im Programm eine Vielzahl von sehr einladenden und breit aufgestellten Projekten. Das ganze Spielethema ist weit ausgerollt und hat Menschen jeglichen Alters eingeladen, mitzumachen.


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NN: Haben Sie in den Gesprächen mit der Jury den Eindruck gewinnen können, dass es ein zu großer Schritt gewesen wäre, die Stadt der Reichsparteitage ausgerechnet 80 Jahre nach Kriegsende zur Kulturhauptstadt Europas zu küren?

Hans-Joachim Wagner: Die Frage kann ich Ihnen nicht beantworten, denn wir dürfen über die Anhörungen nicht sprechen. Aber Sie können natürlich aus dem Jurybericht zum ersten Bewerbungsbuch ersehen, dass die Jury schon ganz genau hingeguckt hat auf die Zeit des Nationalsozialismus und den Umgang mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände. Und dass da bei den Juroren an der ein oder anderen Stelle auch die Stirn in Falten gelegt wurde.

NN: Wegen des geplanten Umgangs mit dem Gelände?

Hans-Joachim Wagner: Nein, eher stellte man sich wohl die Frage, ob es richtig sei, dieses Gelände so in den Fokus zu rücken.

NN: Aber das ist es?

Hans-Joachim Wagner: Ja, natürlich!

Wagner: Ich habe mich ja in Nürnberg verliebt

NN: Das Bewerbungsbüro wird jetzt abgewickelt. Was ist da zu tun?

Hans-Joachim Wagner: Ganz konkret: Aufräumen. Es gilt eine Dokumentation zu erstellen, aus der man weitere Schritte ableiten kann. Denn man muss entscheiden, wie sich der "Plan B" jetzt in Zusammenarbeit mit der Metropolregion konkret entwickeln kann. Dafür braucht es eine Basis. Auch die Finanzen müssen wir prüfen.

NN: Ihr Vertrag läuft zum 31. Januar aus. Wie geht es für Sie weiter?

Hans-Joachim Wagner: Bitte haben Sie Verständnis, dass ich dazu aktuell nichts sagen möchte.

NN: Würden Sie gerne in der Stadt bleiben?

Hans-Joachim Wagner: Ich habe mich ja in Nürnberg verliebt. Nach der anfänglich etwas distanzierten Haltung meinerseits gegenüber der Stadt bin ich mittlerweile sehr, sehr glücklich hier.

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