Kolumne

Lächeln statt hecheln: Sind E-Biker noch richtige Fahrradfahrer?

27.8.2021, 15:19 Uhr
Motorisierte Muskelkraft: Immer mehr Radler gewöhnen sich an den Tiger im Akku, und zwar nicht nur alte. 

© Foto: picture alliance/Sina Schuldt/dpa; Grafik: Ralph Meidl; Montage: Sabine Schmid Motorisierte Muskelkraft: Immer mehr Radler gewöhnen sich an den Tiger im Akku, und zwar nicht nur alte. 

Liebe Elektro-Radler,

ob Sie sich von dieser "Post" angesprochen fühlen, müssen Sie - natürlich - selbst entscheiden. Und ich stelle das am besten gleich fest, bevor Sie womöglich vor Empörung mit Reserve-Akkus nach mir werfen: Nein, ich will Sie nicht anklagen, ich frage mich nur, ob Strom-Doping für alle so selbstverständlich werden sollte wie es inzwischen den Anschein hat.

Nun finde ich ja beim Thema Mobilität so einiges seltsam: Viele von uns röhren mit 300-PS-Flitzern zum Brötchenholen, gleiten mit hochrädrigen Geländewagen über brettebenen Asphalt zum Job und reiten am Wochenende auf vollgefederten Gebirgsrädern durchs Flachland. In den seltensten Fällen geht es ausschließlich darum, von A nach B zu kommen. Die Art und Weise, wie wir uns fortbewegen, ist zum Ausdruck unseres Selbstverständnisses geworden. Langsam sind nur noch die anderen. Also lässt der moderne Freizeit-Pedaleur den Tiger im 500-Watt-Akku los, wenn sich ihm doch mal ein Hügel in den Weg stellt.

Liebe Elektro-Radler, natürlich kenne ich die vielen guten Gründe, die für den Einsatz von motorisierter Muskelkraft sprechen: weniger Schweiß unter den Achseln, kaputte Knie, kaputte Hüften, das Alter überhaupt, der innere Schweinehund, die unterschiedliche Kondition von Partnern, die Sehnsucht, den Tourenradius auszudehnen, oder: wenigstens nicht kürzer treten zu wollen als früher. Alles nachvollziehbar. Radfahren ist sicher auch in Ihrer stromgestützten Variante grundsätzlich erbaulich und empfehlenswert. Die Umwelt schont es allerdings nur dann, wenn damit eine Autofahrt ersetzt wird. Aus Wasser und Mehl werden Ihre kleinen Helferlein nämlich nicht zusammengebacken.

2020 wurden in Deutschland etwa fünf Millionen Fahrräder verkauft, zwei Millionen davon hatten einen Elektro-Antrieb. Tendenz rasant steigend, übrigens auch bei Unfällen mit E-Bikes. Wohin das führt, ist klar: Bald kapituliert niemand mehr vor einer Steigung, niemand mehr schiebt, niemand mehr mag seine eigentliche Grenze spüren. "Lächeln statt hecheln", lautet ein Credo Ihrer Szene. Sorry, ich dachte immer, beim Sport ist Hecheln die Voraussetzung fürs Lächeln. Wie fühlt sich eine Gipfelankunft an, bei der man so lasch im Sattel sitzt wie im Skilift?

Zwei Drittel der deutschen E-Biker sind unter 50 Jahre alt! Neulich sah ich in einem Dorf eine Gruppe von Kindern, die Hälfte hatte Akkus am Unterrohr. Was, liebe Elektro-Radler, sind wir für Vorbilder, wenn schon junge Beine nicht mehr auf die eigene Kraft vertrauen wollen?

Und Bewegung macht bekanntlich schlau. Albert Einstein soll gesagt haben, der finale Geistesblitz zu seiner Relativitätstheorie sei ihm auf dem Rad gekommen. Leider werden wir nie erfahren, ob er auch als E-Biker Nobelpreisträger geworden wäre.

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