Thriller

Nach einer wahren Mordserie im Iran: "Holy Spider" zeigt eine kranke islamische Gesellschaft

12.1.2023, 09:56 Uhr
Allein gegen alle: In den Vororten der heiligen Stadt Mashhad spürt die Journalistin Rahimi (Zar Amir Ebrahimi) einem Frauenmörder nach.

© Alamode Film/dpa Allein gegen alle: In den Vororten der heiligen Stadt Mashhad spürt die Journalistin Rahimi (Zar Amir Ebrahimi) einem Frauenmörder nach.

Nach seinem vielfach ausgezeichneten Film "Border" hat sich der dänisch-iranische Regisseur Ali Abbasi einer düsteren Geschichte aus dem Iran angenommen: Anfang der Nullerjahre ereignete sich in der Pilgerstadt Mashhad einer der spektakulärsten Kriminalfälle der iranischen Geschichte: die Frauenmorde des "Spinnenmörders" – so genannt, weil er seine Opfer, Straßen-Prostituierte, in seine Wohnung, sein "Netz", lockte, bevor er sie erwürgte.

In seinem Thriller setzt Abbasi eine Journalistin (Zar-Amir Ebrahimi, die für ihre Rolle in Cannes ausgezeichnet wurde) auf die Spur des Killers. Die Frau muss nicht nur allerlei Schikanen über sich ergehen lassen, bei ihren Recherchen stößt sie auch immer wieder auf Widerstände und Vorbehalte. Der von seiner Mission überzeugte Serienmörder dagegen erfreut sich sogar, als er längst überführt ist, mehr oder weniger verhohlener Unterstützung.

Eindringlich zeichnet Abbasi das Porträt einer von Bigotterie und Frauenfeindlichkeit zerfressenen Gesellschaft. Als die Journalistin in die heilige Stadt kommt, nimmt sie sich ein Zimmer. Ihre Haare hat sie eher locker mit einem Kopftuch bedeckt. Als der Mann an der Rezeption erfährt, dass sie alleine unterwegs ist, will er ihr das Zimmer nicht vermieten, bis sie ihm ihren Presseausweis zeigt. "Wenn Sie bitte Ihre Haare bedecken würden?", sagt der Mann zu ihr. "Das ist meine Sache", antwortet die Frau. "Aber die Sittenpolizei ...", entgegnet der Mann.

Es drohen harte Strafen

Wenn der Film in die deutschen Kinos kommt, ist es rund vier Monate her, dass Jina Mahsa Amini im Iran in Polizeigewahrsam gestorben ist. Die iranische Kurdin war von der Sittenpolizei wegen Verstoßes gegen geltende islamische Kleidungsvorschriften festgenommen worden. Seither gibt es immer wieder Proteste gegen den repressiven Kurs der Regierung und das islamische Herrschaftssystem.

"Holy Spider" ist eine brisante Auseinandersetzung mit dem Frauenbild im Iran, mit weiblichen Körpern und ihrer Unterdrückung, mit religiösem Überbau und der Frage, wie viel Unterstützung ein Frauenmörder bekommen kann, wenn er in einem System lebt, das Frauen grundsätzlich abwertet. Der Film ist brutal und geht nahe. Er zeigt Sexszenen und Prostitution, ein Thema, das im Iran noch immer ein Tabu ist. Während sich ein Großteil der jungen Generation heute offen mit Fragen der Sexualität auseinandersetzt, werden Verstöße gegen die islamischen Gesetze hart bestraft.

Sex außerhalb der Ehe ist genauso verboten wie Prostitution, die im Verborgenen stattfindet. Während ein monogames Leben für muslimische Frauen heilige Pflicht ist, dürfen schiitische Männer mit Frauen im Iran in sogenannten Zeitehen mehrere Verbindungen eingehen. Über die Dauer, die von einigen Minuten bis zu 99 Jahren betragen kann, wird vorher geredet. Beziehungen können so ohne Sorge vor drakonischen Strafen ausgelebt werden, dito Sexarbeit.

Dass es gar nicht so leicht war, ein Ensemble für den Film zu finden, hat Regisseur Abbasi berichtet. Mehdi Bajestani, der den Mörder Saeed spielt, gehe ein großes Karriererisiko ein, sagt er. "Das westliche Publikum hat keinen Referenzrahmen, wie riskant seine Darstellung ist", so Abbasi, "aber eine Entsprechung wäre ein Hollywoodstar, der einen Pädophilen spielen muss, den man im Film beim Ausleben seiner sexuellen Fantasien sieht". Der Film ist eine Koproduktion von Dänemark, Deutschland, Frankreich und Schweden. Für Dänemark soll der Film auch ins Rennen um den Oscar gehen. Gedreht wurde nicht im Iran, sondern in Jordanien.

"Es ist nicht so, als hätten wir einen allzu expliziten Film gemacht", sagt Abbasi auch. "Aber es ist einer von wenigen Filmen, die im Iran spielen, die einen gewissen Realismus rüberbringen." Das iranische Kino leide seit 50 Jahren unter drakonischen Zensurmaßnahmen. Alle Filme, die man sehe, zeigten eine parallele Realität des Landes. Fast alle halten sich an ein bestimmtes geschriebenes und ungeschriebenes Regelwerk, selbst Filme, die eine kritische Position zur iranischen Regierung beziehen.

Die Tabus, die niemals gebrochen werden in iranischen Filmen, sind Nacktheit, Sex, Drogengebrauch und Prostitution. Abbasi: "Meine Absicht war es, der iranischen Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. Fast jede Familie hat Zugang zu nicht reguliertem Fernsehen, in dem man Britney Spears beim Tanzen in einem Bikini zusehen kann, aber iranischen Frauen wird das Recht abgesprochen, eine Sexualität zu besitzen." Außerdem sei es ungerecht, dass die Familien von Saeeds Opfern nur selten erwähnt würden. (117 Min.)

In diesen Kinos läuft der Film.

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