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Neu auf Netflix: "Inventing Anna" nach der wahren Geschichte einer Hochstaplerin

Birgit Nüchterlein

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17.02.2022, 11:21 Uhr
Betrügerisches Glamour-Girl: Julia Garner spielt Anna Sorokin alias Anna Delvey.

© AARON EPSTEIN/NETFLIX Betrügerisches Glamour-Girl: Julia Garner spielt Anna Sorokin alias Anna Delvey.

Mit Anfang Zwanzig kam das eher unscheinbare Girlie 2013 nach Manhattan, New York. Anna Sorokin änderte ihren Namen in Anna Delvey, gab sich als demnächst vermögende deutsche Erbin eines millionenschweren Treuhandfonds aus und schummelte sich schnell in die Kreise der Reichen und Schönen.

Bezahlt hat sie nie

Ihre neuen sogenannten Freunde betrog sie später genauso wie gestandene Wall-Street-Banker und Investoren um eine Menge Geld. Selbst ein 28-Millionen-Dollar-Kredit wurde ihr beinahe gewährt. Mit dem wollte sie einen exklusiven Kunst-Club für Manhattans High Society gründen – in einem mondänen Gebäude an der Park Avenue.

Sie reiste in Privatjets, lebte monatelang in Nobel-Hotels, zum Shoppen waren ihr die ersten Adressen der Modeszene gerade gut genug. Bezahlt hat die Schwindlerin mit dem Schmollmund und der riesigen Designer-Brille nie.

Manipulative Kaltschnäuzigkeit

Wie sie das schaffte? Mit raffinierter, manipulativer Kaltschnäuzigkeit, kühnen Lügen und gefälschten Dokumenten, vermeintlicher Großzügigkeit und einem luxuriösen Outfit, von dem sich offensichtlich alle Beteiligten blenden ließen. „Fake it, til you make it“ lautete das Konzept. Täuschen, was das Zeug hält, bis es klappt.

Es klappte relativ lange. Doch dann flog Sorokin auf. 2019 wurde sie zu einer Freiheitsstrafe von vier bis zwölf Jahren verurteilt. Schon im Februar 2021 kam sie auf Bewährung frei. Berühmt geworden war die schillernde Hochstaplerin bereits 2018 durch einen Artikel der Journalistin Jessica Pressler im New York Magazine. Da saß sie schon in U-Haft. Die Banker, die sich von ihr zu kapitalen Fehlern hinreißen ließen, kamen übrigens ungeschoren davon.

Nun zeichnet die Netflix-Miniserie „Inventing Anna“ das Abenteuer in neun Folgen nach. 320.000 Dollar soll der Streaming-Dienst, der für seine kostspieligen Projekte bekannt ist, Sorokin für die Rechte an ihrer Geschichte bezahlt haben. Sie beglich damit Anwaltskosten und Entschädigungen.

Wahr und erfunden

„Diese Story ist vollkommen wahr, bis auf die Teile, die total erfunden sind“, lesen wir zu Beginn einer jeden Folge der flott und zeitgemäß geschnittenen, farbenprächtigen Produktion, bei der auch der poppige HipHop-Soundtrack stimmt. Eine Geschichte also, die zu Anna Sorokin passt. Geschrieben hat sie Serien-Macherin Shonda Rhimes, die auch für den Netflix-Erfolg „Bridgerton“ verantwortlich zeichnet.

Sie bettet Annas Abenteuer in eine Rahmenhandlung, die von der hochschwangeren Journalistin Vivian Kent (Anna Chlumsky) angetrieben wird – gleichsam das Alter Ego der echten Reporterin Jessica Pressler. Pressler wiederum wirkte als Produzentin an der Serie mit.

Allzu ausgedehnt

Um es gleich vorwegzunehmen: Die Rahmenstory ist eine der Schwachstellen von „Inventing Anna“. Zum einen, weil sie allzu ausgedehnt daherkommt, zum anderen wegen ihrer Leitfigur: Schon klar, diese Vivian Kent ist nicht nur das genaue Gegenteil der selbstbewussten Hochstaplerin, sie soll uns Zuschauern als „eine von uns“ auch Zugang zu der rätselhaften Hauptfigur verschaffen.

Doch so ambitioniert und aufgescheucht wie sie gezeichnet und gespielt ist, taugt die auf ihre Karriere schielende Journalistin nur mäßig als Identifikationsfigur. Als Annäherung an das Phänomen Anna Sorokin wirkt der parallele Erzählstrang jedenfalls wenig pfiffig.

Selbstverliebte Hochstaplerin: Julia Garner in "Inventing Anna"

Selbstverliebte Hochstaplerin: Julia Garner in "Inventing Anna" © imago images/ Aaron Epstein/ Netflix, NN

Faszinierend

Dabei ist die Figur der glamourösen Gaunerin tatsächlich faszinierend. Das finden in der mit Witz gewürzten Serie auch ihre geprellten Bekannten – eine Hotelangestellte, eine Fitnesstrainerin, eine Mäzenin, ein Modemacher, der Anwalt etc. Ihnen ist jeweils eine Folge gewidmet, die aus ihrer Perspektive erzählt wird.

Nur: Näher kommt man der Psychologie der Hochstaplerin dadurch nicht. Da verschenkt „Inventing Anna“ mit seinen aufwändigen Szenen viele Möglichkeiten, kratzt an der Oberfläche, beschränkt sich vielfach auf den champagnergetränkten Luxus-Fimmel seiner Protagonistin. Lustvoll gespielt wird sie allerdings von Julia Garner. Ihr ist es zu verdanken, dass sich ein Hauch von Mehrschichtigkeit, wenn auch keine Tiefe in die Figur schleicht. Dass manchmal ihre Einsamkeit durchschimmert. Und man als Zuschauer dran bleibt.

Im deutschen Eschweiler gelandet

Erst in den letzten Folgen wird noch schnell nach dem Wie und Warum gefragt und Annas Herkunft gecheckt. Sie kam als Teenager aus Russland ins deutsche Eschweiler. Ihr Vater war Lkw-Fahrer. In der Serie ist er Kühlschrankverkäufer, gespielt von Peter Kurth. Die wahre Anna ist heute wieder in Haft, ihr Visum für die USA ist abgelaufen, sie hat dort Asyl beantragt...

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