60's Rock

Pilzköpfe auf Schlingerkurs: Die neue Platte der Nürnberger Beat-Kapelle The Mergers

20.9.2021, 10:39 Uhr
Pilzköpfe auf Schlingerkurs: Die neue Platte der Nürnberger Beat-Kapelle The Mergers

© Cris Civitillo.

Knapp zehn Jahre ist es nun her, dass in Nürnberg eine Band auftauchte, die wirkte, als wäre sie einer Zeitkapsel entstiegen: Pilzkopf-Frisuren, Sixties-Boots und ein Sound, der klang, als hätte man alle Beatbands der frühen Sechziger Jahre in einen Topf geschmissen und kräftig umgerührt. Dabei waren The Mergers sowas von Retro, so dermaßen Sixties, dass sie fast authentischer wirkten als die Originale, denen sie mit Verve, Stil und viel Talent nacheiferten – auch wenn sie um einiges rauer klangen.

Das bringt allerdings ein Problem mit sich, welches so gut wie alle Acts teilen, die sich einem bestimmten Sound, einer bestimmten Ära der Popgeschichte widmen: Spätestens nach dem zweiten Album fängt man an sich zu wiederholen. Doch wie kann man als Retro-Band die ziemlich engen Erwartungen einer geschmacklich nicht all zu offenen Szene gerecht werden, ohne auf ewig im Jahr 1964 gefangen zu bleiben?

Pilzköpfe auf Schlingerkurs: Die neue Platte der Nürnberger Beat-Kapelle The Mergers

© Soundflat / Broken Silence

Vielleicht macht man es so wie The Mergers und bewegt sich auf der Zeitschiene ganz dezent ein Stück nach vorne. Das dritte Mergers-Album „Three Apples in the Orange Grove“ beginnt zwar mit einem gewohnt stürmischen Hochgeschwindigkeitsrocker, doch bereits im zweiten Song beginnt der Sound zu schlingern und durch ein psychedelisches Parallel-Universum zu mäandern. „In den ersten beiden Platten waren schon auch psychedelische Elemente drinnen, das war nicht nur Sixties-Beat“, stellt Axel Brückner, der bei den Mergers das Pseudonym „Jerry Coma“ benutzt und als Leadsänger und Gitarrist auch für das Songwriting verantwortlich ist, beim Frühstück in einem Nürnberger Café klar. „Und diese Elemente haben wir für das neue Album kultiviert. Wenn man ewig auf dieser Frühe-Sixties-Schiene bleibt, ist das doch auf Dauer etwas simpel. Es ist schwierig, innerhalb dessen noch einen neuen, innovativen Song zu schreiben.“

Die Schnittmenge macht's

Stücke wie „Herman“ oder „Seekin‘ for the light“ entfernen sich mit ihren verschlungenen Gitarrenlinien und den bisweilen indisch angehauchten Gesangsmelodien tatsächlich recht weit von dem, was man von den Mergers gewohnt ist. Ihre rohe Energie haben sich die vier – neben Jerry Coma besteht die Band aus Gitarrist Jay Le Saux, Bassist Henry Florence jr und Schlagzeuger Winston McCloud – trotzdem bewahrt. Und manches wuchtige Gitarrenriff erinnert gar an Bands wie Deep Purple oder Led Zeppelin.

„Vom Songwriting her ist das schon manchmal unkonventionell. Muss das immer Strophe und Refrain haben? Wir haben beim neuen Album den Rahmen bewusst etwas aufgebrochen und er wird beim nächsten bestimmt nicht enger werden. In unserem Sound werden aber bestimmt immer die Sixties hörbar bleiben, weil wir damit musikalisch aufgewachsen sind. Das ist die Schnittmenge von uns allen.“

Pilzköpfe auf Schlingerkurs: Die neue Platte der Nürnberger Beat-Kapelle The Mergers

© Cristopher Civitillo

Dabei wäre es ungerecht, The Mergers als reine Plagiatoren abzutun. Die Referenzen mögen klar sein, doch sucht man auch nur eine Band, mit der man sie direkt vergleichen könnte, kommt man schnell ins Stolpern. Axel Brückner hat in den 39 Jahren seines Lebens vermutlich unendlich viel Musik gehört und unterbewusst abgespeichert – insofern ist es wenig verwunderlich, dass seine Band klingt wie eine Schnittmenge aus den Beatles, den Pretty Things in ihrer psychedelischen Phase und der punkigen Urgewalt der MC5. „Alles, was ich schreibe, ist bestimmt schon mal dagewesen“, gibt er unumwunden zu. „Ich versuche trotzdem immer, was Neues zu machen, zumindest etwas, was ich so noch nicht gehört habe. Ich sehe keinen Sinn darin, bewusst etwas zu kopieren, weil es mal erfolgreich war.“

Das Spiel mit Zitaten und Referenzen gehört schon immer zur Musik, seit Urzeiten bauen Musiker aus den Versatzstücken der Vergangenheit ihre eigene, individuelle Kunst. Im Jahr 2021 ist die Rockmusik allerdings an einem Punkt angelangt, an dem jede Äußerung klingt wie ein Zitat.

Bands wie Temples (die Brückner als maßgebliche Inspiration benennt), Greta Van Fleet, The Coral oder eben The Mergers tragen ihre Verehrung für die alten Helden schon in ihrem Styling ganz selbstbewusst zur Schau, klingen dank der Vielzahl der Einflüsse, denen sie ausgesetzt sind (und die weit über die Sechziger Jahre hinausreichen) dann aber doch anders, als es irgendeine Band damals je gekonnt hätte. Nicht nur die stilistischen Grenzen, auch die zeitlichen Ebenen sind längst ins Schwimmen geraten. Ein Thema, welches sich bei The Mergers auch textlich niederschlägt.

Zeit ist ein Konstrukt

„Das Thema Zeit ist auf der neuen Platte sehr präsent“, sinniert Jerry/Axel und schiebt sich noch ein Stück Schinken-Käse-Baguette in den Mund. „Das hat durchaus mit dem Soundbild zu tun, dieses etwas Verspulte, diese Gleichzeitigkeit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft… Zeit ist etwas Unwirkliches. Die Zeit, nach der wir hier leben, ist ja letztlich ein selbst gemachtes Konstrukt. Man kann Zeit ja gar nicht richtig verstehen, es sei denn, man sagt, man trifft sich um zehn zum Interview. Aber allein, wie lange es diesen Planeten schon gibt und noch geben wird – das ist alles so schwer greifbar...“

Greifbar bleibt immerhin die Musik von The Mergers, die nach langer Pandemie-Pause ihren nunmehr psychedelischen Sixties-Beat auch endlich wieder live präsentieren. Am 9. Oktober 2021 ist die Band beim Nürnberg.Pop-Festival zu Gast. Das könnte durchaus eine angenehm verspulte Offenbarung werden.

Aktuelles Album: The Mergers, „Three Apples in the Orange Grove“ (Soundflat/Broken Silence)

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