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Poetry Slam Legende Michael Jakob im Podcast: "Die Kulturbranche ist im Corona-Burnout"

7.10.2021, 09:39 Uhr
Manchmal muss es auch weh tun: Michael Jakob auf der Bühne.

© Andi Pontanus Manchmal muss es auch weh tun: Michael Jakob auf der Bühne.

Michael, Du bist ein Urgestein, ein Guru, ja, die graue Eminenz des fränkischen Poetry Slam. Herzlich Willkommen!

Ich versuche gerade, mir das Grinsen zu unterdrücken. Jeder einzelne Begriff hört sich so furchtbar alt an. Als würde hier Gandalf sitzen. Dabei hatte ich gestern erst ein Gespräch mit einer guten Freundin, wie jung ich mich innerlich noch fühle.

Du bist natürlich nicht alt. Du bist nur schon so lang dabei. Wie lang?

Ich hab mit minus fünf Jahren angefangen Und daher bin ich jetzt... Nein. Es sind tatsächlich 19 Jahre Poetry Slam. Damals, als es noch keiner kannte, hatte ich das schon ausgegraben – und dann in Franken zum Leben erweckt.

Geht es Dir nur darum, Leute zu unterhalten, oder auch, etwas pathetisch ausgedrückt: die Welt zu verändern? Man hört bei Dir ja durchaus sozialkritische Ansätze heraus.

Ich glaube, den Anspruch haben fast alle Künstlerinnen und Künstler. Man fängt normalerweise nicht damit an, weil man Geld verdienen will. Man geht auf die Bühne, weil man das Gefühl hat: Oha, ich habe etwas zu sagen. Ich habe früher Kabarett gemacht, das war richtig hart politisch. Wir haben Sketche über die Todesstrafe gemacht – wo die Leute froh waren, wenn es nach drei Minuten wieder etwas zu lachen gab. Wir sind immer auch an die Grenzen gegangen und das habe ich beim Poetry Slam beibehalten. Texte, die auch mal in die Magengrube boxen. Wenn nach der Show jemand zu dir kommt und sagt: Ich habe heute geweint wegen deines Textes. Das ist ein viel größeres Kompliment, als wenn jemand sagt: Ich fand’s lustig.

Was sind die Themen, für die Du Dich besonders interessierst?

Hashtag linksgrün-versiffte Hippie-Scheiße? (lacht) Nein, ich versuche auch immer, die anderen Blickwinkel auszuleuchten. Aber, wenn ich jetzt mal ganz objektiv darüber nachdenke: Wir können doch zum Beispiel nicht ernsthaft wollen, dass die Umwelt kaputt geht.

Bist Du auf Facebook?

Ja, das ist wirklich schlimm geworden. Es wird gar keine andere Meinung zugelassen. Also, selbst die linksgrün-versifften Hippies lassen keine andere Meinung zu. Wenn einer mal einen AfD-Post teilt – und wenn es nur aus Versehen ist – wird er sofort entfreundet. Ich lösche eigentlich nur Menschen aus meiner Freundesliste, wenn sie mir gegenüber Scheiße waren. Nicht, weil sie eine andere Meinung haben.

Erzähl doch mal ganz unbescheiden von Deinen Poetry-Slam-Erfolgen.

Das kann ich gar nicht. Ich war neulich auf einer Veranstaltung, da hat jemand wirklich Wikipedia zitiert: hat Lehraufträge für Poetry Slam, hat über 100 regionale Wettbewerbe gewonnen. In dem Moment guckten mich alle an und schauten so respektvoll. Es war mir so unangenehm, dass ich dazwischengerufen habe: Ich war immer der einzige Teilnehmer. Um den Druck rauszunehmen. Aber die Zahlen stimmen schon: Über 100 Siege bei 300 Teilnahmen, zweimal in Folge fränkischer Meister. Bei den deutschsprachigen Meisterschaften hatte ich ein bisschen Pech. Sage ich jetzt mal so, auch wenn es komisch klingt.

Das musst Du erklären.

Wenn man bei einer Meisterschaft von Startplatz 1 startet, hat man einfach keine Chance. Und den hatte ich leider sehr oft. 2011 hatte ich richtig Ambitionen, ich wollte einmal im Finale stehen. Da bin ich wirklich mit der Bahncard 100 getourt. Die Texte konnte ich im Schlaf. Ich war richtig on fire, wie man so schön sagt. Ich hatte Texte, die alle weggeflext haben! Ich hatte die Burner in der Tasche! Und dann hatte ich wieder den absolut miesen Startplatz und bin in der Vorrunde rausgeflogen.

Du hast das damals also durchaus mit viel Ehrgeiz verfolgt. Dann hast Du mit den Wettbewerben aufgehört. Warum?

Es wurde tatsächlich zu viel. Ich hatte in dem Jahr 220 Auftritte und über 60 Workshops – das waren 70-Stunden-Wochen. Mittlerweile war ich Papa geworden und habe irgendwann gesagt: Das will ich in Zukunft nicht mehr.

Du bist Künstler, Soloselbstständiger, Familienvater. Wie bist du bisher durch die Pandemie gekommen?

Nicht gut. Die Branche wurde am Anfang vergessen und hat es immer noch am schwersten. Ich habe heute ein Interview mit einem Fitnessstudio-Betreiber gelesen, der hat gesagt: 80 Prozent der Kunden haben sie wieder. Davon ist die Kulturbranche meilenweit entfernt. Es heißt jetzt immer: Ihr dürft ja wieder. Ja, wir dürfen. Wir können aber nicht. Die Leute sind noch nicht so weit. Kein Mensch blickt mehr durch, welche Regel gilt. Wir arbeiten für jede Show aktuell dreimal so viel wie vorher. Dafür, dass im Schnitt noch ein Drittel des Publikums kommt. Die ganze Branche ist im Burnout gerade und versucht, sich irgendwie über die nächste Zeit zu retten – immer mit fest gedrückten Daumen.

Auch wir drücken die Daumen. Letzte Frage: Wo lässt du deine Anzüge schneidern?

Ich habe ein paar chinesische Schneider entführt und halte sie solange gefangen, bis sie 1000 Stück fertig haben. (lacht) Nein. Ich hatte gehofft, Du fragst mich, wie viele Anzüge ich habe.

Wie viele hast Du?

Alle.

Gute Antwort.

Es sind um die 80 Stück mittlerweile. Ich hatte schon vorher schrille Outfits, bis ich dann entdeckt habe, dass es total verrückte Anzüge gibt – ab Fabrik. Ich lasse mir die nicht teuer machen. Ich habe zum Beispiel einen Anzug, das ist für

mich der Premieren-Anzug. Den habe ich immer an, wenn irgendwo ein neuer Poetry-Slam-Club gegründet wird. Der Anzug kann mittlerweile auch ohne mich moderieren. Der ist so drin in dem Business, da muss ich gar nicht mehr kommen.

Mehr zu Michael Jakob gibt es auf www.michaeljakob.de

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