Schmerzende Gefühle der Ausweglosigkeit

20.12.2011, 00:00 Uhr
Schmerzende Gefühle der Ausweglosigkeit

Manchmal gibt es Begegnungen, die bestehen nur aus einem Blick und sind dann schon wieder vorbei. Aber dieser eine flüchtige Augenkontakt ist dann doch ganz unbewusst schon der Beginn einer schicksalhaften Beziehung. Vor Jahren schlenderte der in Neumarkt lebende Realschullehrer Thomas Reche in Prag am Geburtshaus von Franz Kafka vorbei. Da kam ihm ein Mann entgegen, dessen Gesicht er kannte. Beide Spaziergänger lächelten sich fast freundschaftlich an, ohne aber auch nur ein Wort oder eine Begrüßung zu wechseln.

Der Mann war Václav Havel, Dichter und einstiger Staatspräsident von Tschechien. Dass Reche einmal ein Buch von ihm verlegen würde, stand damals noch in den Sternen – und war doch wohl in diesem Moment auf dem Prager Pflaster bereits stumm ausgemachte Sache.

Gegen die Verzweiflung

Jetzt liegt es da auf dem langen Esstisch in Thomas Reches Wohnzimmer in Neumarkt. In blaues Leinen gebunden, kostbar fühlt es sich an: „Fünfzehn Stimmungen“ heißt es und versammelt Briefe, die Havel aus dem Gefängnis, wo er Anfang der 80er Jahren aufgrund seines regimekritischen Engagement einsitzen musste, an seine Frau Olga schrieb. Es sind Briefe der rigorosen Selbsterforschung, Episteln gegen die Verzweiflung, geschrieben aus der Einsamkeit heraus. Der aus Wien stammende Fotograf Erich Lessing, selber Emigrant und vertraut mit den schmerzenden Gefühlen der Ausweglosigkeit, hat schwarz-weiße Bilder dazu gemacht, die eben diese Stimmungen Havels nochmals und weiter erzählen.

Am vergangenen Sonntag starb Václav Havel und „Fünfzehn Stimmungen“ ist somit sein letztes zu seinen Lebzeiten erschienene Buch. „Er hat sich noch sehr darüber gefreut und ließ mir ausrichten, dass er es seinen deutschen Freunden zu Weihnachten schenken wolle,“ sagt Thomas Reche. „Die Idee, mit diesen Gefängnisbriefen hatte ich gleich nach unserer Begegnung. Aber erst als ich im November 2010 einige Tage im Archiv des Magnum-Fotografen Erich Lessing in Wien arbeitete und dort stille, dunkle Bilder ohne Menschen sah, fasste ich den Mut, an Havel zu schreiben. Dann ging es sehr schnell, der tschechische Außenminister Schwarzenberg, ein Freund Lessings, brachte die beiden zusammen und mir die Zusage. Eigentlich wollte Havel noch eine Einleitung schreiben, aber das schaffte er wegen seiner schweren Krankheit leider nicht mehr.“

Bescheiden und stolz gleichermaßen plaudert der 45-Jährige von derartigen Begegnungen und Glücksfällen in seinem „Verleger-Leben“, das er führt neben dem Alltag in der Schule und daheim mit Frau und Kind. Seit 1988 gibt es seinen Ein-Mann-Verlag. Reche bewies sich von Anfang an als Liebhaber der Buchkunst auf einem Markt, den längst die schnelle, schludrige Massenware bestimmte.

„Frech“ sei er gewesen, sagt Thomas Reche, und habe ganz einfach Autoren, die er selber gerne las, angeschrieben. So ergaben sich fast wie von selbst Kontakte (und persönliche Begegnungen, Briefwechsel) mit Hermann Lenz oder Ernst Jünger, mit Günter Kunert oder mit Nobelpreisträgern wie Imre Kertész, J.M. Coetzee und Wole Soyinka. Sie alle konnte der Verleger mit seinem Konzept, anspruchsvolle Literatur mit visuellen Kommentaren zu einem einzigartigen Buch-Erlebnis zu kombinieren, überzeugen. Internationale Autoren wie Les Murray oder John Ashbery kamen hinzu, deutschsprachige wie Christoph Meckel oder Reiner Kunze, bildende Künstler wie Alfred Hrdlicka, Kurt Löb oder Susanne Theumer, renommierte Fotografen wie Thomas Hoepker oder Barbara Klemm.

Kleine Auflagen

So entstanden mit der Zeit Bücher mit engagierten und poetischen Texten nebst Grafiken und Fotos: Typografie, Fadenheftung, Leineneinband, ungewöhnliche Formate – gedruckte Werke aus dem Reche-Verlag hält man wie Gesamtkunstwerke, die alle Sinne ansprechen, in den Händen. Nummeriert und signiert, in kleiner Auflage, sind sie, da schnell vergriffen, im Antiquariat zu hohen Preisen zu finden. Was dem Verleger freilich nichts mehr nützt.

Was den Verlag auszeichnet, kann man schon an den Namen seiner Reihen ablesen: eine heißt zum Beispiel „Refugium“, und die Nische, in der sich Reche heimisch fühlt, ist leicht herauszuhören; eine andere „Ligaturen“: darunter versteht man die im alten Bleisatz entwickelte Verschmelzung von Buchstaben zur Vermeidung von Lücken. Der Neumarkter Verleger ist ein Meister im Aufspüren solcher Lücken. Und er schließt sie so klug wie liebevoll mit Büchern, die aus unserer Zeit fallen und deshalb so notwendig sind.

Infos und Verlagsprogramm: www.verlag-thomas-reche.de
 

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