Das sollten Sie lesen!

Unsere Buchtipps für den Herbst

27.10.2021, 11:17 Uhr
"Lieder vom Ende des Kapitalismus": So hat Peter Licht, dieser Ausnahmesänger des deutschen Pops, schon mal ein Album genannt. Sein neuer Roman "Ja okay, aber" ist das auch. Ein Lied vom Ende des Kapitalismus, mit einem bizarr namen- wie selbstlosen Helden, der nicht in einem Büro, sondern einem "Co-Working-Space" sein Dasein fristet und sich, wie alle anderen der schrägen Mitarbeiter (allen voran eine "Allroundkünstlerin", bei der schon mal "ein Rudel nackter Martial-Arts-Kämpferinnen ein Auto vergewaltigt") nur mittels Kaffeemaschine am Leben hält. Ein einziger Hohlspiegel unserer Welt. (Tropen, 20 Euro) Wolf Ebersberger
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"Lieder vom Ende des Kapitalismus": So hat Peter Licht, dieser Ausnahmesänger des deutschen Pops, schon mal ein Album genannt. Sein neuer Roman "Ja okay, aber" ist das auch. Ein Lied vom Ende des Kapitalismus, mit einem bizarr namen- wie selbstlosen Helden, der nicht in einem Büro, sondern einem "Co-Working-Space" sein Dasein fristet und sich, wie alle anderen der schrägen Mitarbeiter (allen voran eine "Allroundkünstlerin", bei der schon mal "ein Rudel nackter Martial-Arts-Kämpferinnen ein Auto vergewaltigt") nur mittels Kaffeemaschine am Leben hält. Ein einziger Hohlspiegel unserer Welt. (Tropen, 20 Euro) Wolf Ebersberger © Klett-Cotta Verlag/Montage: Sabine Schmid

Nach dem Literaturnobelpreis empfiehlt sich Herta Müller weiter als Anwärterin auf den Collagennobelpreis. "Der Beamte sagte" ist etwas für Entdecker mit weitem Lese-Horizont: ein neuer Band ihrer poetischen, eigenhändig illustrierten Papier-Schnipseleien. Herta Müller gruppiert ausgeschnittene Worte aus Drucksachen akribisch zu neuem (Un-)Sinn und klebt daraus diesmal eine mögliche Erzählung über eine Nürnberger Etappe ihres Lebenswegs: das Aussiedler-Auffanglager in Langwasser, wo die Rumäniendeutsche 1987 ankam. (Hanser, 24 Euro) Isabel Lauer
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Nach dem Literaturnobelpreis empfiehlt sich Herta Müller weiter als Anwärterin auf den Collagennobelpreis. "Der Beamte sagte" ist etwas für Entdecker mit weitem Lese-Horizont: ein neuer Band ihrer poetischen, eigenhändig illustrierten Papier-Schnipseleien. Herta Müller gruppiert ausgeschnittene Worte aus Drucksachen akribisch zu neuem (Un-)Sinn und klebt daraus diesmal eine mögliche Erzählung über eine Nürnberger Etappe ihres Lebenswegs: das Aussiedler-Auffanglager in Langwasser, wo die Rumäniendeutsche 1987 ankam. (Hanser, 24 Euro) Isabel Lauer © Carl Hanser Verlag/Montage: Sabine Schmid

Wenn erst die Verfilmung, soeben in Venedig mit dem Goldenen Löwen gekürt, ins Kino kommt, wird auch das Buch davon profitieren. Man fragt sich nur: Wie lässt sich "Das Ereignis" überhaupt verfilmen? Es geht autobiografisch um eine Abtreibung im Jahr 1964 und die Nöte, die sich daraus ergaben, aber wie alle der schmalen Werke von Annie Ernaux ist der Reiz der Geschichte das Moment des Erinnerns: das schwierige und schmerzhafte Eintauchen in eine Welt, die die französische Autorin erst anhand ihres Tagebuchs und Kalenders rekonstruieren muss. Auch literarisch also: ein Ereignis! (Suhrkamp, 18 Euro) Wolf Ebersberger
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Wenn erst die Verfilmung, soeben in Venedig mit dem Goldenen Löwen gekürt, ins Kino kommt, wird auch das Buch davon profitieren. Man fragt sich nur: Wie lässt sich "Das Ereignis" überhaupt verfilmen? Es geht autobiografisch um eine Abtreibung im Jahr 1964 und die Nöte, die sich daraus ergaben, aber wie alle der schmalen Werke von Annie Ernaux ist der Reiz der Geschichte das Moment des Erinnerns: das schwierige und schmerzhafte Eintauchen in eine Welt, die die französische Autorin erst anhand ihres Tagebuchs und Kalenders rekonstruieren muss. Auch literarisch also: ein Ereignis! (Suhrkamp, 18 Euro) Wolf Ebersberger © Suhrkamp Verlag/Montage: Sabine Schmid

Wo soll das Leben weitergehen? Der Aussteiger Bengt Claasen lässt den Zufall entscheiden und landet in dem seltsamen Dorf Zandschow in der tiefsten nordostdeutschen Provinz. Dort erfreut er sich an den bizarren Ritualen der Bewohner. Wer  aufgrund dieser Beschreibung jetzt aber denkt, dass Thomas Kunst dem Leser in "Zandschower Klinken" (Suhrkamp, 22 Euro) eine stringente Geschichte erzählt, ist auf der falschen Fährte. Der Roman lebt von Sprachwitz und Anarchie, nicht von Figurenkonstellationen oder Handlungssträngen. Die Fachwelt hat der 1965 in Stralsund geborene Autor damit überzeugt: Er schaffte es sogar auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis.  In diesem Sinne: Viel Vergnügen bei einer ungewöhnlichen Lektüre! Marco Puschner
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Wo soll das Leben weitergehen? Der Aussteiger Bengt Claasen lässt den Zufall entscheiden und landet in dem seltsamen Dorf Zandschow in der tiefsten nordostdeutschen Provinz. Dort erfreut er sich an den bizarren Ritualen der Bewohner. Wer  aufgrund dieser Beschreibung jetzt aber denkt, dass Thomas Kunst dem Leser in "Zandschower Klinken" (Suhrkamp, 22 Euro) eine stringente Geschichte erzählt, ist auf der falschen Fährte. Der Roman lebt von Sprachwitz und Anarchie, nicht von Figurenkonstellationen oder Handlungssträngen. Die Fachwelt hat der 1965 in Stralsund geborene Autor damit überzeugt: Er schaffte es sogar auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis.  In diesem Sinne: Viel Vergnügen bei einer ungewöhnlichen Lektüre! Marco Puschner © Suhrkamp Verlag/Montage: Sabine Schmid

Er war dabei und kann davon auch unvergleichlich erzählen: In Peter Zadeks legendärer "Hamlet"-Inszenierung von 1999, in der Angela Winkler die Titelrolle spielte, war der Schriftsteller und Schauspieler Klaus Pohl als Horatio besetzt. Die Geschichte dieser Herkulesarbeit, die unter keinem guten Stern stand, gibt er nun in seinem halbfiktionalen Roman "Sein oder Nichtsein" (Galiani, 23 Euro) wieder, der auf minutiösen Aufzeichnungen basiert, die Pohl während der Probenzeit machte. Und hier begegnen wir noch einmal dem alten weißen Mann, Zadek eben, einem Regisseur, der ausrasten und brüllen konnte, der schikanierte und tyrannisierte – damals war das normal. Heute müsste er unter dem Protestgekreische der Kämpfer für Gleichberechtigung und gegen Machtmissbrauch an deutschen Bühnen seinen Hut nehmen und die Kunst sausen lassen. Ein sehr lesenswertes Dokument aus fernen Zeiten. Bernd Noack
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Er war dabei und kann davon auch unvergleichlich erzählen: In Peter Zadeks legendärer "Hamlet"-Inszenierung von 1999, in der Angela Winkler die Titelrolle spielte, war der Schriftsteller und Schauspieler Klaus Pohl als Horatio besetzt. Die Geschichte dieser Herkulesarbeit, die unter keinem guten Stern stand, gibt er nun in seinem halbfiktionalen Roman "Sein oder Nichtsein" (Galiani, 23 Euro) wieder, der auf minutiösen Aufzeichnungen basiert, die Pohl während der Probenzeit machte. Und hier begegnen wir noch einmal dem alten weißen Mann, Zadek eben, einem Regisseur, der ausrasten und brüllen konnte, der schikanierte und tyrannisierte – damals war das normal. Heute müsste er unter dem Protestgekreische der Kämpfer für Gleichberechtigung und gegen Machtmissbrauch an deutschen Bühnen seinen Hut nehmen und die Kunst sausen lassen. Ein sehr lesenswertes Dokument aus fernen Zeiten. Bernd Noack © Verlag Kiepenheuer & Witsch/Montage: Sabine Schmid

Ein Smartphone? Nein, danke. Alberto Manguel hat doch seine 40 000 Bücher, da steht alles Wichtige drin, mehr als man braucht! Die Bücher aber braucht der Büchermaniac, der bereits eine wunderbare "Geschichte des Lesens" geschrieben hat (einen Weltbestseller sogar) und anderes mehr. Im sympathischen Gespräch mit Sieglinde Geisel erzählt der Kanadier mit jüdischen Wurzeln und Geburtsort Buenos Aires von der Leidenschaft des Sammelns, von der täglichen Dante-Lektüre und dem Odyssee-Schicksal seiner Bibliothek, die nun in Lissabon eine neue Heimat gefunden hat: "Ein geträumtes Leben" (Kampa, 22 Euro). Wolf Ebersberger
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Ein Smartphone? Nein, danke. Alberto Manguel hat doch seine 40 000 Bücher, da steht alles Wichtige drin, mehr als man braucht! Die Bücher aber braucht der Büchermaniac, der bereits eine wunderbare "Geschichte des Lesens" geschrieben hat (einen Weltbestseller sogar) und anderes mehr. Im sympathischen Gespräch mit Sieglinde Geisel erzählt der Kanadier mit jüdischen Wurzeln und Geburtsort Buenos Aires von der Leidenschaft des Sammelns, von der täglichen Dante-Lektüre und dem Odyssee-Schicksal seiner Bibliothek, die nun in Lissabon eine neue Heimat gefunden hat: "Ein geträumtes Leben" (Kampa, 22 Euro). Wolf Ebersberger © Kampa Verlag/Montage: Sabine Schmid

Mit seinem vor einiger Zeit erschienenen Roman "Winterbergs letzte Reise" hat der tschechische Autor Jaroslav Rudiš wunderbar vorgeführt, dass das Reisen mit der Bahn auch eine Abenteuerfahrt mitten hinein in die vergangene Geschichte Mitteleuropas sein kann. Kreuz und quer, von Berlin über Wien nach Sarajevo, begeben sich da zwei ungleiche Antihelden auf die Suche nach verlorenen Zeiten, begegnen fremden Schicksalen und sich selber im Fahrplantakt. Mit seiner "Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen" (Piper, 15 Euro) legt der Schriftsteller nun quasi den höchst amüsanten theoretischen Unterbau vor: die Entdeckung der Langsamkeit auf Schienen und eine Sammlung skurriler Anekdoten und Erzählungen zwischen Speisewagen und Vorort-Bahnhof, Schaffner-Sehnsüchten und Schmalspur-Glück. Bernd Noack
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Mit seinem vor einiger Zeit erschienenen Roman "Winterbergs letzte Reise" hat der tschechische Autor Jaroslav Rudiš wunderbar vorgeführt, dass das Reisen mit der Bahn auch eine Abenteuerfahrt mitten hinein in die vergangene Geschichte Mitteleuropas sein kann. Kreuz und quer, von Berlin über Wien nach Sarajevo, begeben sich da zwei ungleiche Antihelden auf die Suche nach verlorenen Zeiten, begegnen fremden Schicksalen und sich selber im Fahrplantakt. Mit seiner "Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen" (Piper, 15 Euro) legt der Schriftsteller nun quasi den höchst amüsanten theoretischen Unterbau vor: die Entdeckung der Langsamkeit auf Schienen und eine Sammlung skurriler Anekdoten und Erzählungen zwischen Speisewagen und Vorort-Bahnhof, Schaffner-Sehnsüchten und Schmalspur-Glück. Bernd Noack © PiperVerlag/Montage: Sabine Schmid

Mit "Sommer" legt die schottische Autorin Ali Smith nach fünf Jahren den preisgekrönten Abschluss ihrer Jahreszeiten-Romane vor - und den darf man auch noch im Herbst lesen. Ob Flüchtlingskrise, Umweltschutz, Corona, Brexit, Aufarbeitung von Nazivergangenheit, Folter oder Pornomissbrauch: Die Fülle der aktuellen Problematik auf den vielen verwobenen Ebenen könnte einen fast erschlagen. Aber auch hier gilt für die Lektüre die Empfehlung der Autorin: "Bücher brauchen Zeit, um sich uns nach und nach zu erschließen, wir brauchen Zeit, um zu begreifen, was sie ausmacht." Und dann ist man unweigerlich mittendrin... (Luchterhand, 22 Euro). Anja Weigmann
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Mit "Sommer" legt die schottische Autorin Ali Smith nach fünf Jahren den preisgekrönten Abschluss ihrer Jahreszeiten-Romane vor - und den darf man auch noch im Herbst lesen. Ob Flüchtlingskrise, Umweltschutz, Corona, Brexit, Aufarbeitung von Nazivergangenheit, Folter oder Pornomissbrauch: Die Fülle der aktuellen Problematik auf den vielen verwobenen Ebenen könnte einen fast erschlagen. Aber auch hier gilt für die Lektüre die Empfehlung der Autorin: "Bücher brauchen Zeit, um sich uns nach und nach zu erschließen, wir brauchen Zeit, um zu begreifen, was sie ausmacht." Und dann ist man unweigerlich mittendrin... (Luchterhand, 22 Euro). Anja Weigmann © Luchterhand-Literaturverlag/Montage: Sabine Schmid

Er war Beatboxer und Spoken-Word-Lyriker, also einer, der schnell die Worte schießen und treffen lassen kann. Er hat aber auch den langen Atem für einen Roman, der mit seiner schön durchgehaltenen Absurdität zu einem der amüsantesten Leseerlebnisse dieses Herbstes zählt. "Pappel" (Voland & Quist, 24 Euro) des in Frankfurt lebenden Autors Dalibor Marković ist die abenteuerliche Geschichte eines Baumes, der Mensch wird. Mühelos reist dieser Konrad Pappel durch die letzten 150 Jahre in einem Europa, das krisengeschüttelt stets vor dem Abgrund steht. Auf mysteriöse Weise ist sein Leben mit dem Franz Kafkas verquickt und die einzelnen Kapitel des Buches orientieren sich auch locker an den Werken des Prager Vorbilds. Wenn da nicht die einzige erhaltene Sprachaufnahme mit der Stimme Kafkas wäre, die den heillosen Herumtreiber von einer Bredouille in die nächste bringt… Bernd Noack   
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Er war Beatboxer und Spoken-Word-Lyriker, also einer, der schnell die Worte schießen und treffen lassen kann. Er hat aber auch den langen Atem für einen Roman, der mit seiner schön durchgehaltenen Absurdität zu einem der amüsantesten Leseerlebnisse dieses Herbstes zählt. "Pappel" (Voland & Quist, 24 Euro) des in Frankfurt lebenden Autors Dalibor Marković ist die abenteuerliche Geschichte eines Baumes, der Mensch wird. Mühelos reist dieser Konrad Pappel durch die letzten 150 Jahre in einem Europa, das krisengeschüttelt stets vor dem Abgrund steht. Auf mysteriöse Weise ist sein Leben mit dem Franz Kafkas verquickt und die einzelnen Kapitel des Buches orientieren sich auch locker an den Werken des Prager Vorbilds. Wenn da nicht die einzige erhaltene Sprachaufnahme mit der Stimme Kafkas wäre, die den heillosen Herumtreiber von einer Bredouille in die nächste bringt… Bernd Noack   © Voland & Quist/Montage: Sabine Schmid

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