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Unsere Buchtipps im Frühjahr

30.3.2022, 11:35 Uhr
"Die Heldin reist" nennt Doris Dörrie dieses kluge Buch der Erinnerung: und ist viel zu bescheiden, um sich selbst damit zu meinen. Fast mehr als das eigene Leben sind es ja die Erfahrungen zweier alter Freundinnen, die Dörrie anhand von Reisen nach Japan (ihr Sehnsuchtsland seit je), Amerika und Marokko beschreibt. Tragikomisch, wie sie es mag, im Plauderton und doch voll existenzieller Fragen an weibliche Abenteuer. Bei denen leider nicht selten männliche Gewalt im Spiel ist... Sehr bewegend am Ende. (Diogenes, 22 Euro) Wolf Ebersberger
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"Die Heldin reist" nennt Doris Dörrie dieses kluge Buch der Erinnerung: und ist viel zu bescheiden, um sich selbst damit zu meinen. Fast mehr als das eigene Leben sind es ja die Erfahrungen zweier alter Freundinnen, die Dörrie anhand von Reisen nach Japan (ihr Sehnsuchtsland seit je), Amerika und Marokko beschreibt. Tragikomisch, wie sie es mag, im Plauderton und doch voll existenzieller Fragen an weibliche Abenteuer. Bei denen leider nicht selten männliche Gewalt im Spiel ist... Sehr bewegend am Ende. (Diogenes, 22 Euro) Wolf Ebersberger © Diogenes Verlag/Montage: Sabine Schmid

Monika Helfer, Bestsellerautorin und Chronistin, schöpft für ihre Romane aus der prallen Geschichte ihrer Vorarlberger Familie. Auch mit "Löwenherz" (Hanser, 20 Euro), dem schmalen Buch über ihren kauzigen Bruder, zieht sie den Leser sofort in den Bann. Nicht zuletzt, weil sie bildreich und flott zu erzählen versteht und mit ihrer gleichsam ungefilterten Sprache die Bodenhaftung behält. Birgit Nüchterlein  
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Monika Helfer, Bestsellerautorin und Chronistin, schöpft für ihre Romane aus der prallen Geschichte ihrer Vorarlberger Familie. Auch mit "Löwenherz" (Hanser, 20 Euro), dem schmalen Buch über ihren kauzigen Bruder, zieht sie den Leser sofort in den Bann. Nicht zuletzt, weil sie bildreich und flott zu erzählen versteht und mit ihrer gleichsam ungefilterten Sprache die Bodenhaftung behält. Birgit Nüchterlein
  © Hanser Verlag/Montage: Sabine Schmid

Wie oft kommt es vor, dass man sich wünscht, ein Buch wäre länger? Selten. "Zukunftsmusik" von Katerina Poladjan ist so ein Fall. Der kleine Roman führt ins Russland der 80er Jahre zurück, in eine jener Kommunalka genannten Zwangs-WGs, in denen Familien auf engstem Raum leben. So auch die der selber noch ganz jungen Mutter Janka: vier Generationen von Frauen, alle ohne Männer. An dem Tag, an dem Gorbatschow (namentlich gar nicht erwähnt) neuer Generalsekretär wird, plant Janka ein Konzert und das Leben steht Kopf. So schön, so weise wie Tschechow. (S. Fischer, 22 Euro). Wolf Ebersberger
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Wie oft kommt es vor, dass man sich wünscht, ein Buch wäre länger? Selten. "Zukunftsmusik" von Katerina Poladjan ist so ein Fall. Der kleine Roman führt ins Russland der 80er Jahre zurück, in eine jener Kommunalka genannten Zwangs-WGs, in denen Familien auf engstem Raum leben. So auch die der selber noch ganz jungen Mutter Janka: vier Generationen von Frauen, alle ohne Männer. An dem Tag, an dem Gorbatschow (namentlich gar nicht erwähnt) neuer Generalsekretär wird, plant Janka ein Konzert und das Leben steht Kopf. So schön, so weise wie Tschechow. (S. Fischer, 22 Euro). Wolf Ebersberger © S. Fischer Verlag/Montage: Sabine Schmid

Bräuchte er nicht selber Hilfe? Denn wie reagiert man als Vater, wenn man mitgeteilt bekommt, dass die geliebte kleine Tochter, 12 Jahre alt, unheilbar krank ist? Aber dann entdeckt Zach in einer gebraucht gekauften Jacke einen mysteriösen Hilferuf... Mit "Erschütterung", der Geschichte um einen schwarzen Paläontologen in Los Angeles, dem das Leben außer Kontrolle gerät (die Ehe schon länger), schreibt sich Percival Everett in die erste Riege von US-Autoren vor. (Hanser, 23 Euro) Wolf Ebersberger
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Bräuchte er nicht selber Hilfe? Denn wie reagiert man als Vater, wenn man mitgeteilt bekommt, dass die geliebte kleine Tochter, 12 Jahre alt, unheilbar krank ist? Aber dann entdeckt Zach in einer gebraucht gekauften Jacke einen mysteriösen Hilferuf... Mit "Erschütterung", der Geschichte um einen schwarzen Paläontologen in Los Angeles, dem das Leben außer Kontrolle gerät (die Ehe schon länger), schreibt sich Percival Everett in die erste Riege von US-Autoren vor. (Hanser, 23 Euro) Wolf Ebersberger © Hanser Verlag/Montage: Sabine Schmid

"Ich kenne keinen unfeineren Wichser als unseren Vater." Ja, in dieser "Nordstadt" geht es brutal und unzweideutig zu, traurig obendrein, denn die Liebesgeschichte zwischen der jungen Bademeisterin Nene und dem gehandicapten Schwimmgast Boris wird vieles, bloß nicht süß. Die Gymnasiallehrerin Annika Büsing hat ihren schmalen Roman mit einer starken Frauenfigur – als Debüt beachtlich – Jugendlichen gewidmet, die in ihrer Heimatstadt Bochum auf der Schattenseite des Lebens stehen. (Steidl, 20 Euro) Isabel Lauer
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"Ich kenne keinen unfeineren Wichser als unseren Vater." Ja, in dieser "Nordstadt" geht es brutal und unzweideutig zu, traurig obendrein, denn die Liebesgeschichte zwischen der jungen Bademeisterin Nene und dem gehandicapten Schwimmgast Boris wird vieles, bloß nicht süß. Die Gymnasiallehrerin Annika Büsing hat ihren schmalen Roman mit einer starken Frauenfigur – als Debüt beachtlich – Jugendlichen gewidmet, die in ihrer Heimatstadt Bochum auf der Schattenseite des Lebens stehen. (Steidl, 20 Euro) Isabel Lauer © Steidl/Montage: Sabine Schmid

Mit "Rombo" ist Esther Kinsky ein ganz besonderes, bewegend poetisches Buch gelungen. In fiktiven Protokollen setzt sie Stück für Stück die Erinnerungen von sieben Männern und Frauen an die verheerenden Erdbeben von 1976 im Friaul zusammen. Eine Topographie von Schmerz und Verlust, die sie mit kühlen Landschaftsbeschreibungen zu einem vibrierenden Ganzen mischt (Suhrkamp, 24 Euro). Birgit Nüchterlein 
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Mit "Rombo" ist Esther Kinsky ein ganz besonderes, bewegend poetisches Buch gelungen. In fiktiven Protokollen setzt sie Stück für Stück die Erinnerungen von sieben Männern und Frauen an die verheerenden Erdbeben von 1976 im Friaul zusammen. Eine Topographie von Schmerz und Verlust, die sie mit kühlen Landschaftsbeschreibungen zu einem vibrierenden Ganzen mischt (Suhrkamp, 24 Euro). Birgit Nüchterlein  © Suhrkamp Verlag/Montage: Sabine Schmid

Vor 40 Jahren erschien Umberto Ecos erster Roman "Der Name der Rose" auch auf Deutsch - ein Bestseller wider Erwarten, weltweit 50 Millionen Mal verkauft. Gemeinsam mit Patrick Süskinds "Parfum" läutete das Buch das Revival des gehobenen historischen Romans ein, raffiniert und postmodern. Für die Jubiläumsausgabe hat Burkhart Kroeber seine Übersetzung nachgeschliffen und der Verlag kleine Zeichnungen von Eco beigefügt. (Hanser, 34 Euro). Wolf Ebersberger
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Vor 40 Jahren erschien Umberto Ecos erster Roman "Der Name der Rose" auch auf Deutsch - ein Bestseller wider Erwarten, weltweit 50 Millionen Mal verkauft. Gemeinsam mit Patrick Süskinds "Parfum" läutete das Buch das Revival des gehobenen historischen Romans ein, raffiniert und postmodern. Für die Jubiläumsausgabe hat Burkhart Kroeber seine Übersetzung nachgeschliffen und der Verlag kleine Zeichnungen von Eco beigefügt. (Hanser, 34 Euro). Wolf Ebersberger © Hanser Verlag/Montage: Sabine Schmid

Eigentlich will Gerhard Henschel mit seiner Deutschland-Saga ja irgendwann die Gegenwart erreichen. Das dürfte noch dauern, denn mit dem aktuellen "Schauerroman" deckt er trotz der stattlichen 592 Seiten lediglich die Jahre 1992 bis 1994 ab. Die Fans dürfte es freuen, denn so müssen noch viele dicke Bücher folgen, in denen die Lebensgeschichte von Henschels Alter Ego Martin Schlosser erzählt wird. Im neunten Teil des Romanzyklus wird er Mitglied des Satiremagazins "Titanic". Es lohnt sich, den meinungsstarken Protagonisten dorthin zu begleiten...  (Hoffmann & Campe, 26 Euro) Marco Puschner
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Eigentlich will Gerhard Henschel mit seiner Deutschland-Saga ja irgendwann die Gegenwart erreichen. Das dürfte noch dauern, denn mit dem aktuellen "Schauerroman" deckt er trotz der stattlichen 592 Seiten lediglich die Jahre 1992 bis 1994 ab. Die Fans dürfte es freuen, denn so müssen noch viele dicke Bücher folgen, in denen die Lebensgeschichte von Henschels Alter Ego Martin Schlosser erzählt wird. Im neunten Teil des Romanzyklus wird er Mitglied des Satiremagazins "Titanic". Es lohnt sich, den meinungsstarken Protagonisten dorthin zu begleiten...  (Hoffmann & Campe, 26 Euro) Marco Puschner © Hoffmann und Campe Verlag/Montage: Sabine Schmid

Schön, dass es immer wieder was zu entdecken gibt! Angelika Meier zum Beispiel, eine 1968 in Berlin geborene Schriftstellerin, der der große Erfolg bislang und erstaunlicherweise versagt blieb. Eine stille Autorin, in deren Büchern der banalen Wirklichkeit gekonnt das Skurrile und Absurde beigemischt wird, sodass sie aufs Schönste verwirren und unterhalten. In "Die Auflösung des Hauses Decker" (nicht von ungefähr erinnert der Titel an Poe!) steht ein Gebäude im Mittelpunkt, das von einem ungleichen Paar ausgeweidet und erforscht wird, wobei der Geist des verstorbenen Vaters im Verlauf keine unbedeutende Rolle spielt (diaphanes, 24 Euro). Meier erzählt mit sprachlicher Lust, verwunderter Neugier, bösem Humor: ein kluger Spaß. Bernd Noack
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Schön, dass es immer wieder was zu entdecken gibt! Angelika Meier zum Beispiel, eine 1968 in Berlin geborene Schriftstellerin, der der große Erfolg bislang und erstaunlicherweise versagt blieb. Eine stille Autorin, in deren Büchern der banalen Wirklichkeit gekonnt das Skurrile und Absurde beigemischt wird, sodass sie aufs Schönste verwirren und unterhalten. In "Die Auflösung des Hauses Decker" (nicht von ungefähr erinnert der Titel an Poe!) steht ein Gebäude im Mittelpunkt, das von einem ungleichen Paar ausgeweidet und erforscht wird, wobei der Geist des verstorbenen Vaters im Verlauf keine unbedeutende Rolle spielt (diaphanes, 24 Euro). Meier erzählt mit sprachlicher Lust, verwunderter Neugier, bösem Humor: ein kluger Spaß. Bernd Noack © Diaphanes AG/Montage: Sabine Schmid

Rathenau und Hitler, sagte der Historiker Sebastian Haffner, seien die beiden Erscheinungen gewesen, die die Phantasie der Deutschen aufs Äußerste gereizt haben. Der eine "durch seine unfassbare Gemeinheit", der andere aber "durch seine unfassliche Kultur". Diesem anderen, dem einstigen deutschen Außenminister Walter Rathenau, spürt der Journalist Thomas Hüetlin nach in seinem spannenden Buch "Berlin, 24. Juni 1922": an diesem Tag und also vor hundert Jahren wurde Rathenau vom braunen Mob am hellichten Tag ermordet. Es liest sich wie ein Krimi, wenn Hüetlin über die akribische Vorbereitung der Rechtsradikalen, der elitären Antisemiten, die lange vor Hitler für blutige politische Unruhe sorgten, über die rechtsblinde Justiz und die Tragik des jüdischen Bürgertums schreibt. Parallelen zu den Gewalttaten heutiger Neo-Nazis stecken zwischen den Zeilen. (Kiepenheuer & Witsch, 24 Euro)  Bernd Noack
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Rathenau und Hitler, sagte der Historiker Sebastian Haffner, seien die beiden Erscheinungen gewesen, die die Phantasie der Deutschen aufs Äußerste gereizt haben. Der eine "durch seine unfassbare Gemeinheit", der andere aber "durch seine unfassliche Kultur". Diesem anderen, dem einstigen deutschen Außenminister Walter Rathenau, spürt der Journalist Thomas Hüetlin nach in seinem spannenden Buch "Berlin, 24. Juni 1922": an diesem Tag und also vor hundert Jahren wurde Rathenau vom braunen Mob am hellichten Tag ermordet. Es liest sich wie ein Krimi, wenn Hüetlin über die akribische Vorbereitung der Rechtsradikalen, der elitären Antisemiten, die lange vor Hitler für blutige politische Unruhe sorgten, über die rechtsblinde Justiz und die Tragik des jüdischen Bürgertums schreibt. Parallelen zu den Gewalttaten heutiger Neo-Nazis stecken zwischen den Zeilen. (Kiepenheuer & Witsch, 24 Euro)  Bernd Noack © Kiepenheuer & Witsch/Montage: Sabine Schmid

Ob er wirklich "der Tarantino der Geschichtsschreibung" ist, sei einmal dahingestellt, aber dem polnischen Autor Szczepan Twardoch gelingt es auf jeden Fall, in die jüngere Historie einzutauchen und die Ereignisse so zu schildern, dass einem bisweilen der Atem stockt. Nach den großartigen Romanen "Morphin", "Der Boxer" oder "Das schwarze Königreich", die Warschau vor und während des Krieges als abgründige, schwarze, gewalttätige Welt zeigten, begibt er sich nun mit "Demut"  ins Berlin im Jahr 1918, wo ein schlesischer Bergmannssohn zwischen die Fronten im revolutionären Chaos gerät. Selten wurde von dieser Nachkriegszeit, die eigentlich nur Verlierer kannte, so akribisch und unmittelbar erzählt, und Twardoch gelingt es, die gesellschaftlichen Ereignisse mit dem traurigen Schicksal eines einzelnen Menschen zu verknüpfen, der doch nur auf der Suche nach Seelenruhe ist. Sprachlich ausufernd, vertrackt, verstörend. (Rowohlt, 25 Euro)  Bernd Noack   
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Ob er wirklich "der Tarantino der Geschichtsschreibung" ist, sei einmal dahingestellt, aber dem polnischen Autor Szczepan Twardoch gelingt es auf jeden Fall, in die jüngere Historie einzutauchen und die Ereignisse so zu schildern, dass einem bisweilen der Atem stockt. Nach den großartigen Romanen "Morphin", "Der Boxer" oder "Das schwarze Königreich", die Warschau vor und während des Krieges als abgründige, schwarze, gewalttätige Welt zeigten, begibt er sich nun mit "Demut"  ins Berlin im Jahr 1918, wo ein schlesischer Bergmannssohn zwischen die Fronten im revolutionären Chaos gerät. Selten wurde von dieser Nachkriegszeit, die eigentlich nur Verlierer kannte, so akribisch und unmittelbar erzählt, und Twardoch gelingt es, die gesellschaftlichen Ereignisse mit dem traurigen Schicksal eines einzelnen Menschen zu verknüpfen, der doch nur auf der Suche nach Seelenruhe ist. Sprachlich ausufernd, vertrackt, verstörend. (Rowohlt, 25 Euro)  Bernd Noack   © Rowohlt Verlag/Montage: Sabine Schmid

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