Dieses Gemüse wird zu unrecht schlechtgeredet

Wie die Gurke den Menschen auf dem Weg der Selbsterkenntnis weiterhelfen kann

20.8.2021, 23:01 Uhr
Wie kann man denn selbst als Gurke nur so vergurkt sein wie diese Salatgurke?

© Foto: Thomas Heinold Wie kann man denn selbst als Gurke nur so vergurkt sein wie diese Salatgurke?

Passt sich die Gurke dem Menschen oder der Mensch der Gurke an? Impressionen von Erwin Wurms Skulptur "Gurken".

Passt sich die Gurke dem Menschen oder der Mensch der Gurke an? Impressionen von Erwin Wurms Skulptur "Gurken". © Foto: Thomas Heinold

Kaum ein anderes Gemüse wird so diskriminiert und schlechtgeredet wie die Gurke. Wenn etwas schief geht, dann wurde es „vergurkt“; eine Tageszeitung nennt ihre Kolumne mit schrägen Themen „Die Gurke des Tages“.

Auch einer herzlichen Umarmung sind Erwin Wurms "Gurken" nicht abgeneigt.

Auch einer herzlichen Umarmung sind Erwin Wurms "Gurken" nicht abgeneigt. © Foto: Thomas Heinold

Wenn der FCN mal wieder miserabel gespielt hat, schimpfen manche die Mannschaft des Club eine „Gurkentruppe“. Und die jetzige Ferienzeit wird respektlos „Saure-Gurken-Zeit“ genannt, was irgendwie heißen soll, dass da nichts los ist.

Manch eine nutzt Erwin Wurms "Gurken" ganz pragmatisch: zum Schuhe wechseln zum Beispiel.

Manch eine nutzt Erwin Wurms "Gurken" ganz pragmatisch: zum Schuhe wechseln zum Beispiel. © Foto: Thomas Heinold

Erwin Wurm würde dem energisch widersprechen, hat er doch von sich sogar ein „Selbstporträt als Essiggurkerl“ geschaffen. Wurm ist einer der bekanntesten zeitgenössischen Künstler Österreichs und er hat ein Faible für diese bedeutsame Art aus der Familie der Kürbisgewächse.

Wer neben Erwin Wurms "Gurken" posiert, muss aufpassen, dass er nicht schlecht dabei aussieht.

Wer neben Erwin Wurms "Gurken" posiert, muss aufpassen, dass er nicht schlecht dabei aussieht. © Foto: Thomas Heinold

In Salzburg hat er eine wunderbare Skulptur errichtet, die den schlichten und treffenden Namen „Gurken“ trägt. Fünf Exemplare aus der Sortengruppe der Einlege- oder Gewürzgurke hat er dort vor zehn Jahren installiert.

So sieht sich der Künstler selbst: Erwin Wurms "Selbstporträt als Essiggurkerl".

So sieht sich der Künstler selbst: Erwin Wurms "Selbstporträt als Essiggurkerl". © imago images/Manfred Siebinger

Die Gurken stehen auf der Spitze und haben ungefähr Menschengröße. Da sie sich ganz in der Nähe der Festspielhäuser und damit auf einem sehr belebten Platz befinden, gibt es immer wunderbare Begegnungen zwischen Mensch und Gurke.

Auch gegen eine gesellige Umrahmung haben Erwin Wurms "Gurken" in der Regel nichts einzuwenden.

Auch gegen eine gesellige Umrahmung haben Erwin Wurms "Gurken" in der Regel nichts einzuwenden. © Foto: Thomas Heinold

Das ist ganz im Sinne Wurms. „Jede Gurke ist individuell verschieden, aber doch sofort als Gurke erkennbar und einem Ganzen zuordenbar (...) ähnlich den Menschen“, hat er zu seiner Installation gesagt.

Von wegen: nichts soll zwischen uns sein! Bei diesem Paar ist es zumindest eine von Erwin Wurms "Gurken".

Von wegen: nichts soll zwischen uns sein! Bei diesem Paar ist es zumindest eine von Erwin Wurms "Gurken". © Foto: Thomas Heinold

Und tatsächlich: die Gurken sind den Menschen, die sich ihnen stellen, eine Art Spiegel der Wahrheit. Fast jegliche Art von Posieren wirkt im Angesicht dieses Gemüses irgendwie lächerlich.

Manche Männer sagen gerne, wo es langgehen soll. Erwin Wurms "Gurken" beeindruckt so ein Gehabe nicht.

Manche Männer sagen gerne, wo es langgehen soll. Erwin Wurms "Gurken" beeindruckt so ein Gehabe nicht. © Foto: Thomas Heinold

Zum Beispiel Männer im Business-Anzug, die cool oder überlegen wirken wollen. Frauen in allzu aufwendiger Garderobe, wie sie in der Nähe der Festspielhäuser oft unterwegs sind, geraten ebenfalls schnell in Gefahr, komisch zu wirken.

Manchmal verschiebt sich durch Erwin Wurms "Gurken" die Perspektive und es sieht aus, als sei ein Zwitterwesen entstanden.

Manchmal verschiebt sich durch Erwin Wurms "Gurken" die Perspektive und es sieht aus, als sei ein Zwitterwesen entstanden. © Foto: Thomas Heinold

Nein, die Gurken fordern von ihren Betrachtern bedingungslose Wahrhaftigkeit. Besonders gut kommen Kinder dabei weg, die sich zwischen den Gurken verstecken oder Fangen spielen.

Manche eilt einfach achtlos vorbei. Auch damit können Erwin Wurms "Gurken" leben.

Manche eilt einfach achtlos vorbei. Auch damit können Erwin Wurms "Gurken" leben. © Foto: Thomas Heinold

Auch jenen Menschen, die die Skulptur von ihrem praktischen Nutzwert her betrachten, sind diese fünf Gurken meistens gnädig. Etwa wenn sich jemand an ihnen festhält, um beim Schuhebinden nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Und an heißen Sommertagen spenden die Gurken gerne schmale Schatten, wenn man sich zu ihren Füßen setzt.

So lassen diese Kunst-Gurken jene Menschen menschlich aussehen, die sich nicht verstellen. Auf Beschimpfungen und Abwertungen reagieren sie ebenfalls nicht, da stehen sie drüber. Denn insgeheim wissen sie wie alle ihre Artgenossen, dass die Gurke 2019 und 2020 zum „Gemüse des Jahres“ gewählt wurde. So etwas müssen andere erst einmal nachgurken.

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