Dieses Gemüse wird zu unrecht schlechtgeredet
Wie die Gurke den Menschen auf dem Weg der Selbsterkenntnis weiterhelfen kann
20.8.2021, 23:01 UhrKaum ein anderes Gemüse wird so diskriminiert und schlechtgeredet wie die Gurke. Wenn etwas schief geht, dann wurde es „vergurkt“; eine Tageszeitung nennt ihre Kolumne mit schrägen Themen „Die Gurke des Tages“.
Wenn der FCN mal wieder miserabel gespielt hat, schimpfen manche die Mannschaft des Club eine „Gurkentruppe“. Und die jetzige Ferienzeit wird respektlos „Saure-Gurken-Zeit“ genannt, was irgendwie heißen soll, dass da nichts los ist.

Erwin Wurm würde dem energisch widersprechen, hat er doch von sich sogar ein „Selbstporträt als Essiggurkerl“ geschaffen. Wurm ist einer der bekanntesten zeitgenössischen Künstler Österreichs und er hat ein Faible für diese bedeutsame Art aus der Familie der Kürbisgewächse.
In Salzburg hat er eine wunderbare Skulptur errichtet, die den schlichten und treffenden Namen „Gurken“ trägt. Fünf Exemplare aus der Sortengruppe der Einlege- oder Gewürzgurke hat er dort vor zehn Jahren installiert.

Die Gurken stehen auf der Spitze und haben ungefähr Menschengröße. Da sie sich ganz in der Nähe der Festspielhäuser und damit auf einem sehr belebten Platz befinden, gibt es immer wunderbare Begegnungen zwischen Mensch und Gurke.

Das ist ganz im Sinne Wurms. „Jede Gurke ist individuell verschieden, aber doch sofort als Gurke erkennbar und einem Ganzen zuordenbar (...) ähnlich den Menschen“, hat er zu seiner Installation gesagt.
Und tatsächlich: die Gurken sind den Menschen, die sich ihnen stellen, eine Art Spiegel der Wahrheit. Fast jegliche Art von Posieren wirkt im Angesicht dieses Gemüses irgendwie lächerlich.
Zum Beispiel Männer im Business-Anzug, die cool oder überlegen wirken wollen. Frauen in allzu aufwendiger Garderobe, wie sie in der Nähe der Festspielhäuser oft unterwegs sind, geraten ebenfalls schnell in Gefahr, komisch zu wirken.
Nein, die Gurken fordern von ihren Betrachtern bedingungslose Wahrhaftigkeit. Besonders gut kommen Kinder dabei weg, die sich zwischen den Gurken verstecken oder Fangen spielen.
Auch jenen Menschen, die die Skulptur von ihrem praktischen Nutzwert her betrachten, sind diese fünf Gurken meistens gnädig. Etwa wenn sich jemand an ihnen festhält, um beim Schuhebinden nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Und an heißen Sommertagen spenden die Gurken gerne schmale Schatten, wenn man sich zu ihren Füßen setzt.
So lassen diese Kunst-Gurken jene Menschen menschlich aussehen, die sich nicht verstellen. Auf Beschimpfungen und Abwertungen reagieren sie ebenfalls nicht, da stehen sie drüber. Denn insgeheim wissen sie wie alle ihre Artgenossen, dass die Gurke 2019 und 2020 zum „Gemüse des Jahres“ gewählt wurde. So etwas müssen andere erst einmal nachgurken.
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