Abgerutscht in den banalen Sakral-Pop

14.6.2010, 00:00 Uhr

Komponiert und aufgeführt wurde das gut eineinhalbstündige Werk von Roland Kunz, besser bekannt als Countertenor mit dem Künstlernamen Orlando und seiner Band »Orlando und die Unerlösten«. Die sind schon länger im Grenzbereich zwischen alter und sakraler Musik sowie den sanfteren Rhythmen des Pop und des Jazz unterwegs, wobei die seit Jahren gepflegte Künstlerfreundschaft zwischen Kunz und seinem berühmten Countertenor-Kollegen Andreas Scholl einen kräftigen Promi-Bonus einbringt.

Auch bei »Der Seele Ruh’« ist Scholl mit von der Partie, Kunz hat ihm und sich die Solo-Partien quasi auf den Leib komponiert, zudem braucht es für dieses Konzert das Münchner Rundfunkorchester, ergänzt um exotisches Schlagwerk wie eine mächtige japanische O-Daiko-Trommel, den 65 Stimmen starken orpheus chor münchen (Einstudierung Gerd Guglhör) – und eben die dreiköpfige Band »Die Unerlösten«.

Genügend Stimmen und Instrumentalisten also, um die Sebalduskirche leicht auf konventionellem Weg mit Klang zu erfüllen. Doch stattdessen gab es »Der Seele Ruh’« nur mit Mikrofon und elektronischer Verstärkung. Schon der Eröffungschor wurde von süßlichen Geigenakkorden umspült, während die Beleuchtung das Kirchenschiff in Rot-Orange tauchte. Wenn das den Kompositionsauftrag vergebende Studio Franken »Der Seele Ruh’« als »ein Oratorium der Sinne aus Harmonie und Licht« bewirbt, ist eben Vorsicht geboten.

Scholls edles Kopfstimmen-Timbre formt zwar ein paar schöne vokale Bögen überm fadenscheinigen Klangteppich, doch sobald Kollege Kunz am Keyboard stehend den aus verschiedenen Schriften und Predigten Eckarts amalgamierten Text spricht oder singt, rutscht die Aufführung ab in banalen Sakral-Pop. Meister Eckhart, vor 750 Jahren geboren, wird das nicht gerecht. Die Texte des Mystikers entziehen sich der alleinigen Erfassung durch den Verstand, sie brauchen die sinnliche Gotteserfahrung durch Meditation.

Da rauscht der Breitwandsound mit seinen abgegriffenen Orchestrierungseffekten zwischen Doku-Drama und Kino-Melodram aber meilenweit daran vorbei. Der Chor jauchzt oder jubiliert zu Harfengefunkel, das Orchester ist deutlich unterfordert, die Band verschleiert mit softem Beat die fehlenden melodischen Einfälle, und die estnische Dirigentin Anu Tali hält mit starrem Taktschlag das aufgebauschte Harmoniegebilde zusammen. In Verbindung mit einem Schuss Klangexotik kann sich jeder Wellness- und Esoterikfreund »Der Seele Ruh’« nebenwirkungsfrei auf den mp3-Player laden. Nur leider führt die Reise nicht zu Meister Eckhart, sondern endet in eklektizistischem Kitsch. Thomas Heinold

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