Am Ende ziehen die Gralsritter den Kürzeren

14.5.2019, 08:00 Uhr
Am Ende ziehen die Gralsritter den Kürzeren

© Bettina Stöß/Staatstheater Nürnberg

Die Mehrkomponentenkunst Oper hat viele Aspekte. Fangen wir mit den optischen an. Da ist zum Beispiel das geniale Bühnenbild von Jo Schramm. Mit einem flexiblen Röhrengestänge schafft er nicht nur faszinierende Räume, sondern imaginiert auch einen eleganten Schwanenflug. Zu Beginn steht noch alles kreuz und quer wie in einem überdimensionierten Mikado-Spiel und symbolisiert die Schilflandschaft an der Schelde.

Später wandelt sich der Stangenwald in eine Kirche, eine Burgflucht oder jenes Bettgemach, wo Elsa und Lohengrin sich erstmals unter vier Augen begegnen dürfen. Dass die Frischvermählten sich zunächst sorgsam ihrer Schuhe entledigen und auch sonst recht ansehnliche körperliche Distanz wahren, soll wohl auf das Konto Humor gehen, den die Regie der romantischen Zauberoper verordnen will. Na ja, den Kuss gab es ja auch schon auf dem Münsterplatz...

Faszinierend auch die Kostümlösungen von Katharina Tasch, die mit ihren ironischen Anspielungen auf Erfolgsserien wie "Herr der Ringe" oder "Games of Thrones" gekonnt in der Schwebe hält, ob hier ein mythologisches oder historisches Geschehen abgehandelt werden soll.

Schon mit dem filigranen, in blauem A-Dur-Dunst taumelnden Vorspiel zum 1. Akt, das ja nicht nur eine Handlung eröffnet, sondern im Grunde einen eigenen Raum kreiert, unterstreicht die Regie, um welchen Antagonismus es ihr zu tun ist. Man sieht wie Grals-Haupt Parzival seinen Sohn Lohengrin nach Flandern entsendet. Von nun ab verfolgt der Papa (in Gestalt von Jochen Kuhl) schattenartig seinen Sprössling, der zum Verteidiger des Christentums avanciert.

Wodan-Kult gegen Christentum

In dieser Lesart ist Friedrich Graf von Telramund - aufgestachelt durch sein noch tiefer dem archaischen Glauben zugetanes Eheweib Ortrud - Oberhaupt der Rest-Germanen, die noch dem Wodan-Kult verpflichtet sind. Auch der heidnische Götterboss tritt livehaftig in Erscheinung (Johannes Lang). Während die Gralsritter um Parzival ihren heiligen Abendmahls-Ritus pflegen, zeigt sich Wodan eher dionysisch an der Nahrungsaufnahme interessiert: Zusammen mit seinen Walküren macht er sich jeglicher zivilisatorischen Essenskultur unwissend über eine gegrillte Wildsau her.

Mit diesen Verweisen schafft David Hermann tatsächlich einen, übrigens auch musikalisch naheliegenden und von Joana Mallwitz durchaus unterstrichenen Link zur "Ring"Saga, an der Wagner zu Zeiten der "Lohengrin"-Uraufführung in Weimar durch Franz Liszt heftig werkelte. Andererseits verheddert sich der Regisseur auch in dieser Konstellation. Weshalb nun ausgerechnet die Germanen und nicht die Christen den Junggesellenabschied von Lohengrin mit einem heftigen Met-Gelage begehen, erschließt sich ebenso wenig wie die Schluss-Pointe.

Hier wird eben nicht Gottfried, der in einen Schwan verwandelte Bruder Elsas, zum neuen Herrscher von Brabant ausgerufen, sondern der in Sekundenschnelle aus der Leblosigkeit ins Diesseits zurückbeorderte Telramund proklamiert. Mit andern Worten: Das Christentum, das König Heinrich gegen die östlichen Horden verteidigen will, erfährt im Innern eine gehörige Niederlage.

Andererseits ist das angesichts der Besetzungen auch wieder konsequent, denn Telramund und Ortrud laufen gesanglich wie darstellerisch dem Hauptpaar tatsächlich den Rang ab. Sangmin Lee ist ein wuchtiger, jähzorniger und machtbewusster Germanenführer, während die mit Stierhörnern verzierte schwedische Mezzosopranistin Martina Dike mit voluminösen Registern und subtilen Lagenwechseln die ganze Abgründigkeit Ortuds auskostet.

Titelpartie: Gesanglich hervorragend

Der Bayreuth-erfahrene Gasttenor Eric Laporte, der auch in Hannover und an Jens Daniel Herzogs früherer Dortmunder Station wichtige Partien singt, ist ein vortrefflicher Lohengrin. Der Kanadier geht die Riesenpartie mit einem vokalökonomisch sehr ratsamen Grundpiano an, verfügt aber auch über die entsprechenden Reserven, wenn es druckvoller zur Sache gehen muss. Die Grals-Erzählung spricht er wunderlicher Weise nur für sich: Kein Mensch kriegt also mit, dass er Lohengrin ist. Nur hat sein Typ von Statur und Spiel so gar nichts Ritterliches oder Heldenhaftes, sondern eher etwas Plumpes an sich.

Ein gewisses Glaubwürdigkeits-Problem, das auch Emily Newton als Elsa offenbart. Öfter geriet die Texanerin stimmlich an ihre Grenzen und vielleicht ist diese anspruchsvolle Wagner-Partie denn doch etwas zu dramatisch für die Sängerin angelegt, die zudem unschön phonetisch mit den S-Lauten kämpfte.

Rhetorisch ganz großartig dagegen Gast-Bassist Karl-Heinz Lehner als König Heinrich, während Daeho Kim als stimmstarker Heerrufer noch an artikulatorischer Genauigkeit feilen dürfte. Die Union aus Opern- und Extrachor machte ihre Sache vorzüglich. Tarmo Vaask hatte mit den Kollektiven viele Nuancen und Schattierungen erarbeitet.

Die große Heldin des Abends hatte aber weder Germanen-Zottelzeug an noch Nonnenhaube auf: Joana Mallwitz fand zusammen mit der Staatsphilharmonie einen wunderbaren Weg, die Sogwirkung der "Lohengrin"-Partitur ohne pathetischen Überdruck, aber doch in charakteristischer Farbigkeit aufblühen zu lassen. Ihr Dirigat: Luzid, gar nicht nebulös oder wabernd, ja fast schon von neusachlicher Distanz geprägt und die Sänger hervorragend ausbalanciert. Das brachte ihr und dem Orchester donnernden Applaus ein.

Weitere Vorstellungen: 19. und 30. Mai, 2., 8., 16. und 29. Juni, 7. und 14. Juli; Karten: Tel. 09 11 / 2 16 27 77.

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