Begierde und Vergänglichkeit

4.4.2012, 07:23 Uhr
Begierde und Vergänglichkeit

© Harald Sippel

Nur gut, dass sie – allesamt zwischen 28 und 41 Jahre jung – noch mitten im Leben stehen. Denn der Kunstverein Erlangen kann einen schon mal alt aussehen lassen. Wer ausstellen will, braucht langen Atem. Doch in Anbetracht des sehenswerten Ergebnisses hat sich die Wartezeit für das vielseitige Quartett gelohnt.

Fünf Jahre ist es her, dass sich die Künstler-Clique – damals noch unter der Ausstellungsidee „Klassenkameraden“ – beim Verein bewarb. Zwei Jahre, dass die Zusage kam. Dass der jetzige Titel „100 Jahre später...“ den Spätbeglückten als passend erschien, hängt aber nicht nur mit dieser Vorgeschichte zusammen. Zeitlichkeit dringt auch als wiederkehrendes Motiv in ihre Kunst.

In den filigran in Alublech gestanzten und gestochenen Motiven von Birgit Nadrau etwa glänzt, tropft und welkt die Vergänglichkeit silbern: Die Nürnbergerin hat die Konturen der Blumen am Grab ihres verstorbenen Vaters zu einem Bild werden lassen. Was berührt.

Überhaupt beflügelt Nadrau die Ausstellung mit ikonenhaft anmutenden Beiträgen wie einem ebenfalls auf Alublech verewigten „Tattooengel“, an dem sich das christliche Motiv des Heiligenscheins mit diesseitigen Insignien wie einem „Pussycat“-Schriftzug im Dekolleté und tätowierten Armen paart: Kirchenkunst, die das Nachtleben kreuzt.

Was Nadrau nebenher noch doppelbödig glänzen lässt, ist zum Beispiel eine ornamental meisterhaft verzierte „Kalaschnikow“. Oder, ebenfalls sehr eindringlich, die schwermütige Leinwandarbeit „Aqua Alta“ aus Blattsilber und Aluminium, die wie Dunkelwasser den überfluteten Markusplatz in Venedig spiegelt.

Der Stoff, auf dem die Haare sind

Tatsächlich gibt es einen gemeinsamen Nenner zwischen den vier Künstlern, die alle bei Diet Sayler und Eva von Platen studierten und die heute mit ihren Ateliers „Auf AEG“ beheimatet sind: Es ist die Materialität ihrer Werke. Woraus sie sind, trägt maßgeblich zu dem bei, was sie ausmacht. Der haptische Reiz pendelt in Judith Chrestels sinnlicher Objektkunst zwischen samtiger Begierde und spitzem Gruseln hin und her: Schwarze Kissen, mit gefärbten, abgeschnittenen Fingernagelspitzen drapiert, stehen dafür, aber auch ihr Stoff, auf dem die Haare sind: Nähereien mit Menschenhaar oder in Kissen gehäkelten Kopfbewuchs.

Den feinen Reiz des Fadenscheinigen nutzt die Malerin Linda Männel in ihren figurativen Arbeiten recht findig, indem sie Motive mit Garn und Wollfäden überzieht, was sie mal lasziv erscheinen lässt, mal zwischenweltlich entrückt. Daniel Bischoffs Farb- und Formsetzungen im sensiblen Raum der abstrakten Kunst ergänzen das trefflich als Konzentrationsfelder – in der spannungsstarken, prosaischen Schau.

Bis 28. April; Kunstverein Erlangen, Hauptstr. 72; Di., Mi. und Fr.

15–18 Uhr, Do. 15–19 Uhr und Sa. 11–14 Uhr. Vernissage heute, 19 Uhr.

 

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