David Garrett: Liebling der Massen

23.5.2009, 00:00 Uhr
David Garrett: Liebling der Massen

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Seien wir ehrlich: Ein Plakat, das die «schönsten Preziosen aus den Geigensonaten des 19. Jahrhunderts» verheißen hätte, würde vielleicht gerade mal ein Zehntel angelockt haben – wenn überhaupt. Aber wenn er, der Lässige und Verträumte, zur Session lädt, fallen alle Klassik-Schranken, staunen und lauschen andächtig sogar all jene, die den Begriff Kammermusik noch nicht einmal im passiven Wortschatz führen. Geschweige denn sich einer solch konzentrierten Hörprobe freiwillig unterzogen hätten.

Schelligkeitsrekord

Jenes Stück, bei dem der 28-Jährige im Guinness-Buch den Schelligkeitsrekord von 65,26 Sekunden hält, macht das Intro: Garretts Hummeln fliegen nicht in Zweiundreißigstel-Sextolen umher, sondern rasen in Überschall-Tempo. Wie gut, dass er mit Milana Chernyavska eine Flügel-Partnerin auf Augenhöhe dabei hat, die bei Garretts Hang zum Turbo-Gang absolut mithalten kann.

Ein paar Plaudertöne später bricht dann die schwelgerisch, spätromatisch üppige A-Dur-Sonate des Belgiers César Franck an: Die beiden Künstler erfassen die komplexe Frage-Antwort-Architektur mit Geschmack und Sentiment. Beide geraten auch nicht in die Gefahr, die Allegretto-Passagen zu flüchtig anzugehen. Gleiches gilt für die dritte Geigensonate von Edvard Grieg, die genau drei Wochen vor dem Franck-Opus im Dezember 1887 uraufgeführt wurde.

Gabe des Kommunizierens

Garrett beherrscht den raschen Bogen-Pizzicato-Wechsel, verfügt über einen sehr tragfähigen Diskant, aber sein Ton bleibt als Ganzes erstaunlich unindividuell und auch nicht so voluminös, wie es die Tonträger glauben machen wollen. Aber was macht das angesichts dessen, dass er über die wichtige Gabe des Kommunizierens mit dem Publikum verfügt und völlig Klassik-Unvertraute anzieht?

Für die hat er mit Sarasates «Zigeunerweisen» und der Tarantella op. 43 auch noch virtuose Feuerwerke im Gepäck, die ebenso zünden wie Vittorio Montis «Csárdás» oder Brahms’ fünfter ungarischer Tanz. Da wagt sich dann auch artig ein Dreikäsehoch mit seiner Viertelgeige aufs Podium und intoniert sein Übestück. Garrett mag das an sein ungeliebtes Wunderkind-Dasein erinnert haben. Ganz Profi überlässt er generös das Feld der Generation nach ihm. Ein echter Charming Boy eben!

Aktuelles Album: David Garrett «Virtuoso» (Warner)