Der Staat macht Jagd auf Schwarze

6.10.2019, 18:51 Uhr
Der Staat macht Jagd auf Schwarze

© Foto: Regina Urban

Der Staat macht Jagd auf Schwarze

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Die meisten Opfer sind jung, schwarz und arm. Die behördliche Gewalt wird als "Krieg gegen den Drogenhandel" legitimiert – weshalb die Regierung auch keine Scheu hat, Opfer-Statistiken zu veröffentlichen. Die Täter gehen in den allermeisten Fällen straffrei aus. "98 Prozent der Morde werden zu den Akten gelegt", berichtet Natasha Neri, die ihre erschütternde Dokumentation "Police Killing" beim Internationalen Nürnberger Filmfestival der Menschenrechte am heutigen Montag im Caritas-Pirckheimer-Haus (Königstr. 64, 17.45 Uhr) vorstellt.

Neri hat zehn Jahre zu Polizistenmorden geforscht und ist Ko-Autorin eines Buches zum Thema. "Police Killing" entstand vor dem Amtsantritt des ultrarechten Präsidenten Jair Bolsonaro und belegt – ebenso wie zwei weitere Dokus und ein Gespräch mit dem Journalisten Bruno Bimbi –, dass die Gewalt schon lange existiert. Allein in den vergangenen zwei Jahrzehnten wurden 16 000 Menschen von Polizisten getötet.

Seit Bolsonaro regiert, hat sich die Situation noch dramatisch verschärft. "Über den Favelas von Rio de Janeiro kreisen jeden Tag Helikopter, aus denen heraus die Polizei Menschen erschießt", so Neri. Gerne nimmt auch Rios Gouverneur, der Bolsonaro-Gefolgsmann Wilson Witzel, an den Aktionen teil und postet, wie Bruno Bimbi berichtet, seine Live-Videos von den Erschießungen auf Facebook und Instagram. "Er macht eine Show aus dem Töten."

Solche Helikopter-Einsätze sind auch in Neris Film zu sehen, der über zwei Jahre einige der ganz wenigen Prozesse begleitet, bei denen sich die Täter wegen der von ihnen begangenen Morde vor Gericht verantworten mussten. Darunter jene Polizisten, die im November 2015 ein Auto mit ihren Schusswaffen durchlöcherten und die Insassen, fünf unbewaffnete Jugendliche, töteten. Oder jene, die einen Jungen niederschossen und dem Verblutenden eine Pistole in die Hand drückten, aus der sie vorher noch zwei Schüsse abgaben, um den Mord als Notwehr auszugeben.

Wut, Schmerz und Solidarität

Neri konnte dafür auch auf originales Bildmaterial zurückgreifen, aufgenommen mit den Autokameras der Polizei und den Handys von Tatzeugen. Es sind unglaubliche Szenen, denen der Film das mühsame Ringen vor Gericht um Gerechtigkeit gegenüberstellt und die Wut, den Schmerz und die Solidarität der Angehörigen der Opfer, der Mütter vor allem, die auf den Straßen gegen das tägliche Töten demonstrieren.

"In den Favelas wird regelrecht Jagd auf Schwarze gemacht", sagt Neri. Um sie als vermeintliche Täter zu überführen, schmuggeln Polizei und Milizen Waffen und Drogen teils selbst in die Armenviertel. Das berichtet auch Bimbi, der den "Krieg gegen den Drogenhandel" als das benennt, was er wirklich ist: "Eine staatliche Politik, die sich gegen Arme und Schwarze richtet und die Polizisten, die töten, zu Helden macht."

Die Ursache dafür sieht er genauso wie Neri im seit der Sklaverei tief verankerten strukturellen Rassismus der brasilianischen Gesellschaft, deren Spaltung auch den Aufstieg der paramilitärischen Milizen befördert habe. Sie kontrollierten weite Gebiete der Favelas, rekrutierten dort Wählerstimmen und hätten die Politiker der traditionellen Rechten zunehmend ins Abseits gedrängt.

Dass Bolsonaro seinen Wahlerfolg vor allem diesen kriminellen Milizen zu verdanken hat, steht für Bimbi außer Frage. Und ein Ende der Gewalt ist nicht in Sicht. Das Justizministerium in Brasilia legte kürzlich einen Gesetzentwurf vor, der Polizeimorde – schon jetzt seltenst geahndet – endgültig legalisieren soll.

Natasha Neri will den Glauben daran, dass ein anderes Brasilien möglich ist, trotzdem nicht aufgeben. Hoffnung geben ihr vor allem die Mütter der Opfer, die sich landesweit vernetzt haben zum "National Network of Families of Victims of State Terrorism", das auch von internationalen Organisationen und Medienaktivisten unterstützt wird. Morgen werden die Mütter in Brasilia gegen das geplante Straffreiheitsgesetz für Polizisten demonstrieren. "Sie zeigen mir, dass man kämpfen muss", sagt Natasha Neri, der es auch deshalb wichtig ist, ihren Film in Nürnberg beim Festival zu präsentieren – "damit diese Frauen überall in der Welt Gehör finden."

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