Bilder, die Ikonen wurden

Die Grande Dame der Fotografie in Erlangen: Zeitreisen mit Barbara Klemm

5.10.2021, 06:10 Uhr
Barbara Klemm in der von ihr selbst kuratierten Ausstellung in Erlangen.

© Harald Hofmann, NN Barbara Klemm in der von ihr selbst kuratierten Ausstellung in Erlangen.

Natürlich, sagt Barbara Klemm, habe sie eine Kamera dabei und kramt sie zum Beweis aus ihrer schwarzen Handtasche hervor. Professionalität verpflichtet. Und Leidenschaft hört im Ruhestand nicht auf. Wer mehr als drei Jahrzehnte im Auftrag der FAZ das Weltgeschehen abgelichtet, die deutsche Geschichte auf der großen Polit-Bühne und im Alltagsgeschehen begleitet hat, wer als eine der bedeutendsten Fotografinnen der Nachkriegszeit gilt und Kunstpreise in Mengen abräumt, der ist allzeit bereit für den Klick in der richtigen Sekunde.

Wie oft dieser Klick Barbara Klemm im Laufe ihrer langen Karriere gelungen ist, davon gibt nun eine Ausstellung im Erlanger Stadtmuseum mit 110 Beispielen eine Ahnung. Und auch von der Vielseitigkeit der Ausnahmefotografin, deren Bilder sich ins kollektive Gedächtnis eingegraben haben – vom Kuss zwischen Leonid Breschnew, Staatschef der UdSSR, und dem DDR-Kollegen Erich Honecker 1979 über Wolf Biermann bei seinem Konzert 1976 in Köln, das zu seiner Ausbürgerung aus der DDR führte, bis zu Berliner Straßenszenen nach dem Mauerfall 1989.

Ringen um die Perspektive

Was diese Fotos nicht zeigen – und was damit aber auch ihre Qualität ausmacht – ist die Mühe, die dahintersteckt. Das ewig lange Warten auf den einen Augenblick, in dem sich eine Szene verdichtet. Das anstrengende "hochkonzentrierte Schlendern" durch Städte. Das Kämpfen um den besten Platz im Pressepulk. Das Ringen um die ideale Perspektive.

"Manchmal muss man arg beweglich sein, dann wieder ruhig und abwartend, um den besten Moment zu erwischen. Man braucht Standvermögen", sagt die 81-Jährige. Und ja, natürlich auch Glück. Aber dem müsse man auch "Vorschub leisten". So wie bei einem ihrer ersten großen Einsätze.

"Sie haben uns vergessen"

1973 war das. Leonid Breschnew, Generalsekretär der Sowjetunion, besuchte die Bundesrepublik. Als Neuling in der Branche wusste Barbara Klemm nicht, dass man sich für die diversen Essen, Treffen, Pressekonferenzen von Kanzler Brandt und seiner Entourage jeweils gesondert akkreditieren musste. Dank des Winks eines Mitarbeiters aus dem Auswärtigen Amt erhielt sie trotzdem Zugang ins Allerheiligste, den Raum des direkten Austausches zwischen den Politikern. "Es waren nur fünf Fotografen dabei, keine Fernsehkameras. Irgendwann haben sie uns vergessen", so Klemm. Ideale Voraussetzungen also für authentische Bilder.

Ihr gelang das Foto, das auf dem Titel der Begleitpublikation zur Ausstellung zu sehen ist: Brandt im Mittelpunkt, nachdenklich die Augen auf Breschnew gerichtet. Der blickt schweigend nach rechts. Ein Moment höchster Konzentration, keine repräsentativen Gesten. Drumherum geschäftige Diplomaten und Dolmetscher. Das ganze natürlich in Schwarz-Weiß. Nie hat sie in Farbe fotografiert, nie mit Blitz und immer analog. "Schwarz-Weiß transportiert Inhalte besser", ist die Tochter des Malers Fritz Klemm überzeugt. Sie träumt auch in diesen Farben.

Frau in der Männerwelt

Als Frau in der Männerwelt hatte sie nach eigenem Empfinden keine Nachteile, im Gegenteil. "Ich war nett und gutaussehend, die Leute hatten keine Angst vor mir." Das kam ihr auch auf ihren vielen Auslandsreisen vor allem in Osteuropa zugute.
Und wohl auch bei ihren Porträtaufträgen.

Dafür hatte sie schon früh entschieden: Ich muss alleine hin! Ohne den Textredakteur. Ich muss meinen eigenen Zugang finden. Und zwar innerhalb von einer Stunde. Sonst werde ich lästig. Meistens hat das geklappt. Immer aber bedeuteten diese Termine eine enorme Anstrengung. Sie musste das Gegenüber in Wohlfühlmodus bringen, sich mit ihm oder ihr auseinandersetzen, um die Person zu erfassen. Nicht immer waren die Partner willig.

Der Publizist und Historiker Golo Mann zum Beispiel hatte so gar keine Lust auf Fotoshooting, trug eine unansehnliche Strickjacke am Körper und schlechte Laune im Gesicht. "Irgendwann habe ich ihn gebeten, sich an den Schreibtisch seines Vaters zu setzen. Er tat es widerwillig und sah mich dann mit einem Blick an, in dem ich glaubte, Thomas Mann zu erkennen", sagt Klemm. Sie wusste in dem Moment, dass sie "ihr" Bild hat und zeigt es in der von ihr selbst kuratierten Erlanger Ausstellung. Die führt mit "Fotografien 1967–2019", so der Titel, durch mehr als 50 Jahre Zeitgeschichte.

Folkwang Preis für Klemm

Zu den Aufnahmen gibt es im Begleitheft kurze einordnende Erklärungen. "Wir möchten auch Schulklassen ansprechen", sagt Museumschefin Brigitte Korn, die stolz ist, die Frau in ihrem Haus zu haben, die am 8. November für ihr Lebenswerk den renommierten Folkwang-Preis erhält. Vergeben wird er für die Vermittlung von Kunst an eine breite Öffentlichkeit. "Ich wollte nie Kunst machen", sagt Barbara Klemm und ist mit ihren Werken doch längst in den großen Museen und Sammlungen vertreten. Zu Recht.

Stadtmuseum Erlangen, Martin-Luther-Platz 1; bis 16. Januar, Di.-Fr. 9-17, Do. 9-20, Sa./So. 11-17 Uhr. www.stadtmuseum-erlangen.de

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