Domian: "Ich habe in so viele Abgründe geschaut"

15.12.2016, 08:09 Uhr
Domian:

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Herr Domian, warum geben Sie Ihren Job als Kummerkastenonkel auf?

Jürgen Domian: Weil ich fast 22 Jahre Nachtschicht gemacht habe. Ich habe Sehnsucht, wieder öfter die Morgensonne zu sehen und in einem normalen Rhythmus zu leben. Außerdem sollte man gehen, wenn es sehr gut läuft.

Seit vielen Jahren hören Sie sich Nacht für Nacht den Kummer fremder Anrufer an. Hat das Ihr Weltbild verändert?

Domian: Eindeutig, mein Menschenbild ist schlechter geworden. Das liegt daran, dass ich in so viele und so tiefe Abgründe geschaut habe. Früher konnte ich mir nicht vorstellen, was Menschen imstande sind, anderen Menschen anzutun. Andererseits begegnen mir in der Sendung auch so viele mutige, tapfere, selbstlose und gute Menschen. Dies wiegt alles wieder auf und ist der Grund dafür, dass ich nicht ansatzweise bitter oder zynisch geworden bin.

Ist die Welt ein guter oder ein schlechter Ort?

Domian: Ich glaube, sie ist ein heikler Ort, wo man permanent auf der Hut sein muss. Die wesentliche Erkenntnis meiner Arbeit ist, dass es extreme Ausschläge nach beiden Seiten gibt. Es gibt viel Verzweiflung, aber auch viel Hoffnung.

Welche Gespräche haben Sie am meisten erschüttert?

Domian: Am meisten die, in denen es um Tod, Trauer und Sterben geht. Aber auch Gespräche, in denen sich traumatisierte Menschen äußern. Beim Thema Tod und Sterben stoßen meine Mitarbeiter und ich an unsere Grenzen. Was sagt man einer Frau, deren Kind ermordet wurde? Im Laufe der Jahre aber habe ich gelernt, dass schlichtweg nur zuhören, miteinander sprechen oder auch schweigen und einfach da sein, für den Anrufer schon viel bewirkt. So ist es auch bei Opfern von schweren Gewalttaten.

Der Tod spielte oft eine große Rolle in Ihrer Sendung: Welche Einstellung haben Sie dazu?

Domian: Ich habe mich Jahre mit dem Tod beschäftigt und muss sagen, dass ich mich mit ihm versöhnt habe. Das ist eine große Erleichterung, weil ich mein ganzes Leben lang Angst vor dem Tod hatte. Diese Panik ist weg, aber ich habe nach wie vor Angst vor dem Sterben. Deshalb bin ich auch ein Befürworter der aktiven Sterbehilfe, genau gesagt des assistierten Suizids. Ich will einmal selbstbestimmt und in Würde sterben.

In Ihrer Jugend waren Sie überzeugter Christ, sagten sich dann aber vom Christentum los. Was hat Sie vom Glauben abfallen lassen?

Domian: Ich geriet in eine Glaubenskrise, die sich verkürzt auf einen Satz bringen lässt: Ich konnte nicht mehr schlüssig erklären und vor allem empfinden, dass das christliche Gottesbild das richtige ist. Ich habe vor etwa zwölf Jahren angefangen, mich mit Zen-Buddhismus zu beschäftigen – ich bin zwar kein praktizierender Zen-Buddhist, aber das ist die Spur, auf der ich gehe. Zen ist ohne Dogmen, es geht um Mitgefühl und um Respekt vor allem Lebenden, das gefällt mir.

Sie beschäftigen sich seit mehr als 20 Jahren mit den Sorgen fremder Leute. Wohin gehen Sie denn, wenn Sie selber Sorgen haben?

Domian: Zu meinen Freunden. Ich hatte immer das Glück, stets auf ein, zwei ganz enge Vertraute zählen zu können, die mir in allem zur Seite gestanden haben. Das ist alles andere als selbstverständlich. Wie oft höre ich in meiner Sendung, dass die Leute keine ganz engen Freunde haben. Und selbst unter Ehepartnern wird oftmals nicht über Grundsätzliches gesprochen. Dies hat übrigens rein gar nichts mit Bildung oder Schichtzugehörigkeit zu tun.

Sie hatten es also oft mit einsamen Menschen zu tun?

Domian: Sehr oft. Das war, als ich damals angefangen habe, eine erschreckende Erkenntnis – wie viel Einsamkeit es gibt und wie wenig Menschen letztendlich miteinander sprechen, gerade in heiklen Situationen. Oder wie viele es gibt, die überhaupt niemanden haben. Das ist ein Problem, das vielen Anrufern auf der Seele lastet.

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