«Dürer wäre dieses Werk peinlich gewesen«

2.9.2009, 00:00 Uhr
«Dürer wäre dieses Werk peinlich gewesen«

© Daut

Erste Zweifel an der Echtheit des angeblich 1506 von Dürer auf Pappelholz gemalten Bildes kamen Thomas Schauerte 2003 beim Besuch der großen Dürer-Retrospektive in der Wiener Albertina. Als langjähriger Dürer-Forscher, der zu dem Künstler seine Doktorarbeit verfasst und an der Herausgabe von dessen Druckgrafik-Gesamtkatalog mitgearbeitet hat, sah Schauerte die Albertina-Schau mit den Augen eines Experten. Erstmals seit langem wurde dort das berühmte Gemälde gemeinsam mit den fünf vorhandenen Zeichnungen ausgestellt, die Details der Gesamtkomposition zeigen. Sie stellt den 12-jährigen Christus dar, der im Tempel mit den Schriftgelehrten diskutiert.

Krasser Qualitätsabfall

«Beim direkten Vergleich der Dürer-Zeichnungen mit dem Gemälde fällt ein krasser Qualitätsabfall auf«, sagt Schauerte. Im Vergleich zu den brillanten Zeichnungen sei das Bild «einfach schlecht«. Klare Worte, die der Kunsthistoriker mit dem Hinweis auf Unstimmigkeiten untermauert. «Der Christuskopf war ursprünglich viel zu klein angelegt«, sagt er und deutet auf einer Abbildung des Gemäldes an die «verschattete Stelle«, wo der Kopf nachträglich mit Haaren «vergrößert« wurde.

Auch ein Fehler wie bei dem ganz links positionierten Schriftgelehrten wäre dem großen Meister Schauertes Meinung nach «nie passiert«: Der edle Greis von vielleicht 70 oder 80 Jahren hat Hände eines jungen Mannes - keine Falten, keine Altersflecken, keine Adern sind zu sehen. «Dürer hat aber gerade in seiner Proportionslehre gefordert, dass eine Figur harmonisch sein muss und die Details passen müssen«, sagt Schauerte.

Ein Zitate-Mix

Auch an der Gesamtkomposition hat er abgesehen von diesen Details einiges zu bemängeln: Die Köpfe am oberen Bildrand seien einfach abgeschnitten, die Personen nähmen untereinander keine Beziehung durch Blickrichtungen auf, es entstehe kein kohärenter Bildraum. Aus diesen ganzen Beobachtungen schließt Schauerte: Das Bild ist ein Produkt à la Dürer aus dem frühen 17. Jahrhundert, ein Pasticcio, ein Zitate-Mix. Damals sorgte ein wahrer Dürer-Boom dafür, dass alles, was vom Meister war, reißenden Absatz fand. Gute Zeiten also auch für Dürer-Kopisten und -Fälscher.

Wer dem 42-Jährigen zuhört, wundert sich schnell darüber, warum noch keiner vor ihm auf die Unstimmigkeiten aufmerksam wurde. Denn bislang, das bestätigt auch Thomas Eser, Leiter der Dürer-Forschungsstelle im Germanischen Nationalmuseum, hat noch kein Wissenschaftler die Echtheit des Madrider Gemäldes angezweifelt, das 1642 erstmals in einer Privatsammlung in Rom auftaucht und 1934 in die Sammlung Thyssen verkauft wird. «Vor 1642 ist das Bild nirgendwo belegt. Das ist ungewöhnlich für Dürer«, stellt Schauerte fest, der kürzlich von der Uni Trier an das Nürnberger Dürerhaus wechselte. Als das Bild um 1930 verkauft wurde, sei «das kritische Bewusstsein noch nicht so sehr vorhanden« gewesen. Und dass man in Madrid «keine große Lust habe, dieses Fass aufzumachen«, sei nachzuvollziehen.

Nur in Privatsammlungen

«Es herrschte in der Dürerforschung Konsens darüber, dass es ein Dürer ist, seit das Bild bekannt ist«, erklärt Eser. Aber da es nur in Privatsammlungen und nicht in Weltmuseen hing, sei es «noch nicht oft genug kritisch begutachtet worden«. Dass dies sein Forscher-Kollege Schauerte nun getan hat, begrüßt Eser: «Er vermehrt das Wissen, indem er alternative Sichtweisen vorschlägt«. Im GNM-Verlag wird Schauertes «ketzerische These«, an deren Untermauerung er seit sechs Jahren arbeitet, nun pünktlich zur Buchmesse in der Reihe «Dürer-Forschungen« erscheinen.

«Das Bild hat keine stimmige räumlich-erzählerische Komposition, sondern ist ein Nebeneinander von sehr nahsichtigen Dürer-Köpfen«, pflichtet Eser den Beobachtungen Schauertes bei. Der stellt in dem Aufsatz fest, dass es zu fast allen Köpfen der Schriftgelehrten auf diesem Gemälde Vorbilder in Dürers Werk gibt, die aber meist nach 1506, also dem Jahr, das neben dem AD-Monogramm auf der Tafel vermerkt ist, auftauchen.

Wie ein Medley

Eser hat dafür einen anschaulichen Vergleich parat: «Wenn es ein Popsong wäre, würde man sagen, es ist ein Medley. Da ist ganz viel an Dürer-Motiven hineingesetzt, allerdings immer nur ein paar Takte davon«. Dürer selber, so glaubt Eser, hätte bei einem Historiengemälde wie diesem größeren Anspruch an «die Stimmigkeit der Raumschilderung« gelegt. Schauerte drückt es noch drastischer und frecher aus: «Dürer wäre dieses Werk peinlich gewesen«.

Apropos peinlich: Das könnte es für die Thyssen-Sammlung werden, wenn Schauerte Recht hat. Mit den Verantwortlichen in Madrid hat er noch nicht über seine «Radikalthese« gesprochen. «Wenn die stimmt, wäre das für die Sammlung eine Katastrophe«, weiß der Nürnberger Forscher. Das Bild wäre nur noch einen Bruchteil seines ursprünglichen Wertes wert. Aber Schauerte ist auch lange genug im Geschäft, um zu wissen: «Bis sich neue Forschungsergebnisse durchsetzen, ist das ein ganz langer Prozess«.