Eine unheilige Allianz mit der Mafia

27.3.2010, 00:00 Uhr
Eine unheilige Allianz mit der Mafia

© Prizzon

Herr Nuzzi, die katholische Kirche steckt derzeit vielfach in der Bredouille. Wird nun, was lange zuunterst lag, nach oben gekehrt?

Gianluigi Nuzzi:
Seitdem Joseph Ratzinger zum Papst gewählt worden ist, verändert sich vieles im Vatikan. Das System, das Johannes Paul II. geschaffen hatte, löst sich auf. Er war ein starker, charismatischer, sehr medienpräsenter Papst, während Benedikt XVI. eher ein Mann der Theologie, der Lehre und des Glaubens ist. Das ist eine positive Entwicklung. Die finanziellen Machenschaften des Vatikans, die ich in meinem Buch behandle, haben sich noch vor der Zeit des jetzigen Papstes ereignet. Dennoch gibt es eine Gemeinsamkeit zwischen allen Repräsentanten der katholischen Kirche, an der Benedikt XVI. festhält: der Mantel des Schweigens wird über alles gelegt. Damit einher gehen Erpressungen, Korruption und Geldwäsche.

Zur Hauptquelle Ihrer Recherche wurden die Hinterlassenschaften von Renato Dardozzi.

Nuzzi:
Monsignore Dardozzi gehörte zu den wenigen, die an den geheimen Sitzungen der engsten päpstlichen Mitarbeiter teilnahmen. Er wusste alles, hielt sich aber an die Schweigepflicht. Er hat jedoch alle von ihm untersuchten rund 4000 Finanzangelegenheiten dokumentiert. Zum Ende seines Lebens beschloss er: Alle sollten alles wissen. Deshalb übertrug er den Erben und Vollstreckern seines Testaments die Aufgabe, sämtliche Dokumente über die finanziellen Transaktionen der Vatikanbank zu veröffentlichen.

Um welche Dokumente handelt es sich?

Nuzzi:
Briefe, Buchungsbelege, Aufsichtsratsprotokolle, vertrauliche Mitteilungen, Kopien von Banküberweisungen, Auszüge von Nummernkonten und Geheimbilanzen der Vatikanbank.

Was hat Renato Dardozzi dazu bewogen, sein Wissen um die Vorgänge im Vatikan bekannt zu machen?

Nuzzi:
Er war entsetzt über die undurchsichtigen Finanztransaktionen, mit deren Hilfe viele Monsignori nach dem Zusammenbruch der Democrazia Cristiana in den 90er Jahren die Entstehung einer neuen »Großen Partei der Mitte» betrieben und dabei sogar Mafiagelder wuschen. Schon in den 80er Jahren hatte es Finanzskandale um die Banca Privata Italiana gegeben, in die auch die katholische Kirche verwickelt war. Der 33-Tage-Papst Albino Luciani starb 1978 auf mysteriöse Weise, der Banker Michele Sindona kam ins Gefängnis und verendete in seiner Zelle an einem mit Zyankali vergifteten Espresso. Um alle diese Vorgänge gab es eine unüberwindbare Mauer des Schweigens. Auch zwischen 1993 und 1994 gab es merkwürdige Selbstmorde.Das geschah in der Zeit von »Mani pulite», der großen Ermittlungsaktion Mailänder Staatsanwälte. Damals brach wegen der Schmiergeldaffären das gesamte italienische Parteiensystem zusammen, das war das Ende der Ersten Republik. Dadurch gelangte einige Zeit später Silvio Berlusconi auf den Plan.

Sie schreiben, dass die gigantische Geldanlage Vatikanbank von der Mafia skrupellos für politische Machenschaften genutzt wurde. Lässt sich das lückenlos nachweisen?

Nuzzi:
Ja. Nach Gesprächen, die ich für mein Buch mit Massimo Ciancimino, den Sohn des Bürgermeisters von Palermo und Sprecher des Andreotti-Flügels innerhalb der Democrazia Cristiana Siziliens, geführt habe, entschloss er sich zur Zusammenarbeit mit der Justiz. Sein Vater, Vito Ciancimino, wurde als erster italienischer Politiker wegen Zusammenarbeit mit der Mafia 2001 rechtskräftig verurteilt. Er betrieb in den 60er Jahren während des Baubooms den »Sacco dei Palermo», den Ausverkauf der Stadt an die Mafia, der er Milliardenaufträge zuschanzte.

Und was ist mit seinem Sohn?

Nuzzi:
Ciancimino junior erzählte, dass er seinen Vater in den 80er und 90er Jahren mehrfach in die Vatikanbank begleitete, wo die Familie Konten und Schließfächer unter Tarnnamen besaß. In einem Verfahren wegen Geldwäsche und falscher Deklarierung der so genannten Vermögenswerte seines Vaters wurde er zu drei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt. Seine Aussagen über Zusammenhänge der Attentate auf die Anti-Mafia-Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, die beide ermordet worden sind, waren für die Justiz sehr erkenntnisreich.

Wie viel von den Schmiergeldern landete denn bei der Vatikanbank?

Nuzzi:
Rund 20 Prozent. Massimo Ciancimino sagte mir wörtlich: »Alle Transaktionen zugunsten meines Vaters liefen über die Konten und Schließfächer der Vatikanbank.» Derzeit laufen wieder Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Rom gegen ihn wegen der Ermordung des Bankiers Roberto Calvi.

Wer nicht mehr mitmachen wollte, wurde beseitigt?

Nuzzi:
Danach sieht es aus. Hinzu kommt das Verschleierungssystem. Gelder, die auf kriminelle Machenschaften zurückzuführen sind und zur Verwahrung bei der Vatikanbank vorgelegte Wertpapiere wurden an andere Banken weitergeleitet. Mehrere Milliarden blieben für die Staatsanwaltschaft bisher unauffindbar. Der Krisenstab der Vatikanbank erkannte bereits Anfang 1992 die Probleme, doch es geschah nichts. Dabei hätte man allein wegen der Verstrickung von Ministerpräsident Giulio Andreotti dringend handeln müssen.

Man sagt Andreotti eine Zusammenarbeit mit der Mafia nach und dass er den Mord an dem Journalisten Mino Pecorelli in Auftrag gegeben hätte. Was fanden Sie heraus?

Nuzzi:
Es gab einen Prozess, aber Andreotti wurde freigesprochen. Herausgefunden habe ich, dass Andreotti das Geheimkonto 001-3-14774-C bei der Vatikanbank hatte, auf das regelmäßig Zahlungen eingingen, allein zwischen 1987 und 1992 umgerechnet 26,4 Millionen Euro. Insgesamt liefen mehr als 60 Millionen Euro über dieses Konto. Geführt wurde es von Monsignore Donato de Bonis, einem Prälaten, »im Namen von Giulio Andreotti». Beträge von diesem Konto gingen als Stipendien und Schenkungen an Nonnen und Mönche, Körperschaften, Orden und Missionen. Die meisten Gelder waren aber keineswegs für wohltätige Zwecke bestimmt, sondern in der Kirchenbank gewaschenes Schmiergeld.

Wie gestalten die Purpurträger der Theokratie heute ihre Finanzpolitik?

Nuzzi:
Der Vatikan hat die Währungsvereinbarung mit der EU unterzeichnet und damit die Gesetze zur Verhinderung von Geldwäsche akzeptiert. Die Financial Times hat diese weitreichende Entscheidung des Kirchenstaates auf die Enthüllungen meines Buches zurückgeführt.

Gianluigi Nuzzi: »Vatikan AG». Ecowin Verlag, Salzburg, 336 Seiten, 22,50 Euro.