Ferdinand von Schirach fragt im Theater: "Wem gehört unser Sterben?"

11.9.2020, 17:00 Uhr
Die Schauspieler Josefin Platt (von links), Judith Engel, Martin Rentzsch, Ingo Hülsmann und Veit Schubert spielen im Theaterstück «Gott» im Berliner Ensemble.

© Annette Riedl, dpa Die Schauspieler Josefin Platt (von links), Judith Engel, Martin Rentzsch, Ingo Hülsmann und Veit Schubert spielen im Theaterstück «Gott» im Berliner Ensemble.

Man merkt, dass Ferdinand von Schirach die Moralfragen liegen. Er hat Rechtswissenschaften studiert. Und in seinen Büchern setzt er sich immer wieder damit auseinander - so auch in seinem neuen Theaterstück "Gott". Im Mittelpunkt steht die Sterbehilfe. Soll ein Arzt einem Menschen ein tödliches Mittel verabreichen, wenn der sich das wünscht? Ja? Nein? Weiß nicht?

Am Ende des Theaterstücks muss das Publikum abstimmen, dazu dann gleich mehr. Das Stück "Gott" ist am Donnerstagabend zeitgleich an zwei Theatern in Deutschland uraufgeführt worden.

Am Berliner Ensemble tritt der Ethikrat vor holzvertäfelter Kulisse zusammen. Dort spricht Elisabeth Gärtner vor (gespielt von Josefin Platt). Mit ihren 78 Jahren will sie ihrem Leben ein Ende setzen. Nach dem Tod ihres Manns sieht sie keinen Sinn mehr in ihrer Existenz. Eine Ethikkommission soll über ihr Anliegen entscheiden.Auch am Düsseldorfer Schauspielhaus wird die Geschichte verhandelt, dort heißt der Protagonist Richard Gärtner (Wolfgang Reinbacher). Im Laufe des Abends sprechen eine Verfassungsrichterin, ein Mediziner, ein katholischer Bischof. Sie verhandeln, was schwerer wiegt, das Recht auf Selbstbestimmung oder das Recht auf Leben.

Auch vor Gericht ein Thema

Von Schirachs Theaterstück ist damit ziemlich aktuell, erst im Februar verkündete das Bundesverfassungsgericht eine wichtige Entscheidung: Die Richter kippten das Verbot assistierter Sterbehilfe und bekräftigten ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben in jeder Lebensphase - unabhängig von unheilbaren Krankheiten.

Das Gericht stieß damit die Tür für organisierte Angebote zur Sterbehilfe in Deutschland auf. Eine gesetzliche Neuregelung steht bisher aber aus. Im Theaterstück werden viele Fragen angesprochen. Besteht nicht die Gefahr, dass Menschen ihrem Leben leichtsinnig ein Ende setzen? Darf es eine Rolle spielen, ob jemand fast 80 Jahre alt ist oder erst Anfang 30?

Bestsellerautor Ferdinand von Schirach ist für seine Justizromane bekannt. Nun hat er ein Theaterstück über das Thema Sterbehilfe geschrieben, das in zwei deutschen Theatern uraufgeführt wurde: "Gott".

Bestsellerautor Ferdinand von Schirach ist für seine Justizromane bekannt. Nun hat er ein Theaterstück über das Thema Sterbehilfe geschrieben, das in zwei deutschen Theatern uraufgeführt wurde: "Gott". © Jens Kalaene, dpa

Kann man es andererseits verantworten, dass Menschen nach gescheiterten Suizidversuchen mit schweren Folgen weiterleben müssen? Oder Lokführer traumatisiert werden, wenn jemand sich vor den Zug wirft? Und kann ein Arzt es überhaupt mit seinem Berufsethos vereinbaren, jemandem ein tödliches Mittel zu geben?

Ferdinand von Schirach stelle die Frage: "Der Arzt darf im Falle eines Suizides helfen, das hat das Verfassungsgericht klargemacht, aber soll er es auch?", sagte der Intendant des Berliner Ensembles, Oliver Reese, dem Sender "Deutschlandfunk Kultur". Der Regisseur inszeniert die Debatte auf der Theaterbühne reduziert und nüchtern. "Ich glaube, dass Sie sich als Zuschauer in diesem Stück selber befragen müssen, ob Sie schon eine klare Position haben."

Die Hände gehen zögerlich nach oben

Soll also ein Arzt ein solches Mittel geben? In Berlin gehen erst zögerlich Hände nach oben, die Schauspieler schätzen, eine Mehrheit der Zuschauer sei dafür. In Düsseldorf fällt das Ergebnis genauer aus. 50 Stimmen für Beihilfe zum Suizid und 17 dagegen. Dass die Abstimmung dort so klar ausfiel, obwohl Gärtner ja eigentlich völlig gesund ist, könnte auch an der Leistung von Schauspieler Reinbacher liegen. Seit 50 Jahren gehört der Österreicher zum Ensemble.

Reinbacher spielt den lebensmüden Gärtner überzeugend und glaubhaft, obwohl er gar nicht auf der Bühne steht. Sein Gesicht wird per Live-Kamera überlebensgroß auf den Hintergrund projiziert. Über Reinbachers Kopf wird quasi hinwegverhandelt, bis er voller Wut die Ausführungen des arroganten Sachverständigen der Bundesärztekammer ("Der Tod ist niemals unser Ziel") gegen Sterbehilfe unterbricht und das "verdammte Ethos" der Ärzte verurteilt.

Bischof Thiel als theologischer Experte wird in der Düsseldorfer Inszenierung von Anwältin Biegler so in die Enge getrieben, dass er sein letztes Argument gegen Sterbehilfe am Ende nur noch herauspressen kann: "Leben heißt Leiden." Cathleen Baumann überzeugt als dominahafte Anwältin mit scharfen Argumenten pro Sterbehilfe, so dass der Eindruck aufkommt, hier beziehe Autor Schirach Position.

Am Ende wird es fast komisch

Regisseur Robert Gerloff nutzt in Düsseldorf Videosequenzen. Stimmen aus dem Off wiederholen Schlüsselsätze aus dem Gewirr der Argumente. Am Ende kommt fast Komik auf, als ZDF-Nachrichtenmoderatorin Gundula Gause als Video eingespielt wird und den Bericht über "die öffentliche Sitzung des Ethikrats" ankündigt.

Im Berliner Ensemble stehen die Figuren in einer Art Gerichtssaal. Hier spielt Martin Rentzsch den Anwalt, der mit Verweis auf sexuellen Missbrauch die katholische Kirche angreift ("Kann Ihre Kirche angesichts solcher Vorfälle noch glaubwürdig in moralischen Fragen sein?"). Und Judith Engel gibt eine Sachverständige, die selbstsicher eine Zahl nach der nächsten raushaut.

Zuweilen wirkt von Schirachs neues Theaterstück wie ein Pro- und Contra-Kommentar in der Zeitung. Es werden Argumente ausgetauscht, Fachbegriffe erklärt, Rechtslagen erklärt, Zahlen genannt.

Das Thema ist schwer. Und zwei Stunden Austausch der Argumente für und gegen Sterbehilfe können im Theater lang werden. Am Ende dürfte Ferdinand von Schirachs "Gott" aber etliche Zuschauer ähnlich überzeugen wie sein erstes Theaterstück "Terror". Damals ging es um die Frage, ob man ein Passagierflugzeug abschießen darf, um andere Menschen zu retten. Auch damals hatte man danach viel zu reden.

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