Fulminanter Tour-Auftakt: RAF Camora heizt Nürnberg ein

22.11.2019, 19:53 Uhr

Sirenen heulen durch Wiens ersten Bezirk. Die "Zone", wie RAF Camora sie nennt, ist abgeriegelt. Die Polizei richtet Straßensperren rund um den Donaukanal ein, Mannschaftswagen fahren durch die Nacht. Ausnahmezustand, ein PR-Spektakel. Für den Rapper ist es der Beginn seiner Promo-Phase, seiner letzten Werbe-Tour. Mit einer Projektion auf der Fassade eines Wiener Hotels kündigt er "Zenit" an, das den Schlusspunkt seiner Karriere markiert. Es soll sein letztes Album sein, vom Aufstieg des vielleicht erfolgreichsten deutschsprachigen Musikers erzählen, von seiner Abneigung zur Deutschrap-Szene, die ihn - so zumindest sieht er es selbst so - imitiert, kopiert, abklatscht. 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

⚡️⚡️ Terence Hill & Bud Spencer !! 🤜🏼🤛🏼 DANKE Nürnberg !! 🔥🔥 FIRE !! #Love

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Eigentlich sollen im ersten Bezirk an diesem Abend nur T-Shirts und CDs mit Hörproben aus "Zenit" verteilt werden. Angemeldet war die Aktion nur teilweise, angekündigt wurde sie über die Social-Media-Plattformen von RAF Camora. Am Ende streifen Tausende Jugendliche durch Österreichs Hauptstadt.

RAF Camora hat deutschen Rap in die Diskotheken der Republik gebracht, das nimmt er für sich in Anspruch - und er sah darin durchaus auch eine Notwendigkeit: "Es darf nicht sein, dass nur Leute wie Culcha Candela Dancehall auf Deutsch machen", sagte Raphael Ragucci, wie der Musiker wirklich heißt, einst in einem Interview. Er definierte eine eigene Stilrichtung, mischt karibische Elemente mit etwas Trap, etwas Straße, aber nie zu hart. "In fünf Jahren wird keiner mehr rappen", sagte er und prophezeite mehr tanzbaren HipHop. Und jetzt? Selten war Rap hierzulande so melodisch - und noch nie wurde er so oft konsumiert. Der Stil von RAF Camora hat sich durchgesetzt. Der Afro-Trap schimmert beinahe überall hindurch, er dominiert die Charts. 

"Diese Musik hier hab' ich importiert
Wer mich nicht kennt, der ist schlecht informiert
Wir war'n die Ersten, ja, sie hab'n uns kopiert"
- RAF Camora im Intro von "Zenit"

Am Donnerstag startete seine aktuelle Tour in der Nürnberger Arena, vor Tausenden enthusiastischen Fans. "Mogul in the making", titelte die deutschsprachige Ausgabe des Forbes-Magazin vor einigen Monaten. Vom Cover des Blattes grüßt RAF Camora mit starrem Blick vor grünem Hintergrund. Entschlossen soll er wirken, ein Geschäftsmann, ein Macher.

Die Zahlen, die der dazugehörige Artikel offenbart, sind beeindruckend. Über drei Millionen Hörer erreicht der Rapper, und das Woche für Woche. Nach Angaben seiner Management-Firma verdiente er in den sechs Monaten nach der Veröffentlichung seines vorletzten Albums "Palmen aus Plastik 2" mit Bonez MC rund 11,5 Millionen Euro, davon fast vier Millionen über Einnahmen aus Lizenzverträgen - also vor allem mit Streaming über Spotify, Amazon Music und Deezer. "Palmen aus Plastik 2" ist aber nur ein kleiner Stein in einer riesigen Wand aus Hits. Weit über 30 Mal ging Ragucci Gold, Platin oder gar Diamant. Die Single "Ohne mein Team" wurde auf YouTube weit über 100 Millionen Mal angehört, der deutlich neuere Song "500 PS" steht nach etwas mehr als einem Jahr vor derselben Schwelle.

Noch nie war im Deutschrap so viel Geld im Spiel, noch nie war er so erfolgreich. "Streaming hat die Charts deutlich verändert", sagt Hans Schmucker. Der Experte von der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), die für den Bundesverband Musikindustrie die Hitliste erhebt, kennt die Branche. Phänomene wie RAF Camora, dessen Album kurz nach Veröffentlichung beinahe komplett in den Top 20 stand, seien in der Tat neu. Gerade junge Fans hören die Songs immer und immer wieder und verhelfen ihren Stars damit auf den Thron, ohne auch nur eines der Lieder wirklich zu kaufen. 

Chartregeln geändert - auch wegen RAF Camora

Die GfK reagiert immer wieder auf die Trends, passt die Mechanismen an und führte etwa die "Fokus-Track-Regel" ein - wegen RAF Camora. Das bedeutet: Kurz nach Veröffentlichung darf, abgesehen von den Single-Auskopplungen, nur noch ein weiterer Song in die Charts. Die anderen werden zwei Wochen lang für die Hitliste geblockt. Doch Deutschlands Rapper, das betont der Experte, verdienen nicht nur mit Streaming. "Sie sind auch bei den physischen Verkäufen stark", sagt Schmucker. "Sie schaffen es, Alben zum Erlebnis für Fans zu machen." RAF Camora stand in seiner vergleichsweise kurzen Karriere über 1000 Wochen in den Charts. "Das schaffen wirklich nur die Allerwenigsten."

Doch Musik ist nur einer von vielen Geschäftszweigen. RAF Camora, der sich im Dunstkreis der Hamburger 187 Straßenbande bewegt, hat etwa mit Rapper Bonez MC "Karneval" auf den Markt gebracht - einen eigenen Wodka. Ein Millionengeschäft, regelmäßig sind die Flaschen, die ausschließlich im Internet vertrieben werden, ausverkauft. Auch die Kleidungsfirma Corbo läuft. Der neueste Coup ist eine eigene Management-Firma. "Manager sollten managen. Bei uns bleiben die Künstler die Chefs", sagte Ragucci auf seinem Album rappt er: "A&Rs (Musikmanager, Anmerkung der Redaktion) sind nix wert, alles Schwänze. Sie geben dir Millionen, kennen nicht mal deine Texte." Auch hier hat die Abgrenzung zum System System.

Geboren wurde Raphael Ragucci in Vevey am Ufer des Genfer Sees, im französischsprachigen Teil der Schweiz. Erste Rap-Songs nahm er auf Französisch auf - und auch heute orientiert sich seine Musik eher an dem Rap aus Marseille und Paris als dem aus Kalifornien und New York. Mit sechs Jahren zog die Familie nach Wien, der Stadtteil Fünfhaus, sagt RAF Camora, ist seine Heimat. 

"Ohne sie wär ich 'n andrer
Vielleicht im Anzug eleganter
Wer weiß, vielleicht wär ich Beamter
Oder auf Party auf der Rambla
Bruder, ja, aber Fünfhaus hat mich kreiert. Fünfhaus hat mich kreiert
Mein Bezirk und meine Straße hab'n mich inspiriert
Vergess' nicht, wo ich herkomm', kann mich nicht verlier'n
Ohne sie wär ich Bandit"
- RAF Camora in "Kreiert"

Jetzt also der "Zenit". Düster klingt er, melancholisch, selbstreflektiert, etwas verbittert. "Emotion und Aggression wurde gemischt", sagt der Rapper selbst über das Album, und beschreibt damit die Soundästhetik treffend. Die Songs erzählen vom Kampf um Anerkennung, sie triefen teils vor Desillusionierung.

Dass Musiker auf ihrem Zenit ihre Karriere beenden, ist ebenso selten wie in der Politik. Getan haben es dennoch einige. Jay-Z etwa. Einer, der sich, ähnlich wie RAF Camora, selbst "Mogul" nennt. Einer, der aus der beschränkten Musikbranche ausstieg und mit Rocawear ein millionenschweres Mode-Unternehmen gründete, der mit Spirituosen jede Menge Geld verdiente, der eine Künstler-Managementfirma gründete. Es scheint, als habe RAF Camora einen ähnlichen Businessplan wie Shawn Carter. Auf dem Forbes-Cover war Jay-Z auch bereits. "I'm not a businessman, I'm a business, man", beschreibt eine Zeile den Mindstate des New Yorkers. Nur: Ohne Musik, das begriff Jay-Z nach seinem Rücktritt Anfang der 2000er Jahre, geht es nicht. Was folgte, war ein Comeback, dass den Musiker in nie geahnte Sphären katapultierte. Vom Zenit, dem vermeintlichen Höhepunkt, in den Orbit quasi.

Hintertüren hat sich auch der Geschäftsmann Raphael Ragucci offen gelassen. Er will weiter Beats produzieren und Nachwuchskünstler noch intensiver betreuen, vielleicht auf den Songs befreundeter Rapper stattfinden. Der Weg zurück ins Geschäft ist kurz, womöglich unter anderem Namen, mit einer neuen Kunstfigur, wie er es bereits in der Vergangenheit getan hat. Die Zeit wird zeigen, ob RAF Camora auch hier dem Vorbild des ersten Rap-Millardärs der Geschichte folgen wird. Der Rap-Ruhestand kann fürchterlich langweilig sein. Jay-Z kann ein Lied davon singen. 

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