Groteskes Theater in eindrucksvoller Kulisse: "Rückkehr in die Wüste" in Fürth

8.3.2020, 20:38 Uhr
Groteskes Theater in eindrucksvoller Kulisse:

© Foto: Hans-Joachim Winckler

Irgendwo weit weg wütet ein unsichtbarer Krieg. Man hört Maschinengewehrsalven, donnernde Einschläge, die brausenden Rotoren eines Helikopters, ein Kind weint. Der Sound im Fürther Stadttheater könnte die bedrohliche Klangkulisse zu einem Kinofilm im Stil von Coppolas "Apocalypse Now" sein. Dabei ist in der Zeit, in der Bernard-Marie Koltès’ "Rückkehr in die Wüste" spielt, gerade der Zweite Weltkrieg vorbei. Die Franzosen kämpfen aber noch an einer anderen Front: Algerien fordert mit Waffengewalt seine Unabhängigkeit von der Grande Nation.

Für das Stück mit dem sauber in die Irre führenden Titel, das der 1989 mit 41 Jahren an Aids gestorbene Autor nonchalant als "Komödie" bezeichnete, sind das relevante Fakten. Es geht um Mathilde, die Tochter einer Industriellenfamilie aus der französischen Provinz, die Anfang der 1930er Jahre von Unbekannt geschwängert und daraufhin sowohl von ihrer Familie als auch von den grauen Eminenzen der Stadtgesellschaft erst gedemütigt, dann als Kollaborateurin bezichtigt und verstoßen wurde. Ihr Bruder Adrien war daran nicht unwesentlich beteiligt. Nun kehrt Mathilde (Ulrike Fischer) nach 15 Jahren mit ihren beiden Kindern Fatima und Edouard aus Algerien zurück – in die Wüste der Provinz. Sie will ihr Erbe antreten, und der Sinn steht ihr nach Rache. . .

Der junge produktive Regisseur Barish Karademir, der in Fürth etwa Fassbinders "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" auf die Bühne brachte, inszeniert das Stück vor allem als Geschichte mit starken Bildern. Andreas Braun schuf dafür stilsicher eine eindrucksvolle Architektur: Inmitten einer hermetisch dunklen Holzwand ist ein goldglänzender Guckkasten eingelassen, zu dem in Kreuzform von oben, unten, rechts und links vier Schächte führen, die sich von dem elfköpfigen Ensemble wunderbar kreativ bespielen lassen und durch die Lichtregie von Sebastian Carol ganz unterschiedliche Stimmungen annehmen können.

Aus dem goldenen Käfig, den der herrische Macho Adrien (Lukas Kientzler) geschaffen hat, will vor allem dessen Sohn Mathieu (Marcel Herrnsdorf) ausbrechen – wenn’s sein muss in den Algerienkrieg. Nicht nur durch diese Figur erinnert Koltès’ Stück an Tschechow; etliche von dessen Protagonisten würden sich am liebsten aus der Enge und Öde der russischen Provinz wegbeamen – "nach Moskau" zum Beispiel – und schaffen es doch nicht.

Aber Koltès kannte auch Jean Genet, Beckett und das absurde Theater. Sein Stück bevölkern grotesk überdrehte Gestalten, die ein moralisch und emotional degeneriertes Gesellschaftsbild abgeben. Ausgesprochen dekorativ, aber auch sinnfällig sind auf der Fürther Bühne die Ratten in Maßanzügen, die als machtgeile, bigotte und reaktionäre Hüter des Nationalismus auftreten und vor blutigem Terror gegen Migranten aus den Kolonien nicht zurückschrecken. Da führt das Stück kurz und unverhofft unmittelbar in die deutsche Gegenwart.

Bei all dem stellt Koltès den von Wortwitz durchdrungenen Text ins Zentrum, er ist bei ihm das Ausdrucksmittel der Stunde, nicht das Schauspiel. Karademir nimmt diese Direktive in seiner dichten Inszenierung direkt auf. Die Dialoge der Protagonisten mit den kreideweißen Gesichtern sind meist absichtsvoll frontal ins Publikum, also gleichsam ins Nichts gerichtet. Den Zuschauer fokussiert er damit gekonnt auf die gesprochenen Worte.

Doch egal ob es eine der Hauptfiguren ist oder die exzentrische Haushälterin Queuleu (Nicola Lembach), die verstörte Fatima (Kathrin Horodynski), die überdrehte Trinkerin Marthe (Isabella Szendzielorz) – Karademir setzt in dem knapp zweieinhalbstündige Stück auf einen angespannten, auch artifiziellen Ton. Für den Zuschauer ist das auf die Dauer anstrengend. Das Ensemble meistert die Textmenge allerdings mit Bravour und hält mit intensiven Auftritten die Spannung über lange Strecken hoch. Doch so wenig Empathie innerhalb der Geschichte aufscheint, so distanziert bleibt man im Zuschauerraum. Zumal mit Rassismus, Kolonialismus, Geschwisterzwist, Machismus, Unterdrückung, Heimat und Fremde zu viele teils hochaktuelle Themen angerissen, aber nicht vertieft werden. Ein paar Streichungen hätten gut getan. So lässt einen ein optisch effektvolles, anspruchsvoll unterhaltendes Stück etwas ratlos zurück.

Weitere Aufführungen: 10. bis 13., 20./21. März. Kartentel.: . 09 11/9 4 24 00

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