Bob Dylan wird 80

In den Wind gepfiffen: Bob Dylan wird 80

20.5.2021, 10:36 Uhr
Der Weg war weit: Bob Dylan im Jahr 2011 in Vietnam.

© Vi Khoa, dpa Der Weg war weit: Bob Dylan im Jahr 2011 in Vietnam.

Wenn ein verdienter Künstler ein gewisses Alter erreicht hat, dann wird er irgendwann automatisch unantastbar, dann erscheint alles, was er erschafft, im Glanz seiner
mystischen Aura.

Auf Bob Dylan trifft das in einem ganz besonderen Maße zu. Oder wie ist es sonst zu erklären, dass der Meister erst Anfang April 2020, im zarten Alter von 78 Jahren, seinen ersten Nummer-Eins-Hit unter eigenem Namen in den Billboard Charts landete?

Und das mit „Murder Most Foul“, einem 18-minütigem, geraunztem Rezitativ über die Ermordung John F. Kennedys, gespickt mit massenhaft kulturhistorischen Anspielungen und Name-Droppings, aber so gut wie befreit von erkennbarer Melodie und zwingendem Rhythmus.
Konstante in brüchigen Zeiten

Nicht missverstehen: Wir wollen am künstlerischen Gehalt der Darbietung nicht rütteln. Dylans inzwischen sepiafarben getönter Bewusstseinsstrom fließt noch immer in beeindruckender Fülle und mit imaginativer Kraft.

Aus den Fugen geratene Welt

Aber genauso klar ist auch, dass es nicht so sehr der Song war, der hier gefeiert wurde (dann hätte das 11-minütige „Desolation Row“ von 1965 auch schon ein Riesenhit werden müssen, doch selbst „Like a rolling stone“ schaffte nur Platz 2), sondern die Wiederkehr eines alten Freundes, eines lebenslang Vertrauten, eines spirituellen Weggefährten. Einer Konstante in einer aus den Fugen geratenen Welt.

Und das ist er im Grunde für alle, die empfänglich sind für Musik und Poesie, auch wenn sie seine Stimme vielleicht nicht mögen und sich fragen, was all das Getue um diesen knarzenden, nölenden Zausel mit der quietschenden Mundharmonika soll.

Folk-Saengerin Joan Baez und Liedermacher Bob Dylan singen bei ihrem Auftritt anlaesslich des "Marsch auf Washington" am 28. August 1963 den Song "We Shall Overcome".

Folk-Saengerin Joan Baez und Liedermacher Bob Dylan singen bei ihrem Auftritt anlaesslich des "Marsch auf Washington" am 28. August 1963 den Song "We Shall Overcome". © akg-images, epd

Wer zu den glücklichen Menschen gehört, die sich einigermaßen regelmäßig mit Freunden um WG-Tische oder Lagerfeuer versammeln, um gemeinsam Gitarre zu spielen und zu singen (die Pandemie vergessen wir jetzt mal bitte), der weiß was ich meine.

Man muss nur „Mr. Tambourine Man“ oder „I shall be released“ anstimmen, und die unfassbare Kraft dieser leuchtenden, brennenden Sprachbilder trägt uns auf den Flügeln der genauso schlichten wie wirkungsvollen Melodien weit über die Banalitäten des Alltags hinaus.

Dylans beste Songs vermitteln ein Gefühl von Freiheit, wie es unmittelbarer nicht sein könnte. Dass die Wenigsten, und womöglich nicht mal ihr Schöpfer selbst, den Sinn dieser surrealistischen Poeme ganz erfassen können, ist dabei völlig egal.

Schon rührend, wie viele selbsternannte Dylanologen in jeder bekifft hingekicherten Zeile eine tiefere Botschaft vermuten („The pump don‘t work, ’cause the vandals took the handles“ – alles klar, oder?) und dabei übersehen, dass Dichter oft einfach eine kindliche Freude am Wortspiel haben. Würden sie gerne Botschaften verbreiten, wären sie Politiker geworden oder Prediger.

Ungekünstelte Direktheit

„Elvis hat den Körper befreit, Dylan den Geist“, hat Bruce Springsteen einmal gesagt, und das trifft den Nagel auf den Kopf – auch wenn das freilich eine sehr angloamerikanische Sichtweise ist: In der afroamerikanischen Musik, die sowohl für Elvis als auch für Bob Dylan eine maßgebliche Inspirationsquelle war, waren Körper und Geist nie eingesperrt gewesen, sondern strebten von der Frühzeit des Jazz und Blues an immer nach Entgrenzung, nach Ekstase. Und freilich war Dylan auch nicht der Erste, der gute Songtexte schrieb.

Doch hinter dessen gewaltigen lyrischen Eruptionen, die gleichzeitig genauso scharfzüngig, gesellschaftskritisch und höhnisch wie abgedreht, witzig oder einfach nur albern sein konnten, verblassten sogar der melancholische Hank Williams und der clevere Chuck Berry. Vor allem hat Dylan noch etwas ganz anderes befreit: die menschliche Stimme.

In einer Zeit, in der Gesang im Bewusstsein der allermeisten Hörer gefälligst „schön“ zu klingen hatte und in der selbst die Harmonien der Beatles von nicht wenigen als disharmonisch empfunden wurden, teilte er mit seiner nölenden Nicht-Stimme das Publikum wie einst Moses das Rote Meer: Hier die „Der-kann-ja-gar-nicht-singen“-Fraktion, dort die Erlösten, für die gerade diese ungeschliffene, messerscharfe, ungekünstelte Direktheit das Ende aller Heuchelei bedeutete.

Bob Dylan tritt im Jahr 1997 während eines Kirchenkongresses vor Papst Johannes Paul II. (Hintergrund) auf.

Bob Dylan tritt im Jahr 1997 während eines Kirchenkongresses vor Papst Johannes Paul II. (Hintergrund) auf. © Daniel Dal Zennaro, dpa

Was nicht heißen soll, dass die Drei-Oktaven-Grandezza von Roy Orbison oder die Soul-Ekstase einer Aretha Franklin weniger wahrhaftig gewesen wären. Doch seit Dylan wissen wir: Begrenzter Tonumfang und schiefe Töne können okay sein. Sofern du was zu sagen hast – und es mit Nachdruck sagst.

Nach der Wiedergeburt

Und heute? Nach einer bald sechzigjährigen Plattenkarriere, in der Meisterstücke wie „Highway 61 Revisited“ oder „Blood on the tracks“ neben hingeschludertem Mist wie „Dylan – A fool such as I“ oder „Down in the groove“ stehen, versorgt uns der Meister seit seiner Wiedergeburt mit „Time out of mind“ (1997) erstaunlich beständig mit vielleicht nicht durchweg genialen, aber qualitativ hochwertigen Alben.

Und mit Konzerten, welche die Einen stets als Offenbarung und die Anderen als Unverschämtheit wahrnehmen. An der Heiligkeit von His Bobness ist trotz der Kontroversen, die seine Kunst und sein oft rätselhaftes Verhalten noch immer auslösen, nicht zu rütteln – er hat sie sich redlich erarbeitet.
Blenden lassen braucht man sich von ihr allerdings nicht. In diesem Sinne: Happy Birthday, Bob!

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