Jan Böhmermann schleust falschen Kandidaten bei RTL ein

12.5.2016, 21:57 Uhr
Jan Böhmermann schleust falschen Kandidaten bei RTL ein

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TV-Deutschland muss schon lange ohne Dieter Hildebrandt und seinen "Scheibenwischer" auskommen. Aber mit der "heute-show", "Die Anstalt" und "extra 3" haben die Öffentlich-Rechtlichen ja weiterhin erbauliche Witzigkeiten im Abendprogramm. So weit, so harmlos.

Wäre da nicht dieser 35 Jahre alte Jan Böhmermann, dem mit seinem "Neo Magazin Royale" immer wieder Coups gelingen (wie die mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Charade um den vermeintlich gefälschten Stinkefinger des damaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis), von denen die Satire-Elite des Landes nur träumen kann. Auch deshalb, weil Böhmermann das Netz und die sozialen Medien virtuos für seine Zwecke zu nutzen weiß.

Am Donnerstagabend erschien nun die mit Spannung erwartete erste "Neo Magzin Royale"-Ausgabe nach der Affäre um die Schmähkritik auf Erdogan und Böhmermanns selbstgewähltes einmonatiges Exil. Zu Gast im Studio: Linken-Politiker Gregor Gysi. Der promovierte Jurist ließ Böhmermann wissen, dass er "das Gedicht nicht schön finde, weil es alle Vorurteile bedient." Allerdings hätte er Verständnis, wenn es um Kritik an Erdogans restriktiver Politik gehe, die er wörtlich eine "Scheißpolitik" nannte. "Ich werde auch oft beleidigt. Aber ich habe noch nie einen Antrag auf Strafverfolgung gestellt." Zudem rügte er das Verhalten der Kanzlerin und nannte den Paragrafen 103 "grundgesetzwidrig".

Zu Beginn der Sendung verlas Böhmermann, wie im Vorfeld angekündigt, keine eigenen Witze, sondern nur solche, die ihm Zuschauer zugeschickt hatten. Als Prämie für jeden vorgetragenen Gag gab es die symbolische Summe von 103 Euro – in Anspielung auf den umstrittenen Paragrafen.
Außerhalb von Gysis Anmerkungen blieb das Thema Erdogan während der ganzen Show zwar unterschwellig präsent, bis auf einige augenzwinkernde Andeutungen aber unausgesprochen.

Glücklicherweise, denn schon gelang Böhmermann der nächste geniale Streich – wohltuend unpolitisch, aber nicht weniger subversiv und brüllend komisch: Unerkannt hatte das "Neo Magazin"-Team einen Schauspieler in die Kandidaten-Riege der laufenden Staffel der RTL-Doku-Soap "Schwiegertochter gesucht" eingeschleust. Der "einsame Eisenbahnfreund" und Schildkröten-Fan Robin erwies sich als "Neo"-Eigengewächs. "Schwiegertochter"-Sucherin Vera Int-Veen und dem RTL-Verantwortlichen dürfte es die Sprache verschlagen haben. Entsprechend lautete der "Hashtag der Woche" #verafake. Die Causa Böhmermann? Vor Lachen war sie da fast schon vergessen. Als wäre nichts gewesen. Sendung eins nach Erdogan? Mit Bravour bestanden.

Die Wellen, die Böhmermann mit seiner absurd derben "Schmähkritik" geschlagen hat und längst die nicht minder absurden Ausmaße einer Realsatire angenommen haben, ebben derweil keinesfalls ab: Am Tag der "Neo Magazin"-Rückkehr sorgte der CDU-Politiker Detlef Seif für Empörung – als er im Bundestag den verblüfften bis peinlich berührten Abgeordneten das komplette Böhmermann-Gedicht vorlas. Die Opposition hatte zuvor Anträge für eine sofortige Streichung des Paragrafen 103 vorgelegt.

Ob die Ermittlungen gegen Böhmermann am Ende eingestellt werden oder er tatsächlich juristisch belangt wird? Das spielt eigentlich keine Rolle mehr, als Satiriker ist er in jedem Fall der Sieger.  Hat er doch auf brachial-einfache Weise bewiesen, dass die Bande einer auf Abneigung basierenden Zweckehe zwischen Berlin und Ankara in Zeiten der Flüchtlingskrise stärker sein können als Artikel 5 des Grundgesetzes.

Zweifelsohne ist das Gedicht an sich geschmacklos und in höchstem Maße beleidigend. Doch was Böhmermann mit seinen satirischen Versen bewusst ausgelöst hat, war hierzulande überfällig: Mehr als 50 Jahre nachdem Franz Josef Strauß zu tief in den Spiegel geschaut hat, gibt es endlich wieder eine grundlegende Debatte um die Freiheit der Presse, der Meinung und der Kunst. Und das ist nichts Geringeres als größte anzunehmende Glücksfall (kurz: Super-GAG) für einen Satiriker.

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