Kind im Krieg: Inge Obermayer

7.5.2009, 00:00 Uhr
Kind im Krieg: Inge Obermayer

© Ebersberger

Aber dann war die Erlanger Autorin und Kulturpreisträgerin nach München eingeladen. In der Klasse ihrer Urenkelin sollte sie einen Text vorlesen, Thema: 60 Jahre Kriegsende. Das tat sie auch. Und entdeckte danach, im Gespräch mit den aufgeweckten Sechstklässlern, wie groß die Neugier der Kinder war. Wie sehr die Zeit mit all ihren Schrecken noch immer zum Nachfragen, Nachbohren reizte. Und Inge Obermayer sagte sich: «Du solltest vielleicht doch was schreiben...« Sie wusste auch: «Die Zeugen sterben langsam aus.«

Nun liegt das Ergebnis vor. «Frau Kohn und Papa Leimann«, ein kleines, großes Buch, das die Erinnerungen der 80-Jährigen an ihre Berliner Kindheit und Jugend auf ganz eigene Weise vergegenwärtigt. Erschienen übrigens als erstes, wohlfeiles Paperback des Nürnberger Spätlese Verlags, ideal also für die Lektüre in Schulen. Aber nicht nur dort.

Obermayer spricht mit ihrem klaren Stil und ihren fesselnd persönlichen Skizzen alle Leser an. Zwei Jahre hat sie entsprechend für das dicht geschriebene Werk gebraucht. «Am längsten hat das Nachdenken gedauert«, das Nachdenken, welche Form die richtige ist. Sie hat sie gefunden. Ganz authentisch, lapidar, ohne Anklage oder Verteidigung. Man spürt dabei immer wieder die Lyrikerin, der Details genügen. Die vieles anklingen lässt, ohne es ausführlich beschreiben zu müssen.

Wie, um mit dem Titel anzufangen, bei Frau Kohn. Jener noch jungen, kinderlosen Nachbarin, die den Mädchen immer Bonbons vom Balkon zuwarf. Bis man sie, eines Tages, kaum mehr sah. Eine Jüdin, man ahnt es, plötzlich behandelt wie eine Fremde. Sie wollte nach Palästina ausreisen. Ihr Schicksal: unbekannt.

Oder wie bei Papa Leimann – der Kontrastfigur. Ein Kumpan des Vaters aus dem Ersten Weltkrieg, der immer noch zum Skatspielen vorbeikommt. Nun als SA-Mann, in Uniform und mächtig stolz. Weil fast so lang Parteimitglied wie ein gewisser Adolf Hitler.

«Ich seh diese Leute noch vor mir«, erzählt Inge Obermayer, «ich erinnere mich genau...« Leute, die auf Hakenkreuzfahnen bestehen. Leute, die verschwinden. Leute, die ihre Söhne an den Krieg verlieren. Dazwischen, als kindliche Zeugin, sie selbst. Aber immer mit Distanz, in dritter Person. «Didi« nennt sie sich, ein Kosename aus dem Pfälzischen. Didi, die Tochter eines immer wieder arbeitslosen Industriekaufmanns, die doch ein eigenes Puppenhaus bekommt. Didi, die nicht wagt, zu fragen, warum auf Bänken oder im Schwimmbad steht: «Für Juden verboten.« Didi, die bei einem Bombenangriff im Luftschutzkeller verschüttet wird – und dann, zur Rettung, mit der Mutter nach Bad Kissingen geschickt.

Obermayer heute: «Eine irre Zeit... widerwärtig.« Fast eine eigene Geschichte ist das traurige Ende des Vaters. Der noch am 3. Mai 1945 in russische Gefangenschaft geriet und 1946 in einem Lager im Westen von Moskau starb. Erst 1976 kam die Todesnachricht. Erst 2007 die Botschaft vom Roten Kreuz, dass man die Akte gefunden habe und nun mehr wisse. «Ich trauere nicht an Gräbern«, sagt Inge Obermayer nachdenklich. Sie schreibt.

Inge Obermayer: Frau Kohn und Papa Leimann. Spätlese Verlag, 112 Seiten, 9,80 Euro.

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