Konzert in Nürnberg: Conchita Wurst im Gespräch

20.11.2019, 17:17 Uhr

Conchita, Sie sind eine multiple Persönlichkeit, daher muss ich Sie am Anfang fragen, wie Sie angesprochen werden möchten.

Privat sagen alle meine Freunde Tom zu mir, beruflich und in der Öffentlichkeit ist es mir egal, ich höre auf Conchita, auf Tom, auf Wurst. Ich stehe so gerne im Mittelpunkt, wenn einer der Namen fällt, drehe ich mich sofort um.

 

Da Sie mit Ihrem neuen Album einen drastischen Imagewechsel vollzogen haben, könnte man vermuten, dass das Konzert in Nürnberg eine Art Abschiedstournee für Conchita ist?

Vor einiger Zeit hat sich das tatsächlich so angefühlt, ich habe aber bei einer ProSieben-Produktion ("Queen Of Drags") die Liebe zu Conchita Wurst wiedergefunden und ich kann mir durchaus vorstellen, Konzerte dieser Art weiter zu machen.

 

Wie ist der Kontakt mit Thilo Wolf und den Nürnberger Symphonikern zustande gekommen?

Ich habe vor zwei Jahren beim Opernball in Hannover eine Mitternachtsshow abgeliefert, Thilo war damals mit seiner Band engagiert und hat wohl schön gefunden, was ich tue. Wir haben dort gemeinsam musiziert und beschlossen, dass man daraus noch mehr machen könnte.

 

Außer den bekannten großen weiblichen Stimmen präsentieren Sie live auch Cover-Songs von Männern wie David Bowie, Prince oder Sam Smith.

Das wird tatsächlich das Programm des Abends sein. Ich bewege mich gerne auf verschiedenen Feldern und liebe die Herausforderung. Gesanglich fällt mir ein Song von Sam Smith etwas leichter, aber ich wage mich eben auch an Celine Dion und Shirley Bassey.

 

Mit welchen Vorurteilen mussten Sie sich bei der Zusammenarbeit mit einem "klassischen" Orchester auseinandersetzen?

Die Skepsis der klassischen Musiker gegenüber Pop-Musikern ist bekannt und für mich auch berechtigt. Die Klassik ist die Wiege der Musik, das respektiere ich – gerade als Österreicher – sehr und sage, dass diese Musiker für mich fast Übermenschen sind.

 

Auf der CD "From Vienna With Love" offenbaren Sie eine große Nähe zu den Titelmelodien der James-Bond-Filme. Wie stehen Sie zu dem Männlichkeitskult der Hauptperson?

Das ist ein sehr verstaubtes Konzept und es wäre an der Zeit, einen weiblichen James Bond zu haben. Ich liebe die Musik, aber ich finde die Filme ein bisschen langweilig.

 

Der Wechsel zu der Kunstfigur "Wurst" wird in dem Booklet Ihrer neuen CD als Wunsch beschrieben, zu sich selbst zu finden. Ist die Zeit der epischen Balladen und der Verkleidungen als Diva damit vorbei?

Conchita war für die Zeit vor etwa sechs Jahren die Wahrheit, ich fand das schön. Dann aber dachte ich, jetzt etwas komplett Neues machen zu müssen, um auszudrücken, was ich jetzt fühle und spüre. Es ist aber nur eine neue Phase, ein Prozess, kein unwiderruflicher Reset.

 

Dort finden sich auch zwei sehr persönliche Songs: "Trash All The Glam" und "Truth Over Magnitude". Wie würden Sie diese Ich-Botschaften in einfaches Deutsch übersetzen?

Zum einen heißt es, dass man die Oberflächlichkeit, die Show und den Glamour hinter sich lässt und mehr bei sich selbst ist; zum anderen heißt es, dass die Wahrheit wichtiger ist als die Größe. Damit meine ich die Abgründe des Entertainment-Business, aber auch mein eigenes Ego. Ich habe in der Vergangenheit Fehler gemacht und kann dazu "Entschuldigung" sagen; das gibt mir eine große neue Freiheit.

 

Welches Konzept steckt hinter der bildlichen Gestaltung der neuen CD?

Wir – das heißt der Fotograf Niklas von Schwarzdorn und ich – haben bei dem Foto-Shooting für die neue CD festgestellt, dass ich nackt sein muss, weil es das ist, worum es geht: das Ende der Illusionen. Es war ein wahnsinnig heißer, schweißtreibender Sommertag, an dem ich durch die Szenerie laufen musste, wie Gott mich schuf.

 

Wie halten Sie es aus in einer Welt, in der Andersartigkeit zunehmend bedroht wird?

Zum einen bin ich wahnsinnig ignorant, ich entdecke dennoch einen Trend zu mehr Verständnis, eine Generation, die inkludierend, sensibel und wach ist. Auf der anderen Seite sehe ich aber auch – gerade in Österreich – gegenläufige Entwicklungen. Die Lösung für mich ist positives Denken, Freundlichkeit, Humor; darauf konzentriere ich mich.

 

Fühlen Sie sich mehr als Österreicher, als Europäer oder als Weltbürger?

Ich liebe es, in Wien zu leben, diesen Schlagobers-Schaum in der Mitte von Europa zu schmecken; ich liebe es aber auch zu reisen und von anderen Menschen zu lernen.

 

Wie ist als Sänger Ihr Verhältnis zur deutschen Sprache?

Englisch ist ein Stück weit leichter zu singen, ich merke aber, dass ich zuletzt eine große Liebe zu meinem Dialekt entwickelt habe. Das geht so weit, dass mich bei Interviews manch einer nicht verstanden hat.

In Nürnberg müssen Sie die holzvertäfelte Meistersingerhalle mit ihrer Präsenz füllen, wo wäre die Musik des neuen Albums richtig aufgehoben?

Ich glaube, dass eine abgerockte Club-Location dazu passen würde, aber ich bin auch nicht abgeneigt, meine neue Musik orchestral darzubieten. Die Vorfreude auf eine große Konzerthalle führt nämlich dazu, dass ich morgens schon konzentrierter und mit besserer Körperhaltung aufstehe.

Tom Neuwirth (31), österreichischer Travestie-Künstler, katapultierte sich beim Eurovision Song Contest 2014 in der Rolle der Conchita Wurst ins Rampenlicht und etablierte sich seitdem als Anti-Diskriminierungsbeauftragter des Pop. Mit Perücke und Bart spielt er im Krieg der Geschlechter ebenso ein raffiniertes Verwirrspiel wie in der Musik. Der Sänger tritt mal mit Popbands, mal mit Orchester auf.

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