Lautstarke Appelle an die Harmonie

6.1.2020, 17:46 Uhr
Lautstarke Appelle an die Harmonie

© Foto: Peter Roggenthin

Auch wenn eben erst der 249. Geburtstag anstand, 250 Jahre Ludwig van Beethoven wollen ausführlich gefeiert werden. Dabei geht es natürlich weniger um Heldenverklärung. Gerade das Widerständige, das Unbekannte, das permante Ringen um die geeignete Form und die humanen Botschaften im Werk zu entdecken, heißt die Aufgabe für Hörende und Hinhörende im Jubeljahr.

Diesen Auftrag nahmen die Nürnberger Symphoniker in ihren beiden restlos ausverkauften Neujahrskonzerten in der Meistersingerhalle sehr ernst und wählten eine ideale Anlaufstrecke hin zum kolossalen Freudentaumel in der 9. Sinfonie.

Zugegeben die anlasslose Konzertouvertüre "Zur Namensfeier" ist mit ihrem sehr durchsichtgen Aufbau und eher einfallslosen Motivwiederholungen nicht gerade stärkster Beethoven, aber nur im Vergleich zu solchen Gelegenheitsarbeiten lässt sich ein Geniestreich wie die Chorfantasie op. 80 richtig einschätzen. Die Mischung aus Kantate, Klavierkonzert und klassizistischer Lobpreisung des Geistes gilt nicht umsonst als Probewurf für das, was später in der "Ode an die Freude" kulminierte.

Starke Gesangs-Solisten

Zudem war eine äußerst starke Phalanx an Solisten aufgeboten: Der 30-jährige Pianist Mario Häring zirkelte die Kadenzen blitzsauber und herrlich perlend aus den Tasten heraus, mit der Altistin Marina Prudenskaya und Bass-Bariton Antonio Yang waren nicht nur zwei ehemalige Säulen des Nürnberger Opernensembles zurückgekehrt, sondern auch zwei besonders stimmgewaltige Könner. Das Quartett komplettierten der chinesische Tenor Long Long von der Niedersächsischen Staatsoper in Hannover und die Höhen-starke estnische Sopranistin Mirjam Mesak.

Dazu traten Abordnungen von Philharmonischem, Hans-Sachs- und LGV Konzertchor, die Gordian Teupke zu einem schlagfertigen Ensemble geformt hatte, mit dem später auch die über Stimmgrenzen hinausreichende Exaltiertheit in der "Ode" glaubhaft wurde.

Schade war dagegen das eher spannungsarme Dirigat von Kahchun Wong in den Instrumentalsätzen der d-moll-Symphonie zuvor. Sicher, er ist um keine Geste verlegen, trägt stolz das Bundesverdienstkreuz am Revers und erklärt überflüssigerweise vor dem 3. Satz, dass man jetzt einen Sonnenaufgang zu erwarten habe, aber in Wahrheit erstickt seine Beethoven-Interpretation in Schönheit. Im ersten Satz wurde der Gegensatz von weiblichem und männlichen Prinzip noch elegant ausformuliert, aber dann erlahmte das Interesse an Beethoven, dem Rebellen. Man darf sich etwa die Kontrabass-Passage vor "Freunde, nicht diese Töne" durchaus ruppiger und "dreckiger" vorstellen, als sie sich hier ereignete. Aber da der Schlussjubel in seiner Intensität alles überstrahlt, wurde nach einem langen Programm auch lange applaudiert.

InfoNächstes Symphonisches Konzert: 19. Januar; Joseph Bastian dirigiert Lekeu, Högberg und Mussorgsky; Karten: Tel. 09 11 / 2 16 77 77.

 

Lautstarke Appelle an die Harmonie

© Foto: Peter Roggenthin

Die Staatsphilharmonie Nürnberg lässt sich auch noch nach Neujahr nicht lumpen, wünscht lauthals und unisono "Prosit!", wandelt aber das Wiener Neujahrskonzert-Ritual – dieses Jahr zu fünf Mal "Walzer Walzer Walzer". Tatsächlich: wenn man der Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz zweieinhalb Stunden beim Dirigieren zuschaut, kann einem schwindlig werden, und man glaubt kaum, was der kürzlich verstorbene Mariss Jansons zu seinem Kollegen Franz Welser-Möst mit tröstender Hand auf der Schulter sagte: "Nur wir wissen, wie schwer das in Wirklichkeit ist."

Bei der "Dirigentin des Jahres" merkt man in Nürnberg nichts von "schwer" – sie übernimmt auch noch die Moderation. Und stellt im fünfmal gefüllten Opernhaus nicht nur die üblichen Großmeister des 200 Jahre alten "Walzers" vor, sondern Tanz-, Konzertwalzer, Walzerlieder von Donaustrand und Ungarland bis hin zu den ironischen Walzer-Fußnoten aus dem Frühwerk von Wolfgang Rihm ("genießerisch zigarrig") oder zu Maurice Ravels Weltuntergangsmenetekel "La Valse".

Von diesem Kaliber mit doppeltem Boden hätte man sich noch mehr gewünscht. Stattdessen hatten sich Mallwitz und die Staatsphilharmonie in Walzerseligkeit und -sentimentalität gestürzt – immer attraktiv und wie immer ein bisschen in Eile, auf jeden Fall mit hinreißend aufrauschendem Streicherklang wie in Peter Tschaikowskys "Dornröschen".

Dass die schon in ihrer zweiten Nürnberger Spielzeit vergötterte Joana Mallwitz auch so ein Wunsch- und Klatschkonzert punktgenau mit künstlerischem Ernst vorbereitet und leitet, Musiker spürbar animiert, sieht man ihrer intensiven Gestik an, die jede Nuance vermittelt – ihren Kollegen und dem Publikum.

"Freischütz" im Ball-Frack

Man hört es auch den Orchestersoli an: etwa der vielbeschäftigten Harfe von Lilo Kraus, der blitzsauberen Flöte von Jörg Krämer oder dem "Aufforderung zum Tanz"-Rahmen mit dem Cellisten Christoph Spehr – "Freischütz" im Ball-Frack. Die beiden Solisten der fünf Konzerte durften ihre Auftritte durchaus als Auszeichnung verstehen: Die junge Andromahi Raptis mit ihren verwegenen Sopranspitzen und -koloraturen, der Konzertmeister Manuel Kastl mit Virtuosenstücken und aufs beste polierten populären Plattheiten. Egal ob Franz von Vecsey oder Fritz Kreisler, immer im Mittelpunkt steht Joana Mallwitz mit einem Maximum an dirigentischer Performance, überlegen platziertem Rubato, natürlich besonders bei Johann Strauß.

Sie ist ein Motivationswunder auch im Kaleidoskop-Konzert. Mit den "Rosenkavalier"-Walzerfolgen von Richard Strauss im Zugabenteil hätte mitreißend Schluss sein können. Aber es musste dann doch wieder der "Radetzky-Marsch" sein.

InfoNächstes Philharmonisches Konzert: 24. Januar; Enrique Mazzola dirigiert Piazzolla, de Falla und Schostakowitsch; Karten: Tel. 09 11 / 2 1627 77

Keine Kommentare