Reise in die germanische Unterwelt

18.5.2016, 19:08 Uhr
Reise in die germanische Unterwelt

© Foto: Verlag

Philipp Krömer hat seine Edda gelesen und kennt sich bei Wagner aus. Und er fabuliert die Details einer zumindest als Plan historisch verbürgten Expedition von 1939 zusammen, bei der ein SS-Mann (Kleinheinrich), ein NSDAP-naher Wissenschaftler samt Reise-Grammophon („Vonundzu“) und der Ich-Erzähler selbst in Island einen tiefen Erdschlund erkunden sollen, in dem der Ursprung der arischen Rasse vermutet wird.

Soweit, so skurril. Und genau so geht es weiter, in Krömers blumig-fantasievoller Sprache, die zwischen Nonsens-Gag und schnellen Sprüngen der Perspektiven, zwischen Innenschau und vollmundiger Schilderung, zwischen Jules-Verne-artiger Grusel-Erzählung und Annäherung an den Leser wechselt, dass es eine Freude ist.

Besondere Märchenstunde

Krömer, 2015 beim renommierten Nachwuchs-Autoren-Preis „Open Mike“ mit dem taz-Publikumspreis ausgezeichnet, macht den Leser in einer Rahmenhandlung zum Komplizen, in welcher der Erzähler ihn ans Kaminfeuer bittet zu seiner ganz besonderen Märchenstunde.

Was die drei Expeditionsteilnehmer erleben, ist eine Reise in die Ursuppe germanischer Mythologie. Der Erzähler wurde als solcher für das Experiment engagiert: Um der Nachwelt von den arischen Wurzeln zu erzählen (und den luxuriösen Bunker zu verschweigen, der schon angelegt ist, um Nazi-Größen im Fall einer Niederlage im noch nicht begonnenen Krieg zu beherbergen). Erzähler Karl schildert den mühevollen Abstieg in die unterirdische Höhle, in der bald die spannungsvolle Gruppendynamik für Tote und Verletzte sorgt, in der das Unheimliche mit Forscherneugier verdrängt wird und auch mal „Tristan und Isolde“ vor augenlosen Höhlenwesen gespielt wird, die das aber – ganz unarisch – nicht gut vertragen.

Der Abstieg wird gleichgesetzt mit einer Erkundung im Körperinneren des Riesen Ymir, jenes Urzeitwesens, aus dessen Gliedmaßen die ersten Götter Odin und Co. die Welt geformt haben sollen.

Schöne Ausstattung

Und damit muss man zur Illustration kommen: Weil das Buch im Erlanger Homunculus-Verlag erschienen ist, den Philipp Krömer mit drei Mitstreitern gegründet hat, und weil der sich zum Ziel gesetzt hat, nur wirklich schöne Bücher mit Leinen-Einband herauszugeben, ist es reich bebildert mit alten medizinischen Darstellungen eines Körpers und seiner verschiedenen Blessuren.

Dies, der elaboriert-witzige Sprachduktus und die spitze Ironie, die den mit bildungsbürgerlichem Wissen grundierten Roman anreichert, machen ihn zu einem angenehm aus dem Mainstream fallenden Lesevergnügen. Man darf auf Krömers nächstes Buch gespannt sein.

Philip Krömer: Ymir – oder aus der Hirnschale der Himmel. Roman. Homunculus Verlag, Erlangen. 216 Seiten, 19.90 Euro.

Keine Kommentare