Rossinis «Moses und Pharao« feierte im Opernhaus Premiere

1.2.2010, 00:00 Uhr
Rossinis «Moses und Pharao« feierte im Opernhaus Premiere

© Staatstheater/Olah

Dieses Werk kann man getrost als Rarität bezeichnen, lässt es sich doch nicht so einfach in eine der üblichen Schubladen des Repertoires schieben. Rossini kombiniert hier nicht nur seinen melodiös beschwingten Belcanto-Stil mit dem wuchtigen alttestamentarischen Stoff des Auszugs der Hebräer aus Ägypten, nein, er hat hier auch noch sein Vorläuferwerk im italienischen Stil, «Mosè in Egitto«, für die Anforderungen der französischen Grand Opera umgearbeitet.

Und er lässt sein Werk, auch das ungewöhnlich genug, mit dem fast greifbaren Happy End beginnen: Schließlich sitzen die Hebräer in Ägypten quasi auf gepackten Koffern, und der Pharao hat ihnen den Auszug ins Heilige Land schon genehmigt. Doch da funkt die Liebe dazwischen: Auch Anaï, die Nichte des Hebräer-Anführers Moses, würde Ägypten verlassen, was dem in sie verliebten Pharaonensohn Aménophis gar nicht passt.



Eine Schicksalsoper, die auch den Witz wagt



In dem Moment, in dem die Lovestory die biblische Geschichte und die hohe Politik durchkreuzt, werden natürlich auch die Genre-Gesetze der Oper angeknipst, was Regisseur David Mouchtar-Samorai in Nürnberg zu einer intelligenten und gewitzten Inszenierung nutzt. Angesichts dieser sperrigen Thematik, die die jüdische Diaspora ebenso umfasst, wie das Wissen um den Holocaust, kann man das ruhig ein Kunststück nennen.

Mouchtar-Samorai versetzt zumindest die Hauptperson der Geschichte ins 19. Jahrhundert und identifiziert Moses mit Theodor Herzl, dem Begründer des modernen politischen Zionismus. Während Nicolai Karnolsky mit profundem Bass Weisheiten rezitiert, die sein Volk motivieren und den ägyptischen Herrschern Paroli bieten sollen, huscht Schauspieler Sebastian Dominik mit weißem Gewand und zotteliger Frisur als Moses-Double oder – wegen gleichnamigen Stabs – womöglich als dessen älterer Bruder Aaron reichlich schrullig über die Bühne und bildet so ein komisches Gegengewicht zum komplett ironiefreien Vollbarträger des Librettos.

So findet die Inszenierung zu einer verblüffend stimmigen Balance zwischen oratorienhafter Strenge und augenzwinkerndem Witz. Heinz Hauser hat dazu einen abstrakten, kubusartigen Bühnenraum mit offener Rückseite geschaffen, aus dessen Wänden, Decke und Boden als Symbol für die Heimatlosigkeit des Volkes Israel viele Koffer ragen. Die Machtdemonstrationen des hebräischen Gottes Jahwe (Finsternis, Sturm) werden mit lakonischen Theatereffekten fast konterkariert. Und wenn die Plagen-Pestopfer über die Bühne wanken und sich daraufhin Ägypter und Hebräer in die Haare geraten, macht Mouchtar-Samorai daraus eine amüsante Bühnenkeilerei mit Sinn für freche Details: Moses/Herzl und der ägyptische Hohepriester Osiride schlagen ausgerechnet mit kreuzgeschmückten christlichen Gesangsbüchern aufeinander ein.

Die in dieser Oper als Handlungsträger enorm wichtigen und von Edgar Hykel hervorragend disponierten Chöre sind dank solcher vitaler Regieideen nicht zum starren Herumstehen verurteilt – die mit Sorge fürs Detail entworfene Kostüme Urte Eickers geben ihnen nicht nur individuelle Konturen, sondern erlauben es zudem, Hebräer und Ägypter gut voneinander zu unterscheiden.

Auch die Sängerdarsteller entwickeln markante und durchaus komische Profile: Anaï, die von Hrachuhí Bassénz mit dramatisch-farbigem Sopran exzellent gesungen wird, will von dem gebieterisch aggressiven Aménophis flüchten, lockt ihn aber auch immer wieder. David Yim hat als Pharaonensohn mit Engstellen im Timbre und kindlichen Trotzausbrüchen zu kämpfen. Vielleicht auch deshalb, weil Ezgi Kutlu als seine Mutter Sinaïde mit ihrem Mezzo und ihrer Bühnenpräsenz seiner Geliebten fast die Show stiehlt und ihn mit ödipalen Gelüsten auflädt. Und Vater Pharao (prägnant: Melih Tepretmez) klopft bei der Isis-Zeremonie nicht nur den Tempelmädchen auf den Hintern, sondern kennt auch das richtige Timing für ein Fußbad.

Trotz solcher erfrischender Details rutscht die Inszenierung nicht in den Klamauk ab: Den nötigen Ernst stellen die Projektionen von Herzl-Zitaten zwischen den Akten her sowie die beklemmende – allerdings nicht sehr konkrete – Vision des Zionisten-Vaters von brennenden Gebäuden als Symbol für das kommende Holocaust-Unheil. Und die Hebräer verschwinden bei ihrem Gang durchs Rote Meer in einem Leerraum, der an einen «void« aus Daniel Libeskinds Jüdischem Museum erinnert.

Die richtige Mischung aus rossini-typischer Farbigkeit und dramatisch-schicksalhafter Wucht fanden auch die Philharmoniker unter Guido Johannes Rumstadt. Sie gaben «Moses und Pharao« die passende musikalische Form und vollendeten damit eine unbedingt sehens- und hörenswerte Belcanto-Rarität.

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