Schroffe Kontraste, Solitäre in der Dunkelheit
18.2.2019, 18:38 UhrIvo Pogorelich liebt das große Solo und sein künstlerisches Einzelgängertum, das er bei einem Recital wie am Sonntagabend beim Meisterkonzert am besten und ungehindert ausstellen kann. Der heute 60-jährige Kroate avancierte in den 1980er Jahren zu einem frühen Starpianisten der Klavierszene, Personenkult inklusive.
Dazu passt, dass nicht der Gewinn eines Wettbewerbs den Startschuss zu seiner Karriere markierte, sondern ein Eklat 1980 beim berühmten Internationalen Chopin-Wettbewerb in Warschau. Dort ließ man ihn nicht die Schlussrunde, woraufhin Jury-Mitglied Martha Argerich ihre Aufgabe niederlegte und ausrief "Er ist ein Genie!"
Seitdem hat sich Pogorelich einen legendären Ruf als exzentrisch-eigenwilliger Pianist erworben, der sich bei seinem Spiel weder um die Zeitvorgaben der Komponisten groß schert, noch um dynamische oder harmonische Zusammenhänge.
Sein Programm in der Meistersingerhalle war für solche Zwecke optimal zusammengestellt, Mozarts ungewöhnlich düsteres h-Moll Adagio KV 540 zelebrierte er zum Beginn als stockendes Fanal der Trauer – pures Stakkato, die einzelnen Töne herausgemeißelt wie Solitäre in der Dunkelheit der Stille. Es war, als träfe Mozart auf Morton Feldman, die Schmerzfiguren wirkten absolut und ausweglos.
Dieses improvisatorisch eigensinnige Moment seines Spiels steigerte Pogorelich in Franz Liszts virtuoser und innovativer h-Moll-Sonate S. 178 nochmals. Verzichtet schon der Komponist selbst auf eine Themenentwicklung im klassischen Sinn und verwendet die Sonatensatzform nur als dürftiges Gerüst, so donnert Pogorelich eine so monumentale wie widerborstige Liszt-Improvisation in den Raum. Da lässt er einzelne Akkorde schier explodieren, um dann jeglichen Lebenspuls der Musik stocken zu lassen oder einzelne Klangmotive fast manisch auszudeuten. Auch hier zählt der jeweilige Augenblick, nicht die thematische Entwicklung, auch hier zählt der Interpret mehr als der Schöpfer des Werks.
Schumanns Sinfonische Etüden op. 13, die Pogorelich nach der Pause in der Version mit den posthum von Brahms veröffentlichten Variationen spielte, fügen sich bestens in dieses pianistisches Weltbild, denn Schumann wollte hier das Korsett der Variationenfolge sprengen und sinfonische Dimensionen erreichen.
Da kann Pogorelich, aus einem lyrisch fließenden Beginn heraus, herrlich auf Effekt spielen, wenn er mit fülligen Akkorden, Oktavierungen und Mittelstimmen den Steinway zu orchestral funkelndem Klang aufbläst. Poetische Sequenzen, zarte Lyrismen gibt es als Gegenpol, Pogorelich betont Kontraste jeglicher Art, stiftet so jenseits harmonischer und motivischer Beziehungen neuen musikalischen Sinn, der im brillant funkelnden Triumphmarsch des Finales gipfelt.
Doch die einzige Großform, die Pogorelich wirklich akzeptiert, heißt Pogorelich, könnte man die Botschaft des Abends zusammenfassen. In ihrer Wirkung ergab das ein streckenweise mitreißendes Konzert für Liebhaber der eruptiven Interpretation. Klavierpuristen dürften da eher ihre Probleme gehabt haben. Ob für zögerlich oder heftig Applaudierende – Pogorelich verabschiedete sich mit einigen von Brahms’ Variationen über ein Thema von Robert Schumann.
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