Ein Vater ärgert sich

Schule und Corona: So darf es nicht noch einmal werden

19.7.2021, 08:59 Uhr
In Corona-Zeiten möchte man kein Schulkind sein.

© imago images/Panthermedia In Corona-Zeiten möchte man kein Schulkind sein.

Zumindest das Ende stimmt versöhnlich: Das übliche Geplänkel zwischen "Eigentlich-sind-wir-fertig" und "Ihr-müsst-halt-noch-so-tun-als-wäre-Unterricht" ähnelt den Vorjahren. Die Gedanken der Schülerinnen und Schüler sind am Badesee, obwohl der Vormittag noch im Klassenzimmer stattfindet. Ein angenehmer Schwebezustand, der von der Aussicht auf sechseinhalb Wochen Ferien noch mehr Schwung erhält. So war es schon immer zum Ende eines Schuljahres. Das war es dann aber schon mit den Parallelen.

Denn das Schuljahr 2020/21 wird als ein ganz besonderes (für einige auch schreckliches) in die Annalen eingehen. Oder, so wäre es manchem für Bildung zuständigen Minister wohl am liebsten, es wird aus der kollektiven Erinnerung gestrichen. Vielleicht, das denke ich auch ab und an, war das alles tatsächlich nur ein böser Traum.


"Die Schule darf niemanden zurücklassen."
(Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Sommerpressekonferenz am 28. August 2020, also vor Beginn des Schuljahres in Bayern)


Dummerweise hat sich das Schuljahr 2020/21 tatsächlich ereignet. Und es stand beinahe vollständig im Zeichen der Pandemie. Der böse Traum war also triste Realität. Die Kinder, die mittlerweile auf den langen Wartelisten von Psychologen und Jugendpsychiatrien stehen, sind ebenso wenig meiner Fantasie entsprungen wie von der Schule völlig entwöhnte Kinder. Von entnervten Eltern, die mit Almosen in Form von Sonderzahlungen seitens der Politik still gehalten werden sollten, ganz zu schweigen.

Fremdeln mit den Gegebenheiten

Kurzum: Es war ein schlimmes Schuljahr. Für alle Beteiligten. Natürlich gibt es die Überflieger in Schüler- wie in Lehrerschaft, die den virtuellen Unterricht ohne Eingewöhnungszeit als adäquaten Ersatz angenommen und, auch das soll vorgekommen sein, genießen konnten. Aber das waren wenige.

Die meisten fremdelten mindestens anfangs mit den neuen Gegebenheiten. Blicken wir in den Herbst 2020: Der Sommer war schön, Corona schien fern, das Schuljahr konnte kommen. Dann kam jedoch, wuchtiger als von vielen prophezeit, die zweite Welle. Sars-CoV-2 nahm so richtig Fahrt auf, die Erwachsenen hingen spätabends vor den TV-Geräten, um Angela Merkel und Markus Söder am Ende einer Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) zu lauschen.

Auch ich saß gebannt im Wohnzimmer und hatte anfangs die Hoffnung: Jetzt müssen sie doch was zu den Schulen sagen. Etwas Positives, Hoffnung machendes, meine ich. Oder zumindest glaubhaft eine Brise Empathie verströmen. Leider kam nie etwas. Stattdessen wurde immer dieselbe Litanei abgespult. "Vorsicht" (Söder), "Ernst der Lage" (Merkel) usw. Und, ganz entscheidend: Das müsse doch jetzt jedem einleuchten, dass die Bedürfnisse der Älteren Vorrang hätten.


"Vielleicht macht man auch mal eine kleine Kniebeuge oder klatscht in die Hände."
(Angela Merkel im Dezember 2020 angesichts ausgekühlter Klassenzimmer)


Der Winter wurde kalt, die Atmosphäre an so mancher Schule frostig. Ich stimmte damals meinen acht Jahre alten Sohn auf die neue Lage ein: Es werde nun viele Video-Konferenzen geben, "das iPad kannst Du ja schon bedienen." Leider waren es in der dritten Klasse, die mein Sohn besuchte, ganz wenige Videokonferenzen, dafür umso mehr in für mich als Hilfspädagogen und Oberkopierer kaum zu öffnenden Formaten abgespeicherte Blätterwüsten, die selbstverständlich zu Hause von den Eltern auszudrucken waren. Unsere Bilanz lautete: drei Tintenpatronen binnen kürzester Zeit.

Die Digitalisierung an Schulen hat (besser: hatte damals) noch gewaltig Luft nach oben. Das hat sich in der Tat verändert. Das Dilettieren der bayerischen Kultusbürokratie angesichts peinlicher Defizite bei den Lernplattformen hat sich ebenfalls gelegt. Die Schüler (fast alle), die Lehrer (sehr viele) und auch Schulleitungen (etliche) sind angekommen in der Gegenwart. Das ist ein durchaus positiver Pandemie-Effekt.

Ob Referate, Präsentationen, Meetings, all das läuft selbstverständlich nebenher, hier lernen die Schüler tatsächlich fürs (Berufs-)Leben. Ich blicke jedenfalls voller Stolz und auch mit einem gewissen Staunen auf meine jüngeren Kinder, die filigran Tablet-Feinheiten beherrschen, von denen ich (noch) nichts wusste.


"Uns geht es auch darum, zu zeigen, dass dieser Staat seine Angebote nicht ausschließlich den Jungen vorenthält, ich glaube, wir haben auch eine Bringschuld gegenüber der jüngeren Generation."
(Markus Söder Ende April 2021 mit Blick auf Impfangebote für Schüler)


Umso schöner wäre es gewesen, wenn neben diesem durch die Pandemie herbeigeführten Erkenntnisgewinn auch in anderen Bereichen ein Rest Kreativität geherrscht hätte. Leider war davon wenig zu spüren: Wenn schon die Turnhallen geschlossen sind (Aerosole), warum nicht im Freien ein paar Runden mit den Kindern drehen? Stattdessen kam es bei etlichen Kindern zu einer Gewichtszunahme mangels Bewegung. Die Sportstunde musste vielerorts als Verfügungsmasse für was auch immer herhalten. Schade.

Bedauerlich war auch das Auslassen einmaliger Chancen: Wenn Grundschulkinder schon wochenlang virtuell alle erdenkbaren Aspekte des heimischen Waldes kennenlernen, warum mit den Jungen und Mädchen nicht einmal in diesen Wald gehen? Auch hier gilt: In Corona-Zeiten wäre das gewiss nicht das Dümmste gewesen.


"Ich schäme mich für dieses ach so tolle Land, welches ja soooo auf Bildung fixiert ist. Es ist eine Schande, wie an unseren Kindern gespart wird!" (Nürnberger Hortleiterin im Juli 2021 zur Bildungspolitik in Corona-Zeiten)


Stattdessen hieß es, Maske tragen, (und viel zu spät auch) Testen. Viele Kinder empfanden trotz all der pandemiebedingten Einschränkungen den Präsenzunterricht ab Pfingsten als Befreiung. Endlich wieder mit den Klassenkameraden reden, endlich wieder soziale Kontakte.

Die Freude auf die obligatorischen Abschiedsfeste war denn allerorten groß, zumal seit langem ein Treffen in größerer Runde (im Freien versteht sich) möglich schien. Doch auch hier hatte die Bürokratie Überraschungen parat: "Leider haben wir vom Schulamt die Anweisung bekommen, als Lehrkräfte an sonstigen Abschlussfeiern/-veranstaltungen (auch im Freien) nicht teilzunehmen. Wir bedauern dies sehr, zumal es ja unsere Kinder sind, die wir am Vormittag auch ohne Mindestabstand und ohne Maske in Innenräumen unterrichten und Veranstaltungen offiziell bis 100 Personen erlaubt sind."

So versuchte eine Nürnberger Schulleitung, Mitte Juli 2021 in einer Information an die Eltern zu erklären, was nicht zu erklären ist. Die Kinder wollen das nicht verstehen, viele der betroffenen Lehrer ebenso wenig. So ganz versöhnlich fällt das Ende dieses in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Schuljahres doch nicht aus.


"Wir wissen nicht, was kommt."
(Bildungsminister Michael Piazolo Ende Juni im Landtag)


Was aber wird das neue Schuljahr bringen? Statt die lange Zeit, die seit dem Ende der dritten Welle verstrichen ist, für Vorbereitungen zu nutzen, dilettieren Politiker aller Couleur weiterhin herum. Schon heute steht fest, dass es nicht ausreichend Luftfilter in den Klassenräumen geben wird.

Und schon heute dürfte klar sein, dass Schülerinnen und Schüler erneut die ersten sein könnten, denen die Tür vor der Nase zugesperrt wird, wenn Mutationen nicht in den Griff zu bekommen sind.

Beobachter sind sich einig, dass das ein fahrlässiges und gefährliches Spielt ist: "Noch immer fehlt es an Beherztheit, noch immer wird derselbe Fehler gemacht: Erst mal abwarten, wird schon gutgehen. Diese Zögerlichkeit verlängert die Pandemie", kritisiert beispielsweise der Spiegel in seinem täglichen Newsletter "Die Lage am Abend" den Stillstand vehement.

Warum das so ist? Ein gute Frage, die wir alle in die Sommerferien mitnehmen können. Dann bleibt Zeit zum Nachdenken. Hoffentlich auch in den Büros des Kultusministeriums. Das wünsche ich mir zumindest als sechsfacher Vater. Ein Lehrer in leitender Funktion hat mir kürzlich via Mail folgende Antwort gegeben: "Im Übrigen kann ich Ihren Frust darüber, dass das Schuljahr pandemiebedingt für Ihren Sohn einen so ungünstigen Verlauf genommen hat, durchaus nachvollziehen."

Immerhin. Am Ende grüßte der engagierte Pädagoge mit "besten Wünschen für ein Happy End".

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