Seit Monaten geschlossene Türen: So geht es Nürnbergs Clubs

27.11.2020, 06:00 Uhr
Seit Monaten geschlossene Türen: So geht es Nürnbergs Clubs

© Foto: André De Geare

Herrengedeck

Im Juni 2019 setzt Yordan Enchev alles auf eine Karte. Er macht sich selbständig und eröffnet das Herrengedeck, wo er selbstkreierte Cocktails und kleinere Gerichte serviert. Alles läuft nach Plan. Bis im März das Corona-Virus Deutschland erreicht. Den ersten Lockdown meistert er vor allem dank seiner Stammgäste, die die Kneipe unterstützen, indem sie sich Essen und Getränke nach Hause liefern lassen, Merchandise kaufen und Online-Tastings buchen.

Dem jetzt verlängerten Shutdown für sämtliche Gastronomie-Betriebe begegnet Enchev mit Optimismus: "Ich bin überzeugt, dass ich auch das dank des Beistands meiner Gäste einigermaßen unbeschadet überstehen werde." Angetrieben von derlei Zuspruch, will er neue Ideen entwickeln und sich in seiner Küche weiter entfalten. "Wenn dir das Leben Zitronen gibt, dann mach’ einen Zitronen Cordial daraus", sagt Yordan Enchev.

Die Rakete

Lokalitäten wie die Rakete trifft die Krise besonders hart: Clubs und Diskotheken stehen schon seit März still. "Wir haben zwar im Sommer die Genehmigung bekommen, einen Biergarten vor der Rakete zu betreiben, aber Techno geht eben nicht ohne Tanzen", weiß Marcel Bodewig, einer der Besitzer. "Natürlich waren wir froh um diese Chance und dankbar um jeden Gast, der uns besucht hat, aber wirtschaftlich betrachtet waren die Events ein Draufzahler."


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Die umsatzlosen Monate bei gleichbleibenden Fixkosten stemmt die "Perle des Südens" mit einer Mischung aus Staatshilfen und Spenden. "Immerhin mussten wir noch niemanden entlassen, aber manchmal frage ich mich schon, ob wir jemals wieder öffnen dürfen", gesteht der Gastronom, dessen andere berufliche Standbeine ebenfalls unter den Corona-Maßnahmen leiden. Trotzdem will er durchhalten. In diesem Lockdown und, wenn es sein muss, auch in einem dritten. "Wir können froh sein, dass wir nicht in Spanien oder Italien leben. Wir erhalten hier viel Hilfe des Staates", sagt Bodewig dankbar. So habe die Rakete kürzlich weitere Fördergelder der Bundesregierung beantragt. Mit der finanziellen Unterstützung will er u. a. die Lüftungsanlage den Anforderungen anpassen.

Club Stereo

Der Anblick des leeren Dancefloors macht David Lodhi, Co-Betreiber und nebenher Mitinitiator von Nürnberg Pop, jeden Tag aufs Neue traurig. Normalerweise würden in der Klaragasse 8 derzeit etwa 20 Konzerte und um die 15 Partys pro Monat im Indie-Keller des Club Stereo steigen. Stattdessen sind die Festangestellten auf Kurzarbeit, Minijobber notgedrungen in eine Pause auf unbestimmte Zeit geschickt worden. Lodhi selbst lebt von Erspartem und kritisiert, dass viele Menschen, die in der Umgebung von Kultur- und Begegnungsorten wie dem Stereo arbeiten, noch gar keine Unterstützung erhalten hätten.

Bis jetzt hat der Club vor allem mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne überlebt. "Vor einigen Wochen wurden wir durch das Spielstättenprogramm der Bayerischen Staatsregierung unterstützt, was bedeutet, dass wir zum ersten Mal seit Monaten etwas durchatmen und den Blick vorsichtig auf das kommende Jahr richten konnten." Doch nun wurde der zweite Lockdown verlängert und niemand könne vorhersagen, wie lange die Beschränkungen andauern werden. Lodhi: "Wir sind ein freies Wirtschaftsunternehmen und können es uns nicht erlauben, diese Krise um jeden Preis auszusitzen." Der Gastronom verbringt nun mehr Zeit mit der Familie, lernt über einen Online-Sprachkurs Isländisch und gibt die Hoffnung nicht auf, im September ein Jubiläum feiern zu können, das ins nächste Jahr verschoben werden musste: 15 Jahre Club-Stereo.

Die Mitte Soundbar

In Zeiten der Pandemie darf die Mitte Soundbar nicht mehr das elektronische Wohnzimmer der Innenstadt sein. Um dennoch etwas Umsatz zu machen, hat Betreiber Lutz Morich sein Tanzbüdchen zunächst in einen Gemüseladen, wenig später in einen Biergarten und mit Beginn des Herbstes in ein Café mit Speisenangebot umfunktioniert. Über den Winter soll aus der Mitte eine Glühweinhütte werden, weshalb Morich momentan viel Zeit in seiner Küche verbringt und dort an einer eigenen Glühweinkreation tüftelt. Trotz seiner großen Flexibilität, reichen die seit April erwirtschafteten Gelder hinten und vorne nicht aus. "Wir decken damit nicht mal die laufenden Kosten", sagt er. Mit einer hygienekonformen Gästekapazität von etwa 25 Prozent könne man nicht wirtschaftlich arbeiten. Dennoch: "Wir ziehen das durch. Um jeden Preis. Wir geben uns und unsere Kultur nicht auf."


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Die größte Herausforderung sei es, sich ständig an sich wechselnde Gegebenheiten anpassen zu müssen. "Kürzlich haben wir viel Geld in Heizpilze investiert. Dann kam der zweite Lockdown und ich stand auf meiner warmen Terrasse ohne Gäste da." Unter solchen Umständen sei es nicht möglich, eine regelkonforme Geschäftsidee zu entwickeln.

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Morich, der sein Personal bereits mehrfach freistellen und wieder anmelden musste, hat so seine Zweifel an der "großzügigen Gastronomie-Unterstützung", die die Regierung verspreche. Für ihn werde in diesen Zeiten die Kultur zur Schlachtbank geführt, während andere Wirtschaftszweige mehr Wertschätzung und tatsächliche Hilfen erfahren. Als hätte er, der immerhin ein zweites berufliches Standbein als Grafiker hat, in puncto Organisation mit seinen tagtäglich zu schlagenden "High-Speed-Purzelbäumen" nicht schon genug zu tun, verschaffen ihm überraschende Besuche von Behördenvertretern zusätzliche Arbeit.

Bela Lugosi

14 Jahre lang stand Betreiber Bastian Silberkuhl hinter dem Tresen der Kultkneipe Bela Lugosi in der Marienstraße – dann musste er den Betrieb herunterfahren. Allen Teilzeitkräften wurde notgedrungen gekündigt, die einzige Festangestellte ist in Kurzarbeit. Der erste Lockdown war noch kein Problem, so Silberkuhl. Die staatliche Hilfe kam schnell. Als sich die Situation im Sommer entspannte, richtete er im Hinterhof einen Biergarten ein und erarbeitete ein Hygienekonzept, das die Gäste ohne Beschwerden annahmen und bei einer unangekündigten Kontrolle den Stempel "vorbildlich" bekam. Silberkuhl kritisiert jedoch die Kommunikation zwischen staatlichen Stellen und Wirten. "Sie erwarten eine Flexibilität von den Leuten in der Gastro, die einfach nicht machbar ist. Und es gibt auch keine Perspektive." Noch kommt er über die Runden, lebt von Rücklagen. Auch Spenden und Aktionen wie ein T-Shirt-Verkauf helfen dabei, das "Bela" zumindest für die nächste Zeit am Leben zu erhalten.

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