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Sind Horrorfilme politisch? Ein Experte im Interview

2.5.2021, 16:18 Uhr
Szene aus dem Film "Alien 3"  von David Fincher (USA, 1992).

© imago images/Mary Evans Szene aus dem Film "Alien 3"  von David Fincher (USA, 1992).

Herr Pfister, mit welchen Spielen setzen Sie sich aktuell auseinander?
Eugen Pfister: Konkret geht es bei meinem Forschungsprojekt Horror-Game-Politics um Horrorspiele. Ich bin auch schon froh, wenn ich wieder andere Sachen spielen kann, ehrlich gesagt. Ansonsten sind für mich Spiele relevant, die eine große Reichweite haben, die eine große Gesellschaftsschicht erreichen. Wenn ich analysiere, wie Identitäten konstruiert werden, interessiert mich, wie viele Leute das Spiel erreicht hat. Heißt: Die lustigen Indie-Games sind teilweise weniger relevant als Games mit großem Budget für die Entwicklung wie „Call of Duty“ – auch wenn ich letztere weitaus weniger mag, die ich mir aber anschauen muss.

Wie sind Sie auf Horrorspiele gekommen?
Pfister: Aus zwei Gründen. Es gab eine Zeit, in der ich gemerkt habe, dass ich mehr Horrorspiele spielte und mich damit auseinandergesetzt habe. Und da kamen interessante Fragen. Der andere Grund, was es relevant für mich macht: Horror war schon immer ein Genre, in dem früh über politische Themen geredet wurde, weil es den Eindruck des Schunds und Pulp hatte. Weswegen Horror viele Freiheiten hatte. Dort konnten schon früh Rassismus, Feminismus und Konsumkritik thematisiert werden. Diese Themen wurden immer viel früher im Horror verarbeitet, bevor sie in den popkulturellen Mainstream kamen. Und das merkt man auch bei Computerspielen. Da werden plötzlich sehr früh in einem völlig übertriebenen Gewand, fast schon karikaturenhaft, Fragen zu Quantenphysik, Stammzellenforschung, unethischer Medizin und unethischen Großkonzernen verhandelt.

Welche Spiele sind das zum Beispiel?
Pfister: Eines der bekanntesten Franchise ist „Resident Evil“. Ich habe gerade eine Fallstudie zum ersten Teil von „The Last Of Us“ fertiggestellt. „Dead Rising, Bioshock“ und der neuste Teil von „Doom“ waren bei dem Forschungsprojekt auch dabei. Wir haben sehr viele Zombie-Spiele, weil die Thematik um die Jahrtausendwende explodiert und noch immer sehr verbreitet ist.

Eugen Pfister ist Professor für Politikwissenschaft und untersucht Horror-Games.

Eugen Pfister ist Professor für Politikwissenschaft und untersucht Horror-Games. © PR

„The Last Of Us“ hat es ja auch ins Feuilleton geschafft. Wie sieht denn eine Frage an dieses Spiel konkret aus?
Pfister: Bei „The Last Of Us“ haben die Entwickler gesagt, dass es vor allem um die Vater-Tochter-Beziehung und die Gewalt der Postapokalypse geht – doch sie zeigen eine ganze Welt. Und deswegen begegnet der Spieler darin überall Politik. Es fängt damit an, dass alle Zombie-Apokalypsen-Spiele mit dem Kollaps unserer Systeme anfangen. Voraussetzung dafür, dass diese Spielwelt existieren kann, ist, dass unsere moderne, technologisierte, komplexe Gesellschaft nicht auf eine Zombie-Plage richtig reagieren kann, dass sie ihre Bürgerinnen und Bürger im Stich lässt. Wodurch diese dann eine Art neuen Wilden Westen mit neuen Gemeinschaften gründen müssen.

Vereinfacht: Was wäre, wenn es unsere Welt nicht mehr geben würde?
Pfister: Diese Spiele geben uns eine Antwort auf diese Frage: Die Welt danach ist brutal. Der Mensch egoistisch. Selbstlose Menschen sterben als Erstes. Pittsburgh wird im Spiel von einer brutalen Gang kontrolliert, die es schafft, ein mikropolitisches System durch Raub und Mord zu halten. Und das funktioniert natürlich, weil wir das in einem gewissen Rahmen nicht hinterfragen. Wir begegnen diesen Bildern so oft, dass wir sie mittlerweile normal finden.

Szene aus "Resident Evil: Apocalypse".

Szene aus "Resident Evil: Apocalypse". © imago images/EntertainmentPictures

Verschwimmen Realität und Gaming?

Pfister: Wir können Realität und Spiel natürlich auseinanderhalten – aber es finden trotzdem Transferprozesse statt. Ich habe mir für eine Arbeit angeschaut, wie die österreichische Boulevardpresse über die Flüchtlingskrise 2015 berichtet hat. Da merkt man an den Geschichten und Bildern: Hier gab es ganz starke Überschneidungen mit Zombie-Spielen und Zombie-Filmen. Es ging so sehr ins Detail, dass zum Beispiel die Kronen Zeitung in ihrer Online-Ausgabe Aufnahmen von dem Ansturm syrischer Flüchtlinge an einem Maschendrahtzaun brachte, ein gewalttätiges Bild, das sehr bewusst ausgewählt wurde. Denn die Gruppe war viel kleiner und ruhiger, als es da scheint. Das ist ein klassisches Bild aus Zombie-Filmen, dieser Ansturm des Fremden. Auch angesichts der Coronakrise zeigen sich diese Überschneidungen.

Sind Horrorfilme politisch? Ein Experte im Interview

© imago images / United Archives,, NN

Warum passiert das?
Pfister: Diese Transferprozesse sind etwas ganz Natürliches. Wir versuchen, die Welt zu begreifen. Wenn neue Phänomene passieren, greifen wir auf vergleichbare Sachen in unseren kollektiven Erinnerungen zurück. Wenn wir keine persönliche Erinnerung oder eine Erinnerung von unseren Eltern haben, dann greifen wir auf das kollektive Gedächtnis der Popkultur zurück, auf deren Bilder, um Sachen zu erklären. Beim ersten Lockdown erinnerten die leeren Straßen viele Leute an Spiele wie Silent Hill – und nicht an realweltliche Erfahrungen der Spanischen Grippe, weil diese Erinnerungen zu weit weg sind oder nur Überreste davon vielleicht in die Popkultur eingeflossen sind. Die Popkultur und Computerspiele sind viel mehr als nur Unterhaltung. Sie kommunizieren unser kollektives Wissen, unsere Werte und Tabus.
INTERVIEW: BJÖRN BISCHOFF

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