Sternenmagier und Sonnenanbeter

21.5.2003, 00:00 Uhr
Sternenmagier und Sonnenanbeter

© Stefan Hippel

Zahlen, die auch für Nürnberg hoffen lassen: Mit der hochkarätigen Ausstellung „Gold und Kult der Bronzezeit“ springt das Germanische Nationalmuseum auf den Vorgeschichtszug auf, den es aber maßgeblich mit ins Rollen gebracht hat. Seit mehreren Jahren bereits laufen die Vorbereitungen, im Mai 2001 tagte ein Kolloquium zum Thema, und wohl nur dank der langen Vorlaufzeit ist dem GNM „der Coup“ gelungen, alle vier bronzezeitlichen, also rund 3000 Jahre alten Goldhüte zu vereinen. Erst zum zweiten Mal werden die vier Glanzstücke — der Goldkegel von Avanton (um 1200 v. Chr.), der Goldhut von Schifferstadt (um 1350 v. Chr.), der vor 50 Jahre nahe Nürnberg gefundene Goldhut von Ezelsdorf-Buch (1200—1100 v. Chr.) sowie der erst vor wenigen Jahren im Kunsthandel aufgetauchte Berliner Goldhut (1000—700 v.Chr.) — gemeinsam in Deutschland präsentiert.

Dass die Kegel als Kopfbedeckung von Priestern oder Magiern dienten, hat die Forschung erst vor kurzem durch den Berliner Hut herausgefunden, weil dessen Krempe erhalten ist. Vorher wurden die mystriösen Gebilde als Pfahlbekrönungen, Vasen oder Pfeilköcher gedeutet. Neue Funde — allen voran die „Himmelsscheibe von Nebra“, die aber nur als Abbildung zu sehen ist — beweisen laut GNM-Direktor G. Ulrich Großmann zudem: „Die vorgeschichtliche Zeit war keine rohe und unzivilisierte Epoche“. Die Menschen hätten bereits vor dreieinhalbtausend Jahren ein hohes kulturelles Niveau besessen mit fundiertem Wissen über Astrologie. Die Sonne nahm einen zentralen Platz im Glauben der Menschen ein, wurde als Gottheit, als Mythos verehrt. Ein Aspekt, der im Mittelpunkt der Ausstellung steht.

Das Sonnensymbol findet sich auf Bechern, Schmuck und Schalen, ja selbst die Lure, eine Art Posaune, hat ein als Sonnenscheibe geformtes Schallloch. Gespielt wurde sie, so Ausstellungsleiter Tobias Springer, bei rituellen Handlungen des Sonnenkultes. Geleitet haben diese Zeremonien sakrale Würdenträger in prachtvollen Gewändern und mit eben jenen Goldhüten auf dem Kopf, deren Oramente durch die Abfolge der Noppen, Sicheln und Kreise laut Springen kalendarisches Wissen vermitteln.

Die aus purem Gold getriebenen frühzeitlichen Harry-Potter-Kappen, die zwischen 30 und 80 Zentimeter hoch sind, funkeln unter einem riesigen Sternen-Baldachin. In konzentrischen Kreisen nähert sich der Besucher dem Hüte-Podest in einer klug angelegten, dem mystischen Thema mit sparsam eingesetztem Licht Rechnung tragenden Ausstellungsarchitektur. Die „Sonnenreise“ in die Vorgeschichte führt durch eine Schatzkammer mit 400 Ausstellungsstücken: vom Diadem aus Goldblech über bronzene Figürchen bis zu zahlreichen goldenen Gefäßen samt Werkzeug, mit dem sie gefertigt wurden. Immer wieder taucht das Motiv der Sonnenreise auf: graviert auf Rasiermessern oder dargestellt in kleinen Goldbarken.

Aus ganz Europa hat das GNM die Exponate im Wert von 20 Millionen Euro zusammengeliehen. Was schwierig war: „Alle Objekte hier sind in ihren Museen Highlights“, stellt Springer fest. Doch die langwierigen Verhandlungen mit den Leihgebern haben sich gelohnt: Die Präsentation ist ebenso informativ wie ansprechend und trifft, wie Großmann hofft, den Nerv der Zeit. Der Ausstellungserfolg in anderen Häusern gibt ihm recht — und vermutlich auch das GNM-Publikum. BIRGIT RUF