Verrohung im Jugendknast

2.2.2011, 20:11 Uhr
Verrohung im Jugendknast

© Movienet

Er heißt Kevin, aber alle nennen ihn „Picco“. Kein Spitzname, ein Etikett. Die Typen, mit denen er die Zelle, den Frühstückstisch, Hoffnungslosigkeit und Selbstmitleid teilt, alle stehen in der Knast-Hierarchie über ihm. Kevin ist der Neue — so lange, bis der Nächste der „Picco“ wird.

Damit fängt es an, das Debüt des deutschen Nachwuchsregisseurs Philip Koch, der mit seinen 28 Jahren kaum älter als seine Hauptdarsteller ist. Mit seinem Erstlingswerk, das den Zuschauer in grauen Bildern ohne Musik durch den JVA-Alltag führt, holte der Münchner Filmhochschulabsolvent zahlreiche Preise und schaffte es bis zu den Internationalen Filmfestspielen nach Cannes.

Folter bis zum bitteren Ende

Ist es das Wissen um den realen Hintergrund der Folter-Szenen, die den Zuschauer das Drama nur schwer ertragen lassen? Obwohl der Film mit wenigen direkten Gewaltszenen auskommt, ist er schonungslos und schrecklich: Die jungen, vor Testosteron strotzenden Männer sind in ihrem Ideenreichtum, ihre Mitgefangenen zu quälen, erfinderisch – und die Grausamkeiten sind real. Immer wieder beschäftigen sich auch Nürnberger Richter mit Gewalt hinter Gittern, Vergewaltigungen mit Hilfe eines Besenstiels — im Film ist es der Stiel einer Klobürste — wurden bereits mehrfach verhandelt. Für Gefangene, die in der Gefängnis-Hierarchie die unteren Plätze belegen, gehören Blutergüsse und Schrammen zum Alltag. Das übertriebene Männlichkeitsritual in der Haft kommt dazu: Die Schläger blähen sich auf und wer sich nicht behaupten kann, schämt sich.

2006 wurde im Siegburger Gefängnis ein Inhaftierter von seinen Mitgefangenen getötet, stellt der Regisseur der Handlung voran. Im Film wird 25 grausame Minuten lang in der Vier-Mann-Zelle geknebelt und gefoltert wie in Abu Ghraib — bis zum bitteren Ende. Das Drama zeigt, dass das System Jugendvollzug die Verrohung verstärken kann.

Doch was der Justizvollzug über den Film hinaus braucht: anhaltendes Interesse. Es gibt Modellprojekte für Gewaltstraftäter in Bayern, Wohngruppen, in denen junge Täter nicht nur verwahrt, sondern betreut werden. Mit „Hotelvollzug“ oder „Kuschelpädagogik“ hat dies nichts zu tun — das Ziel von Anti-Aggressionstraining, dem Erlernen von Strategien zur Konfliktvermeidung ist es, einen Rückfall zu verhindern. Doch Jugendlichen die bisher ausgebliebene Erziehung zukommen zu lassen, kostet eben Geld. Dabei ist eine gelungene Wiedereingliederung der beste Schutz für die Allgemeinheit. (Deutschland/108 Min.; Casablanca Nürnberg)

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