Nordkorea-Auftritt 2015

Wer geht hier wem auf den Leim? Sloweniens Industrial-Pioniere Laibach kommen nach Nürnberg

Stefan Gnad

"Leben"

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14.11.2023, 10:58 Uhr
Wussten schon die sozialistischen Machthaber im alten Jugoslawien zu foppen: Die slowenischen Pop-Dekonstrukteure Laibach treten in Nürnberg auf.

© Laibach Wussten schon die sozialistischen Machthaber im alten Jugoslawien zu foppen: Die slowenischen Pop-Dekonstrukteure Laibach treten in Nürnberg auf.

Die Geschichte von Laibach ist eine lange Geschichte von Missverständnissen. Von provozierten Missverständnissen. Die reichen zurück ins kommunistische Jugoslawien, wo diese seltsame Elektronik-Truppe in den frühen 1980er Jahren als musikalischer Arm der Künstlerbewegung „Neue Slowenische Kunst“ (NSK) loslegte. Als die bevorzugt in Militäruniformen auftretenden Musiker bei einem staatlich ausgeschriebenen Plakatwettbewerb ein verfremdetes Motiv aus Nazi-Deutschland einreichten und damit prompt gewannen, war das Tito-Regime not amused. Erste Auftrittsverbote folgten. Doch genau dieses Spannungsfeld zwischen der Inszenierung von Pop und den Propagandatechniken totalitärer Regimes beackert Laibach (der deutsche Name der slowenischen Hauptstadt Ljubljana) bis heute präzise und mit aller gebotenen Chuzpe.

Der Sänger der slowenischen Band Laibach, Milan Fras, steht bei der Eröffnungsfeier der nordischen Ski-Weltmeisterschaft auf der Bühne.

Der Sänger der slowenischen Band Laibach, Milan Fras, steht bei der Eröffnungsfeier der nordischen Ski-Weltmeisterschaft auf der Bühne. © Daniel Karmann

Das verstörende, jedoch stets ironische weil zweideutige Spiel mit brutal überzeichneter Symbolik und Ästhetik prägt seit vier Jahrzehnten die collagenartige Arbeit der sich ständig im Wandel befindlichen Industrial-Pioniere. Da wird sich bei sozialistischer Erbauungskunst ebenso bedient wie bei Propagandamaterial aus dem Dritten Reich, christlicher Ikonographie, amerikanischer Popkultur, deutscher Wagnerianik oder auch einfach nur bei fiesem Kitsch. Bekanntes wird dekonstruiert, anders zusammengesetzt und neu interpretiert, bis hin zur grotesken Überzeichnung – und damit immer auch komplett hinterfragt. So verwandelten sich die Slowenen im Laufe der Jahrzehnte von einer Band im herkömmlichen Verständnis in ein abstraktes Kunstprojekt, das – ähnlich wie die deutschen Elektronik-Kollegen von Kraftwerk – inzwischen regelmäßig auf Theaterbühnen und in Museen zu erleben ist.

1992 gründeten die Avantgarde-Künstler den fiktiven NSK-Staat, der auf Ländereien mit festen Grenzen verzichtet und lieber „ein Staat in der Zeit“ sein möchte. Für das ausgedachte Land, das natürlich ein weiteres Kunstprojekt ist („The First Global State of the Universe“), werden sogar Reisepässe und Autokennzeichen ausgegeben. Mit diesen täuschend echten Dokumenten wiederum soll es Menschen im jugoslawischen Bürgerkrieg Mitte der 90er Jahre gelungen sein, sich über internationale Grenzen in Sicherheit zu bringen ...

Als erste westliche Rockband in Nordkorea

Von sich reden machten die slowenischen Brachial-Avantgardisten auch, als sie 2015 eine Einladung aus Nordkorea ereilte. Ausgerechnet Laibach, die Anti-These einer Rockband, sollte als erste westliche Musikgruppe zwei Konzerte in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang geben, im Herzen der schärfsten Diktatur der Welt. Während die Gelehrten darüber diskutierten, ob hier Künstler einem Regime auf den Leim gehen oder andersrum, empfahlen sich Laibach einmal mehr als Dienstleister: An der nordkoreanischen Zensur vorbei nahmen sich die Dekonstrukteure in Pjöngjang das Broadway-Musical „The Sound Of Music“ (1959) vor, das sich in dem abgeschotteten Land großer Beliebtheit erfreut.

Das kitschige Rührstück wanderte in den musikalischen Häcksler und wurde mit einer Extraportion Pathos nach allen Regeln der Kunst verlaibacht. Sänger Milan Fras mit Grabesstimme über Edelweiß, beigefarbene Ponys, knusprigen Apfelstrudel und Schnitzel mit Nudeln singen zu hören, war für westliche Ohren reichlich bizarr. Als subversives Sahnehäubchen obenauf gab es in Pjöngjang das Volkslied „Arirang“, das als inoffizielle Hymne der beiden Koreas gehandelt wird.

„Ich will ein Deutscher sein“

2019 lieferte die sperrige Konzeptband den Soundtrack für den zweiten Teil der via Crowdfunding realisierten finnischen Naziploitation-Komödie „Iron Sky“. 2020 wurde am Berliner Theater Hebbel am Ufer die als Musical angekündigte Theaterperformance „Wir sind das Volk“ aufgeführt, in der Laibach Texte von Heiner Müller („Ich will ein Deutscher sein“) vertonten.

Auf ihrer aktuellen „Love Is Still Alive“-Tour geht es unter anderem um diese Theaterproduktion, aber auch um die ganz frühen Tage des Kollektivs, als dieses musikalisch noch hart am blanken Lärm agierte. Auch zum aktuellen Geschehen auf dem Planeten wird es sicher das ein oder andere verschlüsselt-kommentierende Statement geben. „Selten hat man sie so tieftraurig erlebt“, vermeldete jedenfalls die "Berliner Zeitung" vom Tourauftakt in der Hauptstadt.


Laibach: „Love Is Still Alive“ am Mittwoch, 15. November 2023, ab 20 Uhr im Z-Bau, Frankenstraße 200 in Nürnberg. Tickets [ONLINE HIER], im NN-Ticketcorner (Telefon 0911/216-2777) sowie in allen Geschäftsstellen dieses Verlags.

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