Mezzosopranistin

Wie die Nürnberger Opernsängerin Rebecca Martin durch den Lockdown kommt

Thomas Heinold

Kultur/ Leben

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13.11.2020, 14:14 Uhr
Frivol auf dem Flügel: Rebecca Martin mit der Pianistin Hildegard Pohl (re.)

© Foto: Rudi Ott Frivol auf dem Flügel: Rebecca Martin mit der Pianistin Hildegard Pohl (re.)

Und nun im November, nach einer ersten sanften Erholung, ein zweiter Lockdown schon wieder alle Engagements hinfällig macht? Rebecca Martin teilt dieses Künstlerschicksal gerade mit vielen anderen Kollegen und Kolleginnen - und hat mit uns darüber gesprochen.

In der Region kennt man Rebecca Martin bestens von ihren Auftritten im Opernhaus. Die Mezzosopranistin hat dort viele wichtige Partien ihres Stimmfachs gesungen, etwa Donna Elvira (Don Giovanni) oder die Titelpartie von "Carmen".

Stets präsent ist sie dem hiesigen Publikum auch durch ihre Auftritte etwa mit dem Windsbacher Knabenchor oder mit Ausflügen zu Swing und Jazz mit Pianistin Hilde Pohl.

Bis zum Jahr 2003 war sie festes – und damit fest angestelltes – Mitglied im Opernensemble, danach sang sie freischaffend, neben Nürnberg auch viel am Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz. Insbesondere als Konzert- und Liedsängerin ist sie (welt-)weitgereist, sang an bedeutenden Häusern und bei renommierten Festivals.

So liefen die Engagements über die Jahre gut und stabil, was eine gehörige Portion Eigeninitiative und eine gute Vernetzung im Kulturbetrieb voraussetzt. "Als Freischaffende denkt man immer darüber nach, ob man genug Projekte am Laufen hat, ob man nicht noch dieses Angebot annehmen oder hier schon wieder etwas Neues planen sollte", erläutert Martin ihren normalen beruflichen Lebensrhythmus.

In ihrer Branche herrscht gerade wegen Corona Herbststimmung: Die Opern-, Konzert- und Liedsängerin Rebecca Martin im Nürnberger Stadtpark.

In ihrer Branche herrscht gerade wegen Corona Herbststimmung: Die Opern-, Konzert- und Liedsängerin Rebecca Martin im Nürnberger Stadtpark. © Foto: Thomas Heinold

Doch der wurde durch Corona jäh unterbrochen. Im Februar sang sie noch die Alt-Partie in Mendelssohns Oratorium "Paulus" in der Dresdner Kreuzkirche. "Das war bis heute mein letztes Konzert", sagt Martin.

Genauso hart hat es ihren Ehemann Delf Lammers getroffen. Ob Kulturmanager (etwa für den Windsbacher Knabenchor) oder Chorsänger – er war immer freiberuflich unterwegs und hängt deshalb nun ebenfalls künstlerisch wie finanziell in der Luft. Typisch für das Schicksal eines Freischaffenden: Honorar fließt keines, Kompensationszahlungen sind selten, wenn die Auftritte nicht stattfinden. Delf Lammers hätte in diesem Sommer etwa im Festspielchor der Bayreuther Festspiele (abgesagt am 31. März) singen sollen oder wäre gerade mit der Oper Bonn in China für 4 Wochen unterwegs.


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Immerhin arbeitet Rebecca Martin seit Jahren als Dozentin für Gesang an der Nürnberger Musikhochschule, was ihr derzeit ein finanzielles Standbein sichert. Als Sängerin aber ist sie ausgebremst, nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in der näheren Zukunft: "Solange die Pandemie grassiert, kann man keine Auftritte planen, denn kein Veranstalter schließt einen Vertrag mit einem ab."

Rebecca Martin als Oratoriensängerin mit dem Windsbacher Knabenchor bei der Bachwoche Ansbach.

Rebecca Martin als Oratoriensängerin mit dem Windsbacher Knabenchor bei der Bachwoche Ansbach. © Hans von Draminski

Und wie geht es in solchen Fällen weiter? Die beim ersten Lockdown versprochene Soforthilfe wurde bei Rebecca Martin abgelehnt. Was funktioniert habe, war das "Künstlerhilfsprogramm" des Freistaats Bayern. Das sei allerdings auf maximal drei Monate und auf maximal 1000 Euro pro Monat begrenzt gewesen und wurde mit den Einnahmen der Lehrtätigkeit verrechnet.

Bliebe als letzte finanzielle Ausfahrt die Grundsicherung. Doch wer Hartz IV beantrage, so Martin, müsse zuerst seine Vermögenswerte bis zur Erreichung der Freibeträge aufbrauchen. Das sei bei vielen Freischaffenden ausgerechnet die Altersvorsorge, die man umso dringender brauche, weil die Rentenansprüche, falls es überhaupt welche gibt, meist nicht sehr üppig ausfallen.


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Insofern komme diese Situation einer gewissen Enteignung durch den Staat gleich, da die Auflagen praktisch einem Berufsverbot gleichen und man unverschuldet dafür Haftung übernehmen muss. Andererseits sei man für jede staatliche Hilfe dankbar und sehe auch das Bemühen, in solch einer außergewöhnlichen Zeit helfen zu wollen.

Was das neue staatliche Kompensationsangebot für den jüngsten Lockdown bedeutet, kann Rebecca Martin nicht sagen: 75 Prozent des Einkommens sollen nun geltend gemacht werden können. Doch die Modalitäten seien noch unklar.

Macht das Trio zum Quartett: Rebecca Martin (2. v. re.) jazzt und swingt gerne mit dem Hilde Pohl Trio, bestehend aus Yogo Pausch, Hilde Pohl (v. li.) und Norbert Meyer-Venus (re.) 

Macht das Trio zum Quartett: Rebecca Martin (2. v. re.) jazzt und swingt gerne mit dem Hilde Pohl Trio, bestehend aus Yogo Pausch, Hilde Pohl (v. li.) und Norbert Meyer-Venus (re.)  © PR

Wer dann noch, wie Martin und Lammers, zur Miete wohnt, steht schnell vor der Frage, ob man die laufenden Kosten vielleicht durch einen Umzug verringern könnte. All das würde harte Einschnitte bedeuten, nicht nur finanziell. Die beiden haben sich erst einmal dagegen entschieden.

Nüchterne Tatsachen, die wenig Raum für gedankliche Höhenflüge lassen. Doch wie verkraftet Rebecca Martin das Fehlen jeglicher Auftritte als Künstlerin, als Mensch?

Am schlimmsten sei die Perspektivlosigkeit, sagt sie: "Man fällt in ein Loch." Dabei wechselten kreative Phasen, in denen man Alternativen zu den bisherigen Auftritten ersinnt, mit Phasen voller Selbstzweifel. Immerhin kann Rebecca Martin auf eine langjährige Künstlerlaufbahn zurückblicken: "Was ich erlebt habe, kann mir keiner mehr nehmen", sagt sie. "Meine Identität als Sängerin hat sich gefestigt, sobald ich vom Singen leben konnte. Diese Selbstverständnis bleibt mir erhalten."

Als das Wünschen noch geholfen hat: Rebecca Martin und das Hilde Pohl Trio haben zu dieser Jahreszeit mal ein "Christmas in New York"-Programm gemacht.

Als das Wünschen noch geholfen hat: Rebecca Martin und das Hilde Pohl Trio haben zu dieser Jahreszeit mal ein "Christmas in New York"-Programm gemacht. © Foto: Peter Dörfel

Größere Sorgen bereiten ihr dagegen die jungen Sänger und Sängerinnen. Für sie gäbe es gerade keinerlei Einstiegs-Engagements. Und die Studenten und Studentinnen, die sie gerade – per Laptop und aus der Ferne – unterrichte, könnten keine realen Auftrittserfahrungen machen. "Dabei ist das Wesentliche beim Singen, dass die Zuhörer die Musik in dem Raum und in dem Moment erleben, in dem sie aufgeführt wird. Die Sinnlichkeit des Live-Erlebnisses ist nicht durch Aufnahmen oder Wiederholungen zu ersetzen."

Doch daran ist im Moment nicht zu denken. Corona hat den Freischaffenden nicht nur finanziell, sondern auch künstlerisch den Boden unter den Füßen weggezogen.

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