Konzertante Premiere im Opernhaus

Musik voller sexueller Tabus: Wie Joana Mallwitz Debussys Oper "Pelleas et Melisande" interpretiert

21.1.2022, 05:55 Uhr
Die Vieldeutigkeit der Musik von Debussys Oper "Pelleas et Melisande" findet sie reizvoll: Joana Mallwitz.

© Daniel Karmann, NN Die Vieldeutigkeit der Musik von Debussys Oper "Pelleas et Melisande" findet sie reizvoll: Joana Mallwitz.

Nach ihrer Rückkehr bei den Neujahrskonzerten mit einer strahlend-optimistischen Deutung von Joseph Haydns Welterschaffungs-Oratorium „Die Schöpfung“ begibt sich Nürnbergs Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz bei ihrer ersten Opernproduktion in diesem Jahr nun in fragilere musikalische Gefilde.

Claude Debussys Oper „Pelleas et Melisande“, die am 23. Januar im Opernhaus Premiere hat, gilt als ein Hauptwerk des musikalischen Impressionismus. Die 1902 in Paris uraufgeführte Oper trägt die erschöpfte Schwere des Fin de siecle in sich und entzieht sich vorschnellen, analytisch geprägten Deutungen durch ein verrätseltes, poetisch vieldeutiges symbolistisches Libretto.

Debussy hatte es selbst aus dem 1892 erschienenen Drama „Pelleas et Melisande“ von Maurice Maeterlinck erstellt und wollte mit seinem Werk nichts Geringeres, als ein französisches Gegengewicht zu Richard Wagners Musikdramen zu schaffen, insbesondere „Tristan und Isolde“.

In einer märchenhaft entrückten Wald- und Wasserschlosswelt wird die Dreiecksgeschichte zwischen den Königsenkeln Golaud und Pelleas sowie der jungen, von einem Mann geflüchteten Melisande erzählt. Der ältere Golaud heiratet sie, doch Melisande liebt Pelleas – mit tödlichem Ausgang.

Diese Handlung kann Folie sein für Vieles: Kritik ein einer überlebten und verfallenden Herrschaft der Alten, die der Jugend die Luft zum Leben abschnürt. Porträt einer Gesellschaft, die patriarchale Ausbeutung und sexuelle Abhängigkeiten tabuisiert.

Vorherrschend in „Pelleas et Melisande“ ist dabei eine Atmosphäre der Angst, die als Symbol unterdrückter Lebensenergien und nicht ausgelebter Erotik gelesen werden kann. All dies wird nicht direkt gesagt, Debussy war es wichtig, dass der von Symbolen und Anspielungen durchdrungene Text „die Dinge nur halb ausspräche“.

Somit verlangt „Pelleas et Melisande“ eigentlich unbedingt nach einer szenischen Ausdeutung – doch die wird es in Nürnberg erst einmal nicht geben. Staatsintendant und Operndirektor Jens-Daniel Herzog hat seine Regie auf später verschoben, begründet dies mit coronabedingten Belastungen des Staatstheaters und insbesondere der Werkstätten.

Voller Leidenschaft beim Dirigieren: Nürnbergs GMD Joana Mallwitz

Voller Leidenschaft beim Dirigieren: Nürnbergs GMD Joana Mallwitz © Simon Pauly

Wie geht Joana Mallwitz damit um, dass „Pelleas et Melisande“ nur konzertant aufgeführt wird? Fehlt ihr bei der musikalischen Deutung nicht die Szene, das Spiel auf der Opernbühne? Debussys Oper sei in sich selbst schon „ein Stück voller Rätsel“, sagt Mallwitz. „Insofern verstehe ich eine rein konzertante Aufführung ohne konkrete Bebilderung auch als Chance, die Geheimnisse der Partitur offen zu lassen, der Vielschichtigkeit in der Musik nachzuspüren und die tiefen Abgründe nicht zu verdecken.“

Die Musik selbst sollte nach Debussys Willen dort einsetzen, wo Worte nicht mehr ausreichten. Konsequenterweise hat er die Musik so komponiert, dass sie in entscheidenden szenischen Momenten wie dem Liebesgeständnis von Pelleas und Melisande oder dem Tod Melisandes fast vollständig schweigt – eine Tatsache, die Mallwitz bei der konzertanten Premiere als besondere Herausforderung begreift: „Das Besondere und Einzigartige in dieser Oper ist: Je größer die Gefühle werden, je wichtiger die Worte, die ausgesprochen werden, desto mehr zieht sich die Musik zurück, verstummt sogar völlig“, sagt sie.

Doch an anderer Stelle gebe es einen mehr als angemessenen Ausgleich: „Dafür entstehen in den Zwischenspielen ausbrechende und großflächige Dramen.“ Mallwitz' Fazit: „Diese enorme Konzentration auf zugleich fragile und enorm kraftvolle Musik – darauf freue ich mich.“

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