Fragen an den SPD-Kanzlerkandidaten
Olaf Scholz im Exklusiv-Interview: "Es gibt eine Aufbruchstimmung im Land"
21.9.2021, 05:51 UhrHerr Merkel, pardon: Herr Scholz – reicht es, als Kanzlerinnen-Klon für sich zu werben?
Olaf Scholz: Na, ich bin Sozialdemokrat seit meinem 17. Lebensjahr. Dass ich jetzt in zwei Regierungen der Bundeskanzlerin Minister war, dass ich viele Jahre als Hamburger Bürgermeister mit ihr zusammengearbeitet habe, das ist so und nicht neu. Wenn eine so lange Regierungszeit wie die von Frau Merkel zu Ende geht, darf man auch sagen, dass sie insgesamt eine erfolgreiche Bilanz vorweisen kann. Übrigens auch deshalb, weil dreimal die SPD mit ihr zusammen in der Regierung war. Jetzt will aber ich die Regierung führen.
Am Anfang des Wahlkampfs hatte niemand einen Pfifferling auf Sie gewettet, nun liegen Sie vorn: Was erwarten Sie tatsächlich am Wahlabend?
Scholz: Wir haben sehr früh entschieden, wer unser Kanzlerkandidat werden soll – im August 2020, weil wir wussten, dass das ein langer Lauf wird. Wir haben schon davor gezeigt, dass die SPD geschlossen ist – das ist wichtig für die Wählerinnen und Wähler. Wir haben gemeinsam ein zuversichtliches Programm aufgestellt mit Antworten auf die Fragen, die für Deutschland wichtig sind. Das hat sich in wachsender Zustimmung für die SPD und auch mich niedergeschlagen – was ich sehr bewegend finde; es ist ja kein leichtes Amt, um das ich mich da bewerbe. Natürlich beurteilen die Bürger auch die Frage: Wer kann das?
Sie sind also zuversichtlich?
Scholz: Es gibt eine Aufbruchstimmung im Land. Das ist überall auf den Marktplätzen spürbar und bei zahlreichen Gesprächen. Doch ich will auch in der letzten Woche noch für den Aufbruch werben und möglichst viele überzeugen.
Wie oft haben Sie innerlich schon jenen in der CDU und CSU gedankt, die den Eindruck vermittelt haben, dass ihr eigener Kanzlerkandidat Armin Laschet eine Fehlbesetzung ist?
Scholz: Gar nicht. Wer sich um das Amt des Regierungschefs bewirbt, muss sich auf das konzentrieren, was er selber vorhat. Es gehört nicht zu meinem Stil, mich negativ von anderen abzugrenzen. Die Unterschiede werden auch so deutlich.
Armin Laschet und andere greifen Sie an wegen der Durchsuchung in Ihrem Ministerium. Sie gehen darüber relativ gelassen hinweg und sagen, das sei konstruiert. Machen Sie es sich da nicht zu leicht?
Scholz: Wolfgang Schäuble hat als Finanzminister die richtige Entscheidung getroffen, die Financial Intelligence Unit (FIU) zum Zoll zu holen. Diese Behörde habe ich im März 2018 übernommen mit 160 Mitarbeitern. Jetzt sind es fast 500, bald 700. Wir haben die IT modernisiert und setzen künstliche Intelligenz ein. Wir setzen darauf, dass das Melde-Aufkommen in Sachen Geldwäsche dadurch steigt. Da ist in den letzten Jahren so viel gemacht worden wie nie zuvor.
Trotzdem ist die Liste der mit Ihrem Namen verbundenen Affären und Skandale lang - Warburg-Bank und G20-Gipfel samt Krawallen in Hamburg, Wirecard, CumEx-Deals – lässt Sie das alles kalt?
Scholz: Wenn die Polizei Straftaten aufdeckt, ist für die Straftaten nicht die Polizei verantwortlich. So ist das auch bei den Aufsichtsbehörden für den Finanzmarkt wie der Bafin. Da hat ein Unternehmen schlimm betrogen – daraus haben wir die richtigen Schlüsse gezogen. Die Wirtschaftsprüfer haben bei Wirecard nichts erkannt. Daher müssen die jetzt häufiger wechseln, die Haftung ist stärker und die Aufsichtsbehörde hat neue weitreichende Kompetenzen erhalten.
In den Triellen gaben Sie sich sehr gelassen, schlucken die Vorwürfe weg, gehen inhaltlich kaum darauf ein – kann das gutgehen bis zur Wahl?
Scholz: Ich antworte genau und konkret; so wie ihnen gerade. ZuCumEx: Das fand statt, bevor ich im Amt war. Ich habe von Anfang an einen harten Kampf gegen diese Steuerbetrügerei geführt. Die Finanzämter entscheiden unbeeinflusst von der Politik und haben das auch in der Vergangenheit so getan. Das ist längst geklärt. Insofern gab es Geraune, das sich aber nicht bewahrheitet hat – und das wissen die Bürgerinnen und Bürger auch.
Für welche SPD stehen Sie? Sie selbst waren an der Entstehung der Hartz-Reformen beteiligt und distanzieren sich auch nicht von Gesetzen, die für die meisten ihrer Parteifreunde Teufelswerk sind.
Scholz: Wir sind jetzt im Jahr 2021 und reden über Dinge, die für die Zukunft notwendig sind. Dazu gehört eine Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro – eine Gehaltserhöhung für zehn Millionen Beschäftigte. Wir haben schon lange ein Konzept für ein Bürgergeld erarbeitet. Es soll Menschen helfen, wieder auf eigenen Füßen zu stehen. Deshalb sollte sie möglichst lebensnah ausgestaltet sein. In der Corona-Krise haben wir gewisse Bedingungen erleichtert, damit niemand plötzlich in eine kleinere Wohnung ziehen oder damit die mühselig ersparte Altersvorsorge unangetastet bleibt. Daran sollten wir uns orientieren. Das befürworten viele, die hart arbeiten.
Wer Scholz wählt, bekommt Saskia Esken und Kevin Kühnert, sagen viele. Hält die Zurückhaltung Ihrer linkeren Parteifreunde auch nach der Wahl?
Scholz: In der Parteiführung arbeiten wir sehr eng und erfolgreich zusammen, schon länger als ich Kanzlerkandidat bin. Den Bürgerinnen und Bürgern ist klar: Wenn sie die SPD wählen, weil sie einen Kanzler Olaf Scholz wollen, dann bekommen sie den auch – und die Politik, die sie mit ihm verbinden.
Sie schließen ein Bündnis mit der Linken nie ganz aus, reden davon aber wie von etwas, das Sie nicht wollen. Warum keine eindeutige Absage?
Scholz: Es ist jetzt der Moment der Demokratie, wo die Bürgerinnen und Bürger entscheiden, wer der nächste Regierungschef werden soll. Da bitte ich um mehr Demut gegenüber denen, die nun die Richtlinien der Politik bestimmen. Aber für mich und die SPD kann ich klar sagen: Mit den Grundfunktionen unseres Staats darf nicht spielerisch umgegangen werden. Deshalb ist für mich die gute Zusammenarbeit mit den USAund in der Nato zentral, genauso eine starke, souveräne EU. Wir müssen ordentlich mit dem Geld umgehen. Die Wirtschaft muss wachsen. Die Sicherheit im Inneren muss gewährleistet sein. All das ist bei einer Regierungsbildung nicht verhandelbar.
Das spricht eher gegen ein Bündnis mit der Linken. Manches ginge mit ihr aber leichter: höhere Besteuerung von Vermögenden, höherer Mindestlohn, Bürgerversicherung…
Scholz: Nochmal: Wir sind jetzt vor der Wahl, bei der die Bürgerinnen und Bürger eine Entscheidung treffen. Wer meine Positionen unterstützen will, tut dies am besten mit der Stimme für die SPD.
Die FDP blinkt schon leicht in Richtung Ampel…
Scholz: Das nehme ich wie Sie zur Kenntnis.
Wollen Sie dann wenigstens eine Neuauflage der Großen Koalition ausschließen?
Scholz: Mein Eindruck ist, die meisten Bürgerinnen und Bürger wünschen sich, dass CDU und CSU nach 16 Jahren mal in die Opposition kommen.
Ein Wahlkampf fast ohne Inhalte liegt hinter uns, Ihnen hat das mehr genutzt als geschadet. Die Rente fährt gegen die Wand – aber Sie geben eine Renten-Garantie… ist das redlich?
Scholz: Widerspruch. Ich rede über sehr konkrete Inhalte und das seit Monaten. Darüber, wie wir Kinderarmut in Deutschland vermeiden. Wie wir dafür sorgen, dass es genügend bezahlbare Wohnungen gibt. Ich rede auch über die Rente, undauch da will ich Ihnen ausdrücklich widersprechen: Wir können und müssen ein stabiles Rentenniveau garantieren. Und es wird keine weitere Anhebung des Renteneintrittsalters geben. Warum? Die Experten der 1990er Jahre haben sich alle verrechnet. Sie prophezeiten, dass wir aktuell sehr viel höhere Beiträge zahlen müssen.
Aktuell sind sie aber niedriger als zu Zeiten von Helmut Kohl. Prognostiziert wurde auch, dassheute sehr viel weniger Beitragszahler in die Rente einzahlen. Tatsächlich sind es aber rund sechs Millionen Beschäftigte mehr. So kann man auch für die Zukunft ein stabiles Rentenniveau garantieren: Wir müssen für hohe Beschäftigung sorgen. Da gibt es viel Potenzial – etwa bei Frauen, die mehr arbeiten wollen. Eine verlässliche Rente ist für alle wichtig, auch für die Jungen. Wer mit 17 eine Berufsausbildung beginnt, hat fünf Jahrzehnte Arbeit und Renten-Beiträge vor sich. Es geht um das Vertrauen und die Garantie, dass sich das auszahlt.
Die EU will bis 2050 klimaneutral werden, Deutschland bis 2045. Haben Sie nicht die Sorge, dass das die deutsche Wirtschaft im globalen Wettbewerb mit Volkswirtschaften, für die Klimaneutralität kein Faktor ist – China zum Beispiel – schädigt?
Scholz: Wir steigen aus der Atomenergie aus, wir steigen aus der Kohleverstromung aus. Und der Strombedarf steigt gewaltig – gerade um klimaneutral zu wirtschaften. Die Industrie weiß genau, was sie verändern will. Wir müssen ihr das geben, was sie braucht – viel mehr Strom aus erneuerbaren Quellen. Im ersten Jahr der neuen Regierung müssen deshalb dieAusbauziele für Strom aus Wind auf hoher See und an Land und für Solarstrom hoch gesetzt werden. Wir brauchen dafür ein modernes Stromnetz – und all das muss schnell gehen. Natürlich müssen wir unsere klimafreundlichen Unternehmen im internationalen Wettbewerb vor wirtschaftlichen Nachteilen schützen. Deshalb habe ich ja den Vorschlag gemacht, einen internationalen Klimaclub zu schaffen, in dem die Länder kooperieren, die ähnliche Wege gehen wie wir.
Sie planen eine Vermögensteuer, höhere Erbschaftssteuer v.a. für Unternehmer, einen Aufschlag von drei Prozentpunkten zur Einkommensteuer für den Einkommensteil ab 250.000 Euro (bei Verheirateten ab 500.000 Euro) – ist es das, was eine von den Corona-Lockdowns getroffene Wirtschaft wirklich braucht?
Scholz: Zunächst mal: Was wir nun an Schulden aufgenommen haben, können wir durch Wachstum bewältigen. Und Klartext: Union und FDP schlagen Steuersenkungen für Leute vor, die so viel verdienen wie ich oder noch mehr. Das ist aber unfinanzierbar und unsolidarisch. In der Corona-Krise haben wir 400 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen, insbesondere um Unternehmen zu stützen. Und jetzt 30 Milliarden Eurojährlich für Steuersenkungen auszugeben für diejenigen, die ohnehin schon sehr gut verdienen, das ist irgendwie völlig aus der Zeit gefallen. Unser Plan ist besser: Wir wollen die Mittelschicht entlasten und diejenigen, die wenig verdienen. Ich jedenfalls würde dafür gern ein bisschen mehr Steuern zahlen. Und ich glaube, da geht es ganz vielen so wie mir.
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