Heftige Kritik

Population verringern: Türkische Regierung will heimatlose Hunde töten

10.6.2024, 19:18 Uhr
Heimatlose hunde sollen eingeschläfert werden. (Symbolbild)

© IMAGO/SeventyFour Heimatlose hunde sollen eingeschläfert werden. (Symbolbild)

Der Entwurf ist nicht öffentlich, doch seit Details an die Medien durchgesickert sind, schlagen Tierschützer Alarm. Der Sender NTV berichtete, geplant sei, dass Tierheime auch kerngesunde Hunde künftig einschläfern sollen, wenn sie nach 30 Tagen nicht an einen Besitzer vermittelt werden konnten. Weitere Straßenhunde sollen eingesammelt und dann genauso verfahren werden. Dazu wäre eine Änderung des türkischen Tierschutzgesetzes nötig, das die AKP selbst 2004 verabschiedet hatte. Das Gesetz soll das Tierwohl sichern und verbietet bis auf wenige Ausnahmefälle wie Krankheit das Töten von Straßentieren.

Tierärzte rebellieren

Die türkische Tierärztevereinigung erklärte, dass der Plan nicht mit ihrem Berufsethos vereinbar sei und sie sich als Veterinäre weigerten, das Einschläfern durchzuführen. "Die Euthanasie kann nur von einem Tierarzt durchgeführt werden und diese an gesunden Tieren anzuwenden, ist gleichbedeutend mit einem Massaker."

Nach Schätzungen des Umweltministeriums gibt es in der Türkei etwa vier Millionen Straßenhunde. Anwohner in der Istanbuler Innenstadt kümmern sich teils liebevoll um herrenlose Katzen und Hunde, manche erhalten sogar Kosenamen. Doch immer wieder werden vor allem Kinder durch Straßenhunde verletzt. Präsident Recep Tayyip Erdogan machte kürzlich auf den Fall des zehnjährigen Tunahan aufmerksam, der Berichten zufolge Anfang Dezember in der Hauptstadt Ankara von zwei Straßenhunden angegriffen und schwer verletzt worden war. Das Problem der herrenlosen Hunde betreffe die "Sicherheit des Volkes", so Erdogan. In ländlichen Regionen und Waldstücken bilden die Tiere oft Rudel, immer wieder berichten Anwohner, dass sie sich wegen der Hunde nicht in bestimmte Regionen trauen.

Warum die drastische Methode?

So besteht über die Parteienlandschaft hinweg Einigkeit darüber, dass die Population der Straßenhunde gesenkt werden müsse, aber Uneinigkeit darüber, wie. Befürworter verweisen in der Regel darauf, dass etwa auch in Großbritannien das Töten von streunenden Hunden nach einer siebentägigen Verwahrfrist erlaubt ist. Deutschland lehnt die Euthanasie von gesunden Tieren dagegen strikt ab.

Tierschützern zufolge lässt sich die Straßentierproblematik nachhaltig nur durch Einfangen, gezielte Kastrierung, Impfung und wieder Aussetzung in das Herkunftsgebiet lösen. Das sei wissenschaftlich erwiesen und zeige die Praxis etwa bei Modellprojekten in Rumänien, sagt Luca Secker, Referentin beim Deutschen Tierschutzbund.

Dieses Vorgehen ist jetzt schon im türkischen Gesetz vorgesehen. Doch an der Umsetzung mangelt es, wie Tierschützer einheitlich beklagen. Als Konsequenz daraus habe die Population der Straßentiere sogar zugenommen.

Die Population werde weder mit Töten noch Einsammeln reduziert, das habe die Vergangenheit gezeigt, sagte der Vorsitzende der Tierschutzorganisation Haytap. Auch Secker kritisiert, die Euthanasie von gesunden Hunden sei massiv tierschutzwidrig und sorge darüber hinaus nicht für eine nachhaltige Verminderung der Population. Wenn man Tiere entnehme, dann stünden den verbleibenden Tieren auf der Straße mehr Ressourcen wie Unterschlupf, Wasser und Essen zur Verfügung, erklärt sie. Es sei zudem unrealistisch, dass man alle Tiere auf einmal fangen könne, sodass immer wieder neue Tiere dazukommen.

Das Problem an der Wurzel packen

Mit der Kastration und gut geplanten Futterstellen würden auch Ursachen für Aggression genommen. Flankierend seien weitere Maßnahmen nötig, um die Population zu verringern. So müsse das Aussetzen von Haustieren angegangen werden, sagt Secker. "Das ist die Hauptquelle von Straßentieren." In der Türkei werden Hunde gerade in Urlaubsregionen in der Ferienzeit oft ausgesetzt. Haytap-Chef Senpolat fordert zudem ein konsequenteres Vorgehen gegen illegalen Handel mit Hunden und die Schließung von Tierhandlungen. Dass es in Deutschland keine Straßenhunde gebe, habe auch mit der guten Infrastruktur von Tierheimen zu tun, die sich um Tiere in Not kümmerten, sagt Secker.

Auch die Rehabilitation aggressiver Hunde ist im türkischen Gesetz bereits vorgesehen. Doch der Alltag in türkischen Tierheimen sieht anders aus. Hunde werden oft in zu engen Käfigen zusammengepfercht oder angekettet. Gerade aus Anatolien gibt es immer wieder Berichte darüber, dass Hunde misshandelt werden oder durch Futtermangel verhungern. Viele Heime sind auf Spenden angewiesen. Angesichts der massiven Inflation im Land sei die Bereitschaft dazu zurückgegangen, wie Mitarbeiter berichten.

Schreckliche Tötungsmethoden werden befürchtet

Angesichts der Zustände in den Tierheimen und der mit der Euthanasie verbundenen Kosten fürchten viele Tierschützer, dass die Hunde in der Praxis grausam getötet, etwa erschossen oder bei lebendigem Leibe begraben werden. Erfahrungen aus anderen Ländern zeigten, dass im ukrainischen Odessa etwa früher Tiere vergast oder erschlagen wurden, in Russland gibt es Beispiele von Verbrennung.

Man dürfe nicht unterschätzen, wie teuer auf Dauer die Infrastruktur zum Töten sei. Es bestehe zudem die Gefahr, dass Straßenhunde nicht mehr geimpft werden, warnt Secker. Bei der Kastration dagegen würden Tiere auch geimpft, es entstehe eine Herdenimmunität der Straßenhundepopulation. Das schütze die Bevölkerung etwa vor Tollwut, die in der Türkei noch verbreitet ist.

Die Reaktion von PETA

Auch die Tierschutzorganisation PETA äußert scharfe Kritik an dem Vorhaben. Sie bezeichneten diesen Plan in einem Schreiben an den türkischen Minister für Land- und Forstwirtschaft İbrahim Yumakli und andere Regierungsstellen als grausam und kontraproduktiv. Die Tierrechtsorganisation appellierte an die türkische Regierung, von den Plänen Abstand zu nehmen und stattdessen auf bewährte tierfreundliche Methoden zur Regulierung der Hundepopulation zu setzen.

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