98 Prozent Sterbewahrscheinlichkeit

Tödlicher als Ebola: Gehirnfressende Amöbe lauert in Badeseen und Schwimmbädern

Stefan Besner

Online-Redaktion

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5.9.2022, 06:00 Uhr
Obwohl der Parasit weit verbreitet ist und eine sagenhafte Letalität von 98 Prozent aufweist, ist es dennoch unwahrscheinlich, an Naegleria fowleri zu sterben.

© IMAGO Obwohl der Parasit weit verbreitet ist und eine sagenhafte Letalität von 98 Prozent aufweist, ist es dennoch unwahrscheinlich, an Naegleria fowleri zu sterben.

Wer sich mit Naegleria fowleri infiziert hat und das zu spät bemerkt, kann sich auch gleich eine Kugel in den Kopf jagen. Das zumindest postuliert Philipp Kohlhöfer, u. a. Autor für das Magazin Geo und das Forschungsnetz Zoonotische Infektionskrankheiten in einem Bericht von t-online. Hat sich der amöbenähnliche Parasit nämlich einmal im Gehirn festgesetzt, verursacht er "eine primäre Amöben-Meningoenzephalitis, die in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle tödlich endet.", so Kohlhöfer. Bis erkannt wird, wo die Symptome - heftige Schmerzen an der Vorderseite des Kopfes, Fieber, Übelkeit, schließlich steifer Nacken, Gleichgewichtsstörungen, Verwirrung und Halluzinationen - herrühren, ist es meist schon zu spät. So auch bei Fabrizio Stabile. Einem Bericht des Spiegels zufolge starb der 29-Jährige 2018 an den Folgen einer Infektion mit Naegleria fowleri.

Die unauffällige Krankheit

Im Fall von Fabrizio traten als erste Anzeichen starke Kopfschmerzen auf. Er nahm Schmerzmittel, legte sich schlafen, doch die Kopfschmerzen waren auch am nächsten Morgen nicht abgeklungen. Als seine Mutter am frühen Nachmittag zu ihm fuhr, um nach dem Rechten zu sehen, konnte er bereits nicht mehr aufstehen und sprach nur noch unverständlich. Im Krankenhaus diagnostizierten die Ärzte eine lebensgefährliche Hirnhautentzündung. Erst zwei Tage nach seiner Einlieferung erkannten die Mediziner die wahre Ursache für Fabrizios Leiden. Zu dem Zeitpunkt war die Infektion mit dem Parasiten jedoch schon zu weit fortgeschritten. Die Ärzte konnten nichts mehr tun. Zwei Tage später war Fabrizio tot.

Weite Verbreitung im Süßwasser

Bei dem amöbenähnlichen Wurzelfüßer Naegleria fowleri handelt es sich um einen Einzeller, der nur in warmem Süßwasser vorkommt. Der Parasit ist dem Robert Koch-Institut zufolge besonders in Gewässern und Böden der Subtropen und Tropen verbreitet, aber auch in natürlich oder künstlich erwärmten Süßgewässern gemäßigter Klimazonen. Fabrizio Stabile hatte vor seinem Tod eine Surf- und Wasserskianlage besucht, wie die New York Times berichtete.

So dringt Naegleria fowleri ins Gehirn ein

Der winzige Parasit gelangt durch den Kontakt mit kontaminiertem Wasser in den Körper. Wie genau, darüber ist sich die Wissenschaft laut Kohlhöfer allerdings noch nicht ganz einig. Nach Angaben der US-Gesundheitsbehörde CDC infizieren sich Betroffene in der Regel, wenn beim Baden oder Tauchen Wasser in die Nase dringt. Schlucken sei laut Kohlhöfer dagegen kein Problem, "da die Magensäure den Erreger tötet." Für eine Infektion reicht vermutlich ein kurzer, einmaliger Kontakt. Daraufhin wird der Einzeller von einem Molekül, das die Geruchsnervenzellen aussenden, direkt zu ihnen gelockt. Naegleria fowleri folgt den Nervenbahnen zu den Gehirnzellen. Im Gehirn angekommen, verwandelt sich der Parasit.

Das passiert im Gehirn

Der Einzeller, der sich normalerweise von Organismen im Sediment von Seen und Flüssen ernährt, bildet ca. ein Dutzend Mäulern ähnelnde Saugarme aus - und beginnt zu fressen. Dabei setzt Naegleria fowleri einen Cocktail aus Molekülen frei, die weiter zur zerebralen Zersetzung beitragen. Als Folge kann eine eitrige Hirnhautentzündung entstehen, eine sogenannte Primäre Amöben-Meningoenzephalitis, auch als Naegleriasis beziehungsweise Schwimmbadamöbose bezeichnet. Das Immunsystem bemerkt den Eindringling, schaltet auf Alarmstufe Rot - und macht damit alles noch schlimmer. Immunzellen strömen zuhauf ins Gehirn und beginnen damit, den Erreger zu bekämpfen. "Weil Naegleria fowleri sich aber wehren kann, ist es eher Schlacht als Blitzkrieg.", so Kohlhöfer. Die Entzündungsreaktionen führen dazu, dass Flüssigkeit zum Infektionsherd umgeleitet wird und eine Schwellung entsteht. Der Schädelknochen verhindert, dass der steigende Druck entweichen kann. Der Hirnstamm, jene Region, die u. a. für Herzschlag und Atmung zuständig ist, wird dadurch letztlich zerstört - man stirbt.

Warum es unwahrscheinlich ist, an Naegleria fowleri zu sterben

Obwohl der Parasit weit verbreitet ist und eine sagenhafte Letalität von 98 Prozent aufweist (im Vergleich, Ebola verläuft - je nach Versorgungslage - nur in 30 Prozent bis 90 Prozent der Fälle tödlich), ist es dennoch ausgesprochen unwahrscheinlich, an Naegleria fowleri zu sterben. Zu Infektionen kommt es nur in sehr seltenen Ausnahmen. Die meisten Fälle wurden in den USA, Australien und Frankreich beschrieben - aus Deutschland ist bisher kein einziger bekannt. Forscher gehen allerdings davon aus, dass viele Erkrankungen in Entwicklungs- und Schwellenländern nicht als solche erkannt und ergo auch nicht dokumentiert werden. Die letzte Infektion in Europa, damals in England, liegt bereits 44 Jahre zurück: 2018 erkrankte ein zehnjähriges Mädchen im spanischen Toledo an der Krankheit, überlebte jedoch ohne bleibende Schäden. Im Zuge der Erderwärmung liegt es Kohlhöfer zufolge dennoch im Bereich des Möglichen, dass Infektionen auch in Europa häufiger auftreten.

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